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Keine Entwarnung bei Kinderinfekten in Sachsen

Der Direktor der Uni-Kinderklinik Dresden über die nächste Erkältungswelle sowie die Personal- und Bettensituation im Freistaat.

Von Stephanie Wesely
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Professor Reinhard Berner kann seinen kleinen Patienten bald von der Kinderintensivstation in Dresden verlegen.
Professor Reinhard Berner kann seinen kleinen Patienten bald von der Kinderintensivstation in Dresden verlegen. © Michael Kretzschmar/UKD

Atemwegsinfektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) haben vorigen Winter bei vielen Kindern in Sachsen zu schweren Komplikationen geführt. Ob die Gefahr jetzt gebannt ist, wollte die SZ von Professor Reinhard Berner wissen. Seit elf Jahren leitet er die Uni-Kinderklinik Dresden und gehört dem Expertenbeirat Pandemische Atemwegsinfektionen des Robert-Koch-Instituts an.

Herr Professor Berner, RS-Viren sind doch Erkältungsviren. Warum gab es im letzten Jahr so viele schwere Fälle?

RS-Viren bereiten sehr kleinen Kindern im Winter mehr Probleme als andere Erkältungsviren. Sie befallen die kleinen Atemwege und verstopfen sie. Durch die Kontaktbeschränkungen in der Pandemie hatten sich die Kinder nun zwei Winter lang nicht mit Erkältungsviren angesteckt. Deshalb sind im letzten Winter neben Säuglingen auch viele Zwei- oder Dreijährige daran erkrankt, die sonst ihre Erstinfektion bereits hinter sich hatten. In dieser Altersgruppe fallen die Erstinfektionen deutlich schwerer aus, als wir es sonst erleben.

Nach diesem Winter müsste doch alles wieder normal laufen, oder?

Leider nicht. Trotz der schweren letzten Wintersaison haben längst noch nicht alle Kinder mit dem Virus Kontakt gehabt und eine Immunität aufgebaut. Das Immunsystem der Kinder hat sich noch nicht wieder normalisiert. Im Winter 2024/25 könnte vielleicht eine erste Entspannung im Infektionsgeschehen eintreten. Doch diesen Winter gehen wir nochmals von hohen Fallzahlen aus.

Das Gleiche gilt für die Grippe. Sie ist die große Unbekannte. Derzeit gibt es auf der Südhalbkugel eine starke Grippewelle mit vielen schweren Verläufen. Das könnte sich im Winter bei uns ähnlich entwickeln. Da sich Grippeviren aber ständig verändern, kann das niemand konkret voraussagen. Ich hoffe trotzdem, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) noch in diesem Jahr die Grippeimpfung auch für Kinder allgemein empfiehlt.

In Sachsen gibt es doch bereits eine solche Impfempfehlung?

Das ist richtig. Doch eine Empfehlung der Sächsischen Impfkommission allein reicht nicht. Man muss Kinderärzte und Eltern überzeugen. Und dazu sind Stiko-Empfehlungen nachdrücklicher. Je mehr Kinder deutschlandweit geimpft sind, umso weniger schwere Erkrankungen treten auf.

Gibt es auch schon eine Impfung gegen das RS-Virus?

Ein solcher Impfstoff hat soeben das Zulassungsverfahren der europäischen Arzneimittelbehörde durchlaufen. Er ist seit Juli zugelassen, jedoch nur für Schwangere und Menschen über 60 Jahre. Für die bevorstehende Krankheitssaison wird das noch keine Rolle spielen.

Was kann man dann vorbeugend tun, um eine RSV-Infektion zu vermeiden?

Atemwegsinfektionen sind nicht zu vermeiden. Das ist auch nicht das Ziel. Je häufiger sich der Körper mit den Viren auseinandersetzt, umso besser lernt er, damit umzugehen. Und umso weniger schwere Verläufe gibt es. Das Immunsystem braucht dieses Training. Anders bei Kindern mit Risikofaktoren, hier muss eine Infektion verhindert werden. Die Komplikationen und nicht die normalen Verläufe sind es ja, die uns Sorgen machen, weil Kinder dann im Krankenhaus oder gar auf der Intensivstation behandelt werden müssen.

Im Winter waren Fiebersäfte und Kinderarzneimittel knapp. Spüren Sie in der Klinik etwas davon?

Nicht unmittelbar. Die Medikamente, die wir benötigen, zum Beispiel Infusionslösungen, waren größtenteils verfügbar. Ich hoffe, dass das so bleibt.

Wie ist die Situation aktuell auf den Kinderintensivstationen?

Die Lage ist momentan stabil. Wir arbeiten im Normalbetrieb und behandeln wie immer sehr unterschiedliche Krankheitsbilder, zum Beispiel Kinder mit bakteriellen Infektionen, mit Nierenversagen oder Tumoren. Atemwegsinfektionen spielen aktuell noch keine große Rolle. Das ist gut so, denn als Maximalversorger und Teil des Netzwerks Kinderintensivmedizin müssen wir immer auch die Möglichkeit freier Betten haben, um schwer kranke Kinder aus anderen Kliniken übernehmen zu können.

Und personell?

Da haben wir auch das Glück und das Privileg, einigermaßen gut ausgestattet zu sein. Doch das Personal reicht auch bei uns nur für den Normalbetrieb. Wir haben aktuell aufgrund von notwendigen Bauarbeiten nur neun Kinderintensivbetten zur Verfügung. Wir wollen unsere Kapazität mittelfristig auf 14 Betten aufstocken, um die Behandlungsmöglichkeiten für unsere kleinen Patienten noch weiter zu verbessern. Dafür werden wir auch das Personal haben. Voraussetzung dafür ist es aber immer, dass es keine großen Ausfälle gibt, zum Beispiel wegen Krankheit oder Überlastung.

Wenn das doch eintritt, gibt es dann einen Personalpool, auf den Sie zurückgreifen können?

Nein, den gibt es nicht. Das Pflegepersonal unserer Kinderintensivstationen ist hoch spezialisiert ausgebildet. Den Umgang mit schwerstkranken kleinen Kindern kann man nicht einfach so übernehmen. Das ist gut gemeint, funktioniert aber nicht. Wie im vergangenen Jahr werden wir deshalb im Bedarfsfall in Sachsen unser Krankenhausleitsystem wieder aktivieren.

In Anlehnung an das Clusterprinzip aus der Coronazeit kann täglich abgerufen werden, wie viele Kinder in den Kliniken der Umgebung behandelt werden, wohin Verlegungen und von wo Übernahmen möglich sind. Damit sind wir in Sachsen am Ende vergleichsweise gut durch die letzte RSV-Welle gekommen. Auch die Verschiebung weniger dringlicher Behandlungen ist eine Option, so unerfreulich das für die betroffenen Familien ist.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, damit die Personalsorgen irgendwann aufhören?

Die Kinder- und Jugendmedizin müsste bis zu einem gewissen Grad frei von wirtschaftlichen Zwängen sein. Noch immer werden wir nach Fallpauschalen abgerechnet. Aber gerade in der Kinderintensivmedizin ist die Versorgung von schwerstkranken Patienten sehr aufwendig und kostet viel Zeit. Eine einzelne Pflegefachkraft wird nicht mehrere Kinder gleichzeitig gut versorgen können, was ein kostendeckendes Arbeiten im gegenwärtigen Finanzierungssystem unmöglich macht.

Wir haben hohe Vorhaltekosten, das heißt, es braucht ausreichend Personal, das – wie Feuerwehr oder Polizei – immer und jederzeit für Notfälle bereitstehen muss. Das erwartet zu Recht jeder von uns. Insofern können wir nicht nur mit Erfolgsprämien, den sogenannten Fallpauschalen, für unseren Einsatz bezahlt werden, sondern wir brauchen auch eine Finanzierung dafür, dass wir für den Notfall bereitstehen.

Würde mehr Geld die Probleme lösen?

Eine bessere Bezahlung für die körperlich und emotional schwere Arbeit wie die des Intensivpflegepersonals kann natürlich helfen, gerade wenn man die Kostensteigerungen in allen Bereichen betrachtet. Doch Geld allein reicht nicht. Wir haben in Sachsen sehr hoch motiviertes Pflegepersonal. Darauf bin ich sehr stolz. Doch um ihre Arbeitskraft und ihre Einsatzbereitschaft zu erhalten, brauchen sie auch Zeiten der Entspannung und Erholung. Und die kann in vielen Fällen heute noch nicht in dem Maße garantiert werden, wie es nötig wäre.

Das Fiebersaft-Problem

  • Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurden im Frühjahr mehr Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder eingekauft als abgegeben. Derzeit bestehe also kein Mangel.
  • Wenn wieder mehr Kinder an Atemwegsinfektionen leiden, könne sich das schnell ändern. Die Initiative von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach könne den Mangel nicht beseitigen, sagt der Berufsverband der Kinder-und Jugendärzte.
  • Er plant, für Kinderarzneimittel keine Festbeträge und keine Rabattverträge mehr festzulegen, um für Hersteller die Produktion attraktiver zu machen. Helfen könne nur eine Verlagerung der Produktion nach Europa.