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20-Jährige aus Dresden: "Ich habe Long Covid - und bin keine Simulantin"

Linda Frisch aus Dresden hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Wie die Zwanzigjährige warten eine Million Patienten auf eine neue Antikörpertherapie. Es gibt erste Erfolge.

Von Stephanie Wesely
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Linda Frisch aus Dresden ist erst 20 Jahre alt und leidet schon drei Jahre an Long Covid.
Linda Frisch aus Dresden ist erst 20 Jahre alt und leidet schon drei Jahre an Long Covid. © Matthias Schumann

Dresden. Auf den ersten Blick ist Linda Frisch aus Dresden eine junge Frau voller Pläne und Tatendrang. Doch die 20-Jährige ist weit entfernt davon. Seit mehr als drei Jahren leidet sie unter Long Covid. Sie musste ihre Berufsausbildung abbrechen und ist aufgrund ihrer chronischen Erschöpfung und der ständigen Schmerzen nicht arbeitsfähig.

„Wie schlecht es mir geht, sieht mir keiner an. Rein äußerlich wirken wir Long Covid-Kranken meist völlig gesund. Wer dann noch so jung ist wie ich, wird schnell als Simulant, Psycho oder Faulpelz abgestempelt. Das tut sehr weh“, sagt sie, vor allem weil es nicht ihre Schuld ist, diese Krankheit bekommen zu haben. „Long Covid kann jeden von uns treffen, auch jetzt noch“, sagt Linda Frisch. Nichts wünscht sie sich mehr, als ihr früheres Leben zurückzubekommen – es war ein normales und schönes Leben mit Arbeit, Hobbys und Freunden.

Begonnen habe alles im November 2020. „Ich habe ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert und in einer Kinderkrippe gearbeitet. Das hat mir viel Freude gemacht, doch nach kurzer Zeit musste ich in Quarantäne, weil jemand vom Personal corona-positiv war. Das war damals so.“ Sie habe keine Erkältungssymptome gehabt und sich nicht krank gefühlt. Doch dann beim Teetrinken schmeckte sie plötzlich nichts mehr. „Ich machte einen Test und war positiv.“

Als die zwei Wochen Quarantäne vorüber waren, ging sie wieder zur Arbeit. Doch irgendwie sei von da an alles anders gewesen. „Ich ließ viel liegen und war vergesslich. Meine Kollegen haben mich darauf angesprochen, weil das vorher nie so war.“ Von Long Covid wusste man zu dieser Zeit noch nicht viel, deshalb dachte sie, dass es schon wieder vorüberginge. Sie konzentrierte sich umso mehr, um ihre Arbeit ordentlich leisten zu können. Im Frühjahr darauf zog sie nach Kreischa um. Sie arbeitete dort in einer Hausarztpraxis, in der sie im Herbst auch ihre Ausbildung zur Praxisassistentin beginnen sollte.

Eigene Wohnung aufgegeben

Doch ihre Defizite nahmen zu. Sie wurde auch immer schwächer. „Früher war ich immer sportlich unterwegs, fuhr täglich 50 Kilometer Rad. Doch nun war ich schon nach einer kurzen, ebenen Radstrecke zur Arbeit so ausgepowert, dass ich mich am liebsten hingelegt hätte“, sagt sie. In der Arztpraxis machte sie Coronatests, doch alle waren negativ.

„Ich musste mich krankschreiben lassen. In meiner Wohnung angekommen, konnte ich kaum noch laufen. Mein Puls raste, ich hatte Schmerzen in den Muskeln und den Gelenken, konnte nur noch liegen. Es kam auch zum Streit mit meiner Familie, weil ich alles vergessen habe“, sagt sie mit Tränen in den Augen.

Da die Ansteckung offensichtlich bei ihrer Arbeit in der Kinderkrippe erfolgte, versuchte sie, sich ihre Erkrankung als Berufskrankheit bei der Berufsgenossenschaft (BG) anerkennen zu lassen. Das Verfahren laufe heute noch. Doch sie bekam zumindest eine ambulante Reha in einer Leipziger Reha-Klinik. „Drei Monate dauerte die Behandlung. Doch sie hat mich völlig überfordert. Die Belastungen und das Training waren einfach zu schwer“, sagt sie. Die Therapeuten seien der Meinung gewesen, dass sie wohl keine Lust habe, wieder in den Arbeitsalltag zurückzukehren. „Das hat mich verletzt, doch ich mache ihnen keine Vorwürfe. Es hatte ja keiner Ahnung von dieser Krankheit, es war ja alles neu.“ In der Reha steckte sie sich nochmals mit Corona an, danach ging bei ihr gar nichts mehr, wie sie sagt. Sie musste ihre Wohnung aufgeben und wieder zu ihren Eltern nach Dresden ziehen.

Angst vor Demenz

Ein Erlebnis während ihrer Reha in Leipzig ist ihr noch heute in Erinnerung: „Ich habe vor meinem Brötchen gesessen und wusste nicht, was ich damit anfangen soll. Das war ganz schlimm, denn ich dachte, dass ich nun dement bin.“ Doch glücklicherweise gab es solche kognitiven Ausfälle noch nicht wieder.

Ein Schock sei für sie auch der Arztbrief der ambulanten Reha-Klinik gewesen. Darin habe gestanden, dass sie nicht an Long Covid, sondern an Depressionen leide. „Dagegen habe ich Widerspruch eingelegt, weil ich wusste, dass es so nicht war.“ Diese Schilderungen kennen viele Long Covid-Kranke. Weil Ärzte keine Behandlungsoptionen haben, werden Patienten in die Psycho-Ecke geschoben.

Auch wenn die Symptome Erschöpfung und Konzentrationsprobleme sehr häufig bei Long Covid auftreten, ist die Palette an möglichen Krankheitszeichen groß – bis zu 200 verschiedene sind möglich. Das erschwert die Behandlung.

© Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

Neue Therapie mit "altem" Medikament

Doch jetzt gibt es Hoffnung. Erst seit wenigen Tagen ist bekannt, dass eine Behandlung mit einer Antikörper-Kombination aus Casirivimab und Imdevimab bei bislang drei Patienten mit schwerem Long Covid eine durchschlagende Wirkung erzielt hat. Diese Antikörper wurden zu Beginn der Pandemie in der Behandlung schwerer akuter Fälle eingesetzt. Da insbesondere die Omikron-Variante von Sars-Cov-2 durch Mutationen unempfindlich dagegen geworden ist, kam die Kombi nicht mehr zum Einsatz. Weltweit laufen nun Studien mit diesen und anderen Antikörpern, wie das Ärzteblatt informiert. Bis zu einem Einsatz in der Praxis werde es aber mindestens ein Jahr dauern.

„Wir Neurologen unterscheiden die Verlaufsformen Long Covid- und Post Covid-Syndrom. Von einer Post Covid-Erkrankung sprechen wir, wenn die Beschwerden länger als drei Monaten bestehen. Die Ursachen sind noch nicht abschließend geklärt, wir vermuten, dass unter anderem auch Viren oder Virusbestandteile noch in Körperzellen verblieben sind“, erklärt Dr. Kai Wohlfarth, Direktor der Klinik für Neurologie am BG Klinikum Bergmannstrost in Halle. Die Klinik sei eine der ersten gewesen, die Reha-Behandlungen bei Long- und Post Covid anboten. „Wir haben auch an der Entwicklung eines Reha-Therapieprogramms wesentlich mitgewirkt“, sagt er. „Die verbliebenen Viren können eine dauerhafte entzündliche Aktivität verursachen, oder auch zu einer Fehlfunktion des Immunsystems im Sinne einer Autoimmunerkrankung führen, sodass der Körper gegen sich selbst arbeitet.“ Post Covid sei keine einheitliche, homogene Erkrankung, sondern habe verschiedene Ursachen. Die Art der Erschöpfung und der Schmerzen hänge davon ab, welche Körperregion inklusive des Zentralnervensystems betroffen sei.

Alternative Heilverfahren zeigen Erfolge

Nach ihrem Widerspruch wurde Linda Frisch ins BG-Krankenhaus Berlin zur Diagnostik aufgenommen. „Zwei Wochen war ich dort, absolvierte zahllose Tests und Laboruntersuchungen. Am Ende stand es fest, dass ich Long Covid hatte. Doch ein Sieg war das nicht“, sagt sie.

Eine zweite, diesmal stationäre, Reha in der BG-Reha-Klinik Berlin folgte im Oktober 2022. Dort überforderten sie die ständigen Therapien zwar auch, doch sie hatte auch Pausen, und ihr ging es etwas besser. „Ich habe das Pacing – die Belastungssteuerung – erlernt. Das hat mir geholfen.“„Pacing ist ein wichtiger Bestandteil unseres Therapieprogramms. Hinzu kommen Psychotherapie, individuell angepasstes körperliches und kognitives Training, medikamentöse Behandlungen je nach Beschwerdebild und auch Verfahren der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), wie Atemtherapie, Qi Gong und Akupunktur“, erklärt Wohlfarth. Auch Linda Frisch hat gute Erfahrungen mit sogenannten alternativen Heilverfahren gemacht – mit Entgiftung und Vitamin-Mineralstoff-Infusionen. Doch ohne die Hilfe ihrer Eltern könnte sie sich das gar nicht leisten, denn die Kassen übernehmen die Kosten nicht. „Das wird abgelehnt, obwohl es keine gesicherten anderen Therapien gegen diese Krankheit gibt. Das kann ich nicht verstehen“, sagt sie.

Dr. Kai Wohlfarth weiß, dass es für eine Kostenübernahme einen exakten wissenschaftlichen Nachweis braucht, und diesen gebe es nicht. Dennoch seien die TCM-Verfahren, mit denen zum Beispiel seine Klinik gute Erfolge erreicht hat, nicht teuer. Warum würden sie also nicht übernommen? „Als Arzt muss man eben auch mal über den Tellerrand schauen, wenn man Patienten helfen will“, lautet seine Meinung. Zumindest bis es andere wirkungsvolle Behandlungsverfahren gibt.

Patienten und Umfeld brauchen Geduld

Etwa 60 bis 80 Prozent der Patienten seiner Klinik seien nach der Reha in den Arbeitsprozess zurückgekehrt. „Die Wiedereingliederung muss aber ganz langsam erfolgen – sie kann bis zu einem Jahr dauern, wir müssen hier geduldig sein“, sagt er.

Linda Frisch hat sich wohl zu schnell wieder belastet. Sie wurde nach der Reha gesund geschrieben und ging stundenweise wieder arbeiten. „Ich bin in die Altenpflege gegangen, weil das ja auch in mein künftiges Berufsbild passt. Doch das ging nicht lange gut, ich war weder körperlich noch mental dazu in der Lage“, sagt sie. Auch einen Bürojob musste sie wieder aufgeben. „Das Sitzen bereitete mir solche Schmerzen, dass ich mich wie wund gelegen fühlte. Meine jungen Kollegen haben mich nur schief angeschaut.“

Linda Frisch würde gern zu dem Teil der Patienten gehören, die es geschafft haben. Momentan lebt sie von einer Erwerbsminderungsrente, deren Bewilligung jährlich neu geprüft werden muss. „Was dafür aber sehr wichtig ist, ist das Verständnis der Gesunden. Wir sind nicht zu faul zum Arbeiten, wir sind krank.“ Hätte sie Krebs gehabt oder einen Schlaganfall, könnte sie sich der Anteilnahme ihres Umfeldes sicher sein, bei Long Covid aber nicht. Auch aus diesem Grund nennt Linda Frisch ihren richtigen Namen und zeigt sich im Bild. „Ich spreche damit für die vielen Menschen, die nach ihrer Coronainfektion nicht wieder gesund geworden sind. Sie haben mit Vorurteilen zu kämpfen, die sie noch kränker machen“, so Linda Frisch.