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Neue Therapien gegen Allergien

Biologika, Erdnusspflaster oder Kuhstallpille? Allergologen beraten in Dresden, was gegen Unverträglichkeiten hilft.

Von Stephanie Wesely
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Der Pricktest ist das häufigste Testverfahren. Der Arzt tröpfelt allergenhaltige Lösungen auf die Haut und sticht oder ritzt diese leicht an. Die Flüssigkeit löst im Fall einer Allergie eine Reaktion aus.
Der Pricktest ist das häufigste Testverfahren. Der Arzt tröpfelt allergenhaltige Lösungen auf die Haut und sticht oder ritzt diese leicht an. Die Flüssigkeit löst im Fall einer Allergie eine Reaktion aus. © dpa/Peter Roggenthin

Etwa jeder dritte Deutsche hat eine Allergie – am häufigsten ist Heuschnupfen. Doch es gibt auch kaum noch ein Kind, das nicht unter Neurodermitis leidet. Ab Donnerstag beraten in Dresden drei Tage lang 1.000 Allergologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz über neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Die SZ sprach vorab mit Kongresspräsident Professor Christian Vogelberg aus Dresden.

Herr Vogelberg, ob Nahrungsmittel, Pollen oder Hausstaub – es scheinen immer mehr Menschen auf normale Stoffe aus der Umwelt empfindlich zu reagieren. Stimmt der Eindruck?

Zu bestätigen ist dieser Trend auf jeden Fall. Dazu kommt, dass immer jüngere Kinder mit Allergien reagieren, auch in den Atemwegen. Die Anfälligkeit dafür wird vererbt. So waren heutige Elterngenerationen früher oft selbst allergiekrank. Deshalb ist diese Entwicklung auch nicht komplett aufzuhalten. Verändert hat sich außerdem, dass Betroffene nicht mehr nur auf ein oder zwei Allergene reagieren, sondern auf viele Stoffe zugleich. Der Klimawandel hat dazu zum Beispiel mit längeren Blühphasen beigetragen.

Warum werden Allergien nicht weniger, wo Kinder doch heute meist länger gestillt werden und die Umwelt sauberer ist als vor 30 Jahren?

Stillen ist mit Sicherheit eine gute Möglichkeit der Prävention, ebenso der Verzicht aufs Rauchen. Fakt ist aber auch, dass unsere Umwelt nicht in jeder Beziehung sauberer geworden ist. Es gibt jetzt zwar weniger Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid, doch die Feinstaubbelastung ist gestiegen. Das zeigt bei Kindern und Jugendlichen bereits Konsequenzen im Hinblick auf allergische Erkrankungen.

Und was kann man gegen die Entstehung von Allergien bei gefährdeten Kindern tun?

In Kürze wird eine neue Leitlinie zur Prävention von Allergien und Asthma veröffentlicht. Sie bestätigtviel Bekanntes, zum Beispiel die Wichtigkeit des Stillens, den Schutz der Kinder vor Zigarettenrauch, die Vermeidung von Kaiserschnittgeburten ohne medizinischen Grund sowie weniger Kontakt zu chemischen Substanzen.

Und wenn die Vorbeugung allein nicht ausreicht, gibt es für schwer betroffene Kinder neue Medikamente?

Ja, mit den sogenannten Biologika haben wir erstmals eine besonders spezifische Therapie zur Verfügung. Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Biologika, zum Beispiel Januskinasehemmer, sind Antikörper, die in den Entzündungsablauf eingreifen und bestimmte Botenstoffe blockieren. Damit wird die Signalweiterleitung gehemmt, und die Krankheit kann nicht ausbrechen. Diese Therapie ist zudem nur am Ort der Entzündung wirksam und greift nicht in andere Systeme des Körpers ein. Doch die Therapien sind sehr teuer. Sie kommen deshalb erst dann zum Einsatz, wenn andere Möglichkeiten ausgereizt sind. Für Kinder sind momentan drei solche Medikamente zugelassen. Sie helfen gegen schweres Asthma, eins davon zusätzlich gegen schwere Neurodermitis. Für Erwachsene gibt es schon mehr. Unverzichtbar ist aber trotzdem eine gute Basistherapie, wie die Inhalation bei Asthma, oder das Eincremen bei Neurodermitis.

Allergien, nicht nur der Haut, werden doch oft auch mit einem gestörten Mikrobiom im Darm in Zusammenhang gebracht. Was ist da dran?

Die Bakterienzusammensetzung im Darm und auf der Haut hat eine große Bedeutung für die Gesundheit. Doch welche Bakterienarten in welcher Menge gut oder schlecht in Bezug auf Allergien sind, wird momentan noch intensiv erforscht.

Ob in der Kita oder zu Geburtstagen – viele Kinder bekommen lange Listen mit, was sie nicht essen dürfen. Sind die Kinder empfindlicher als früher?

Die Beobachtung machen wir auch, doch zeigen viele der Kinder zwar allergieähnliche Symptome, sind aber immunologisch nicht wirklich allergisch. Nur ein Beispiel: Durchfall nach dem Trinken von Milch kann auf eine Milcheiweißallergie hinweisen. Viel häufiger ist aber eine Milchzuckerunverträglichkeit – eine Laktoseintoleranz – schuld. Auch glauben deutlich mehr Eltern, ihre Kinder seien auf Nahrungsmittel allergisch, als es sich dann in einer Untersuchung bestätigt. Das kann gefährlich werden. Denn unnötige Diäten können zu einem Mangel an wichtigen Nährstoffen führen.

Ist es sinnvoll, Kinder oder Erwachsene mithilfe von Screenings auf mögliche Allergien zu untersuchen?

Nein. Denn die Tests sagen nichts über eine wirkliche Allergie, sondern nur etwas über die Allergiebereitschaft aus. Werden zum Beispiel Antikörper gegen ein bestimmtes Lebensmittel gefunden, das man bisher problemlos vertragen hat, sollte man es nach dem Test nicht einfach weglassen. Nur so wird die Toleranz des Körpers weiter aufrechterhalten. Große Pausen lassen sie schwinden und können bei erneutem Verzehr sogar zu einem lebensgefährlichen Schock führen.

Und was gilt für Erdnussallergiker? Sie müssen doch sogar mit kleinsten Spuren des Allergens vorsichtig sein.

Das ist richtig. Solche starken Allergien gibt es auch gegen Milch und Ei. Doch neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass man auch an diese starken Allergene langsam gewöhnt werden kann. Ab November ist eine neue orale Immuntherapie für Erdnussallergiker zugelassen, die in Studien sehr erfolgreich war. Betroffene, insbesondere Kinder, bekommen täglich eine Kapsel mit Erdnusspulver. Begonnen wird mit einer Menge, die etwa einem Hundertstel einer Erdnuss entspricht. Die Menge steigert sich auf etwa eine Erdnuss am Tag. Damit sind die Kinder ihre Allergie nicht komplett los, es wird aber verhindert, dass selbst geringste Spuren lebensgefährliche Schockreaktionen auslösen. Voraussichtlich ab 2022 wird es eine solche Behandlung auch über die Haut geben, per Pflaster. Damit kommt es längerfristig zur Gewöhnung an das Allergen. Die Erdnuss ist der Anfang. Kapseln und Pflaster gegen Ei- und Milchallergie sind in der Entwicklung.

Die Gewöhnung an ein Allergen gibt es doch auch beim Heuschnupfen. Wird das eigentlich noch gemacht?

Ja, die Hyposensibilisierung spielt sogar eine sehr zentrale Rolle in der Heuschnupfenbehandlung. Sie ist jetzt in kürzeren Zeitintervallen mit angepasster Dosierung möglich, sodass besonders zu Therapiebeginn nicht so viel Zeit dafür notwendig ist. Es gibt Spritzen, Tropfen oder Tabletten. Jede Methode hat Vor- und Nachteile, aber man kann dadurch für jeden Patienten die passende Form finden.

Warum ist das so wichtig, wo es doch immer bessere Allergiemedikamente gibt, die nicht mehr müde machen?

Die ursächliche Behandlung durch Hyposensibilisierung verhindert auch, dass die Allergiekrankheit sich ausweitet, in tiefere Atemwege vordringt und so zum Beispiel zum Asthma wird. Man vermeidet damit auch, dass weitere Allergene dazukommen. Patienten haben aber oft falsche Erwartungen an diese Behandlung. Sie denken, dass sie ihre Allergie damit loswerden. Doch sie wird nur gelindert. Man braucht vielleicht weniger zusätzliche Medikamente oder eine kürzere Behandlungszeit.

Müssen Kinder mit Allergien immer behandelt werden? In der Pubertät verschwinden Beschwerden doch meist.

Allergien verwachsen sich nicht. Nur wenige Kinder verlieren ihre Beschwerden mit der Pubertät. Die Neigung bleibt und zeigt sich später oft mit anderen Beschwerden, zum Beispiel Nahrungsmittelallergien oder Asthma. Deshalb sollte frühzeitig mit der Behandlung begonnen werden.

Was ist von der sogenannten Kuhstallpille zu halten? Sie setzt doch an der Bauernhoftheorie an, wonach Kinder auf dem Land weniger allergisch sind.

Die Kuhstallpille ist ein interessanter Ansatz gegen Heuschnupfen. Hier arbeitet man mit Molkeproteinen der Rohmilch, die mit Zink, Vitamin A und Eisen kombiniert wurden. Sie sollen das Darmmikrobiom stärken. Doch bei Kindern ist das Präparat noch nicht untersucht, obwohl die Werbung hauptsächlich auf Kinder abzielt. Es fehlen hier zuverlässige Studien, vor allem solche, in denen auch Scheinmedikamente vergleichend zum Einsatz kommen. Keinesfalls sollte man eine wirksame Immuntherapie eigenmächtig durch die Kuhstallpille ersetzen.

  • Christian Vogelberg leitet die Kinderpneumologie und Allergologie an der Uni-Kinderklinik Dresden sowie das Uni-Allergiezentrum.