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"Ich bin meinen Ärzten so dankbar!"

Viele Jahre leidet Sven Moser an diffusen Beschwerden. Heute weiß er: Seine Krankheit IgG4 ist extrem selten, unheilbar und ein Fall für eine kämpferische Medizinerin.

Von Nadja Laske
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Erleichtert, trotz schwerer Krankheit: Sven Moser weiß endlich, woran er leidet und wie er das Schlimmste verhüten kann. Am Städtischen Klinikum fühlt er sich bestens versorgt.
Erleichtert, trotz schwerer Krankheit: Sven Moser weiß endlich, woran er leidet und wie er das Schlimmste verhüten kann. Am Städtischen Klinikum fühlt er sich bestens versorgt. © Marion Doering

Dresden. Die Gewitterstimmung war ihm nicht aufgefallen. Sie hatte ja auch nichts mit dem Wetter zu tun. In seinem Körper braute sich etwas zusammen, und Sven Moser bemerkte es kaum.

Bis zu diesem Tag als eine Nachricht ihn erreichte: Die Blutspende, die er geleistet hatte, entsprach nicht den Anforderungen. Irgendetwas stimme wohl nicht. Der Blutspendedienst empfahl dem damals Mitte 40-Jährigen, sich untersuchen zu lassen.

Als beschwerdefrei kann Sven Moser die vorangegangenen Jahre wahrlich nicht beschreiben. Immer wieder plagten ihn seltsame Erscheinungen. Mal fühlte sich seine linke Gesichtshälfte wie gelähmt an, mal schwoll sein Knie an. Ohrenschmerzen, Lungenentzündung, merkwürdig dicke Lymphknoten. Besonders die heftige Entzündung seines rechten Auges hat er noch eindrücklich in Erinnerung.

Kein Arzt hatte eine Erklärung für diese mysteriösen Beschwerden gefunden. Die Leiden verschwanden, wie sie gekommen waren und Sven Moser lebte sein Leben weiter. Denkt er heute zurück, hat er nicht einmal das Gefühl, besonders häufig krank gewesen zu sein. "Das erstreckte sich ja über Jahre und fiel gar nicht weiter auf", sagt er.

Vier Millionen Deutsche leiden an seltenen Erkrankungen

Doch jenes Schreiben vom Blutspendedienst machte ihn unruhig. Der Hausarzt ließ ein großes Blutbild anfertigen. Es zeigte sehr hohe Entzündungswerte. Irgendein Kampf schien in seinem Körper stattzufinden. Der Mediziner tippte auf einen rheumatologischen Zusammenhang.

"Ich hatte die Möglichkeit, insgesamt neun einzelne Fachärzte zu konsultieren, was enorm aufwändig und zeitraubend gewesen wäre", erzählt Moser. Oder aber, er ließe sich in eine Klinik einweisen, wo alle nötigen Fachbereiche ihre Untersuchungen stationär durchführen können. "Das bedeutete zwar, dass ich drei Wochen lang ins Krankenhaus musste. Aber ich hielt das trotzdem für die beste Lösung."

So kam Sven Moser in die Obhut einer Ärztin, der er auf ewig dankbar sein wird.
Dr. Leonore Unger leitet am Städtischen Klinikum Dresden die rheumatologische Spezialambulanz, das Osteoporose- und das Vaskulitiszentrum. Als Chefärztin bringt sie alle medizinischen Disziplinen zusammen, die für die Diagnostik und Therapie ihrer Patienten wichtig sind. Patienten wie Sven Moser, die über viele Jahre an voneinander unabhängig wirkenden Beschwerden laborieren, an starker Erschöpfung leiden und nichts von ihrer komplexen Krankheit wissen. Ebenso wenig wie die Ärzte, die sie behandeln.

"Rheuma hat nicht nur die Oma mit krummen Fingern"

"Immer dann, wenn verschiedene Organsysteme befallen werden, sollte ein Hausarzt hellhörig werden", rät Dr. Unger. Sven Moser erkrankte am Atmungssystem, am Nervensystem, an der Haut und am Stütz- und Bewegungssystem - zumeist zeigten sich dort sichtbare und schmerzhafte Symptome. Wie schlecht es jedoch beispielsweise auch um seine Nieren stand, ahnte er nicht.

Dass er in die Rheumatologie überwiesen wurde, wunderte ihn zunächst. Rheuma - was hat das mit einer Augenentzündung oder mit einem dicken Knie zu tun? "Rheuma hat nicht nur die Oma mit den krummen Fingern", erklärt Dr. Leonore Unger.

Krankheiten des rheumatischen Formenkreises haben viele Gesichter. Sie sind die Ursache für sehr schwer entzifferbare Beschwerden, denen in der Regel eine Störung des Immunsystems zugrunde liegen.

Autoimmunkrankheiten werden durch die Bildung von Antikörpern, die gegen körpereigene Substanzen wirken, hervorgerufen. Aus unterschiedlichen Gründen, jedoch überwiegend genetisch bedingt, funktioniert die körpereigene Abwehr nicht oder sie reagiert über und greift gesunde Zellen an. Zu den Autoimmunerkrankungen gehören auch die sogenannten Seltenen Erkrankungen, auf die verschiedene Institutionen am 28. Februar mit einem Aktionstag aufmerksam machen.

Vier Millionen Deutsche leiden an seltenen Krankheiten

In Deutschland gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen das entsprechende Krankheitsbild aufweisen. Rund 8000 der weltweit bekannten 30.000 Krankheiten sind per dieser Definition selten. In Deutschland leiden etwa vier Millionen unter diesen oft schlecht erforschten, chronischen, meist nicht heilbaren und lebensverkürzenden Erkrankungen.

Sven Mosers Leiden klingt eher nach einer Typenbezeichnung als nach einer Krankheit: "IgG4" heißt sie. Damit gemeint ist ein bestimmtes Immunglobulin, ein körpereigenes Eiweiß, das zu dem Zweck gebildet wird, Eindringlinge abzuwehren. Das können Krankheitserreger wie Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten, aber auch Gifte sein.

IgG4 ist eine seltene Immunerkrankung, die in der Regel mehrere Gewebe und Organe befällt. Als Sven Mosers Nieren mithilfe einer Biopsie untersucht wurden, stellten die Ärzte fest, dass sie bereits stark geschädigt wurden. "Hätten wir die Krankheit nicht erkannt, würde Herr Moser heute auf die Dialyse angewiesen sein", sagt Dr. Unger.

Für die Diagnostik und Behandlung ihrer Patienten arbeitet sie mit Rheumatologen, Nierenspezialisten, Kardiologen, Lungen-, Augen- und HNO-Ärzten, falls nötig mit Gynäkologen und Urologen sowie mit Pathologen, Radiologen und Genetikern zusammen. In interdisziplinären Fallbesprechungen suchen sie gemeinsam nach Ursachen und der bestmöglichen Therapie.

Autoimmunerkrankungen brauchen viele Gespräche

"Wir können diese Krankheit nicht heilen, nur kontrollieren und Folgeschäden so weit wie möglich aufhalten", sagt Dr. Leonore Unger. Dass Seltene Erkrankungen noch immer unter dem Radar der Forschung liegen, macht sie ärgerlich. "Diese Krankheiten sind so selten, dass sich kaum ein Pharmaunternehmen dafür interessiert."

Die Spezialistin fordert mehr staatliche Gelder für die Wissenschaft in diesem Bereich, eine bessere Ausbildung junger Ärzte und ein angemessenes Abrechnungssystem für den Aufwand, der mit der Behandlung solcher Krankheiten verbunden ist.

Seltene Erkrankungen bedürfen in der Diagnostik und im Umgang mit den Patienten viel mehr Kommunikation als andere. "Krebs ist schnell erklärt. Aber eine Erkrankung wie IgG4 braucht längere Gespräche, und die sind in unserem Abrechnungssystem nicht vorgesehen", kritisiert die Medizinerin.

Patienten wie Sven Moser und sein Weg zeigen ihr, wie entscheidend es ist, sich auch mit diesen Krankheitsbildern genau zu beschäftigen - auch wenn kaum fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Denn ohne die akribische Suche nach den Ursachen und den passenden Medikamenten könnte der 51-Jährige so vieles nicht mehr, was sein Leben lebenswert macht: Er würde nicht mehr als Koch arbeiten, an Wochenenden Radtouren unternehmen und, wie seine Ärztin findet, den besten Sport der Welt treiben.

Zusammen mit seiner Frau geht Sven Moser nämlich seit vielen Jahren tanzen. Das beschwingt die Seele, hält den Körper fit und die Liebe jung - auch in schweren Zeiten.