Feuilleton
Merken

So unglaublich gaga war der „Tatort“ mit Kommissar Murot

Sein 12. Fall führt Murot in eine verstörende Welt - an Orte und in Situationen, die es so wohl kaum in einem „Tatort“ gegeben hat. Wie immer ist es kein üblicher Krimi.

Von Bernd Klempnow
 2 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Uniformen stehen ihm – zumindest in seinen Träumen, wenn Felix Murot (Ulrich Tukur) zum erfolgreichen Hitler-Attentäter wird. Solche absurden Szenen machten den „Tatort“ aus Wiesbaden zum Ereignis.
Uniformen stehen ihm – zumindest in seinen Träumen, wenn Felix Murot (Ulrich Tukur) zum erfolgreichen Hitler-Attentäter wird. Solche absurden Szenen machten den „Tatort“ aus Wiesbaden zum Ereignis. © ARD

Dieser Kommissar hat es schwer. „Jetzt sind sogar die Leichen in meinen Mordfällen glücklicher als ich“, stellt Felix Murot im „Paradies-Tatort“ fest. Und liegt, so depressiv wie er ist, lieber beim Analytiker auf der Couch, als dass er ermittelt. Privat ist der Wiesbadener Kriminalbeamte auf der Suche nach dem vollkommenen Glück, aber wie, in einer „Welt, die sich durch Beschissenheit auszeichnet“.

Umso mehr lässt er sich auf die so verstörende wie verheißungsvolle Unterwelt einer mephistohaften Gutmenschin ein. Deren weiß geschminktes, betont maskenhaftes Gesicht mit ihren blitzenden Augen erzählt von einem Geheimnis, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse hypnotisch verschwimmen. Murot lässt sich darauf ein und erlebt die unglaublichsten Reisen seiner Fantasie: ist Fliegerkosmonaut, Hitler-Attentäter, Papst, Sex-Maniak ...

Hat eine Erkenntnis: Felix Murot (Ulrich Tukur, r.) ist zur Therapie Dr. Wimmer (Martin Wuttke).
Hat eine Erkenntnis: Felix Murot (Ulrich Tukur, r.) ist zur Therapie Dr. Wimmer (Martin Wuttke). © ARD

Die 1.247 „Tatort“-Episode entführt an Orte und in Situationen, die es so wohl kaum in einem „Tatort“ gegeben hat. Diesem „Flaggschiff des deutschen Fernsehens Neues abzugewinnen und den Zuschauer zu überraschen“, war das Ziel von Buchautor und Regisseur Florian Gallenberger.

Kein üblicher Krimi mit einem gefassten Täter, sondern eine runde, in dem Fall sich als Déjà-vu in Asien wiederholende Geschichte strebte der „Oscar“-Preisträger an. Und hatte dazu grandios überzeichnende Akteure mit Brigitte Hobmeier als irrlichternde Wunscherfüllerin, Martin Wuttke als Analytiker-Karikatur, Eva Mattes als psychopathische Pathologin und Barbara Philipp als rettenden Engel Magda Wächter.

Seit 15 Jahren kennen sich der Regisseur und Hauptdarsteller Ulrich Tukur. Diese Vertrautheit ermöglicht die absurdesten Szenen, die Logik ausschließen. Aber es gelingen cineastische Momente von suggestiver Kraft. Wenn Murot in seine Kindheit reist und an der Mutterbrust saugt, ist das anrührend und urkomisch zugleich. Oder seine Walzerkreisel als Kosmonaut im Weltall zu Johann Strauß’ „Blauer Donau“.

Murot war in den bislang elf Filmen aus Hessen immer schräg und unberechenbar. Doch Tukur bleibt in Spiel und Sprache neugierig und auf seine Weise wild, dass er der Figur des Kommissars neue Facetten hinzufügt. Dessen Fazit nach der Suche vom perfekten Glück sollten derart Anstrebende verinnerlichen: „Dafür sind wir nicht gemacht. Es ist die Hölle. Wir brauchen das Unglück, um glücklich zu sein.“