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Long-Covid-Kranke in Sachsen fallen im Schnitt 61 Tage aus

Tausende Sachsen leiden unter den Spätfolgen der Infektion, zeigen Auswertungen der AOK. Besonders eine Berufsgruppe sticht dabei heraus.

Von Stephanie Wesely
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Dresden
Linda Frisch aus Dresden ist erst 20 Jahre alt und leidet schon zwei Jahre an Long Covid.
Dresden Linda Frisch aus Dresden ist erst 20 Jahre alt und leidet schon zwei Jahre an Long Covid. © Matthias Schumann

Schmerzen, Konzentrationsprobleme und Erschöpfung schon nach geringsten Anstrengungen gehören für die 20-jährige Linda Frisch und die 60-jährige Annette Graf aus Dresden zum Alltag. Beide leiden an Long-Covid, wie die SZ berichtete. Annette Graf infizierte sich das erste Mal bereits zu Beginn der Corona-Pandemie, Linda Frisch hatte die Spätfolgen ohne nachweisliche akute Covid 19-Infektion. Beide sind noch heute arbeitsunfähig und damit keine Einzelfälle, wie eine aktuelle Analyse des Wissenschaftlichen Institutes der AOK (Wido) zeigt. Sie wurde am Mittwoch in Berlin vorgestellt.

Demnach ist die Zahl der Menschen, die nach einer akuten Covid-19-Infektion wegen Post-Covid, Long-Covid oder eines chronischen Erschöpfungssyndroms (Fatigue) krankgeschrieben werden mussten, gegenüber den Pandemiejahren 2021 und 2022 zwar gesunken. Doch die Erkrankten hatten weiterhin sehr lange Fehlzeiten, wie Wido-Geschäftsführer Helmut Schröder sagt. Die Bezeichnung „Long Covid“ umfasst Beschwerden, die mehr als vier Wochen nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus fortbestehen oder neu auftreten.

Ein „Post-Covid-Syndrom“ dauert laut Robert Koch-Institut zwölf Wochen und länger. Meist wird jedoch allgemein von Long-Covid gesprochen. Der Auswertung zufolge sind seit Beginn der Pandemie bis einschließlich Dezember 2023 bundesweit rund 37 Prozent aller erwerbstätigen AOK-Versicherten mindestens einmal wegen einer akuten Covid-19-Infektion krankgeschrieben worden. Das entspricht einer Zahl von rund sieben Millionen Patienten. In Sachsen waren etwa 700.000 AOK-versicherte Erwerbstätige deshalb arbeitsunfähig – fast jeder Dritte.

Annette Graf aus Dresden kämpft auch seit zwei Jahren mit Long-Covid. Sie hatte sich zum ersten Mal zu Beginn der Pandemie infiziert. Weitere Infektionen folgten, die sie immer wieder zurückwarfen.
Annette Graf aus Dresden kämpft auch seit zwei Jahren mit Long-Covid. Sie hatte sich zum ersten Mal zu Beginn der Pandemie infiziert. Weitere Infektionen folgten, die sie immer wieder zurückwarfen. © Foto: SZ/Veit Hengst

Long Covid ohne nachweisbare akute Infektion

Sowohl bundesweit als auch in Sachsen fielen knapp zwei Prozent der AOK-versicherten Beschäftigten wegen Corona-Spätfolgen aus. Der größere Teil von ihnen war wie Annette Graf zuvor akut an Corona erkrankt. Doch bei etwa einem Drittel war eine solche Infektion nicht nachweisbar – auch Linda Frisch gehört zu ihnen. Jeder zehnte Patient mit Corona-Spätfolgen wurden im Beobachtungszeitraum mehrfach krankgeschrieben.

Wegen der Corona-Spätfolgen waren 2022 bundesweit 3.592 von 100.000 AOK-versicherten Beschäftigten krankgeschrieben, in Sachsen 4.589. Das war der Höchststand. 2023 gingen die Zahlen zurück – auf 1.606 je 100.000 Beschäftigte bundesweit und 1.593 in Sachsen. Long-Covid-Erkrankte waren im Durchschnitt knapp 37 Tage arbeitsunfähig. Wird die vorangegangene 28-tägige akute Corona-Infektion mit einbezogen, zeigt die Analyse eine durchschnittliche Krankheitsdauer von etwa 65 Tagen bundesweit und 61 in Sachsen. Etwa ein Fünftel der Patienten hatte Langzeit-Krankschreibungen über mehr als 43 Tage. In Sachsen betrug dieser Anteil 18 Prozent.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Long-Covid zeigt sich mit vielen verschiedenen Krankheitssymptomen. Deshalb sei eine realitätsgetreue Abbildung der langfristigen Folgen von Coronainfektionen nicht möglich, so Schröder, da sie sich auf diverse Abrechnungsdiagnosen verteilen. „Auch das Robert Koch-Institut kritisiert in diesem Zusammenhang den Mangel an bevölkerungsrepräsentativen, kontrollierten Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit, die einen Vergleich von Personen mit und ohne akute Coronainfektion ermöglichen“, sagt der Wido-Geschäftsführer. Die tatsächliche Anzahl der betroffenen Beschäftigten sei damit möglicherweise höher, als es die vorliegenden Zahlen vermuten ließen.

Sowohl akute Covid-19-Infektionen als auch deren Spätfolgen wurden am häufigsten unter Beschäftigten in Sozial- und Gesundheitsberufen diagnostiziert. Bei den akuten Erkrankungen lagen Berufe in der Kinderbetreuung und -erziehung an der Spitze: Fast die Hälfte der Angehörigen dieser Berufsgruppe war zwischen März 2020 und Dezember 2023 mindestens einmal wegen Corona krankgeschrieben – das gilt für Sachsen und auch bundesweit.

Damit lagen sie deutlich über dem Durchschnitt. Krankschreibungen aufgrund von Corona-Spätfolgen kamen bundesweit in der Ergotherapie mit 3,5 Prozent am häufigsten vor. In Sachsen waren es die Beschäftigten in der Kinderbetreuung mit 4,6 Prozent. „Die vielen sozialen Kontakte in diesen Berufen dürften der Hauptgrund dafür sein, dass Sozial- und Gesundheitsberufe besonders häufig betroffen waren“, so Helmut Schröder. Auch Lisa Frisch aus Dresden erkrankte nach einem Praktikum in der Kinderbetreuung, Annette Graf arbeitete vor ihrer Erkrankung viele Jahre als Lehrerin.

Der Frauenanteil bei den Corona-Krankschreibungen war dabei überdurchschnittlich hoch. Er reicht von 77 Prozent in der Physiotherapie bis zu 92 Prozent in der Kinderbetreuung und -erziehung. Es litten auch mehr Ältere an den Corona-Spätfolgen. So entfielen beispielsweise mehr als 44 Prozent aller Fälle auf die Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen.

Anstieg bei psychischen Erkrankungen

Nicht nur Corona hat den Krankenstand beeinflusst. Fasst man alle Krankheiten zusammen, lag der allgemeine Krankenstand 2023 mit bundesweit 6,6 Prozent (Sachsen: 6,8 Prozent) etwas unter dem historischen Höchststand von bundesweit 6,7 Prozent (Sachsen: 7,1 Prozent) aus dem Jahr 2022, aber erneut deutlich über den Durchschnittswerten der vergangenen Jahre. Erstmals seit zehn Jahren ist der Krankenstand damit gesunken, so die AOK Plus.

Differenziert betrachtet, nahmen Atemwegserkrankungen im Jahr 2022 einen Spitzenwert bei den Fehlzeiten ein. Im Jahr 2023 sind sie wieder etwas rückläufig, liegen jedoch über den Werten von 2019. Fielen im Jahr vor der Pandemie 25 Prozent der Beschäftigten wegen einer Atemwegserkrankung aus, waren es 2023 fast 39 Prozent. Die Dauer der Krankschreibungen pro Fall nahm bei den Atemwegserkrankungen hingegen ab – von 7,1 Tagen im Jahr 2022 auf 6,1 im Jahr 2023.

Auch bei den psychischen Erkrankungen und den Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems gab es Anstiege. Psychische Erkrankungen nahmen im Vergleich zu 2022 um elf Prozent, Muskel- und Skelett-Erkrankungen um 15 Prozent zu. Die Krankheitsdauern gingen jedoch zurück. „Der langjährige Trend bei den psychischen Erkrankungen ist ungebrochen. Corona hat diesen Trend nochmals beschleunigt“, so Schröder.