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Nur zwei von 55 Bezahlangeboten bei Ärzten sind empfehlenswert

Immer mehr junge Patienten nutzen kostenpflichtige Leistungen. Doch deren Nutzen ist oft fragwürdig, zeigt ein Report. Darunter sind zwei Post-Covid-Therapien.

Von Kornelia Noack
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Der Großteil der Selbstzahler-Leistungen bei Ärzten ist weiterhin fragwürdig.
Der Großteil der Selbstzahler-Leistungen bei Ärzten ist weiterhin fragwürdig. © Tobias Hase/dpa

Sie fühlen sich ständig erschöpft, können sich nur noch schwer konzentrieren und kämpfen mit Kurzatmigkeit: Patienten, die unter Long- oder Post-Covid leiden, wünschen sich nichts sehnlicher als ihr gesundes Leben zurück. Bietet ihnen ihr Arzt dann eine Therapie an, die Linderung verspricht, geben Betroffene dafür auch schon mal viel Geld aus.

Doch unter diesen Angeboten gibt es speziell zwei, deren Nutzen für die Behandlung von Long-/Post-Covid gar nicht wissenschaftlich belegt ist – und das bei Kosten von oft mehreren Tausend Euro. Es geht um die sogenannte H.E.L.P.-Apherese („Blutwäsche“) und die Hyperbare Sauerstofftherapie.

Zweifel an Long-Covid-Therapie

Beide Therapien sind das erste Mal vom IGeL-Monitor bewertet worden. IGeL steht für Individuelle Gesundheitsleistungen – also Angebote, die Patienten in der Arztpraxis aus eigener Tasche zahlen müssen. Mehr als eine Milliarde Euro geben die Deutschen dafür jährlich aus. Seit zehn Jahren prüfen Wissenschaftler verschiedene IGeL-Leistungen auf ihren Nutzen und Schaden und veröffentlichen die Ergebnisse. Am Donnerstag hat der Medizinische Dienst Bund in Berlin den aktuellen IGeL-Report vorgestellt.

Demnach hat der IGeL-Monitor keinerlei Studiendaten zur Apherese gefunden. Daher konnte man weder einen Nutzen noch einen Schaden für die Behandlung von Long-/Post-Covid ableiten. Bei der Apherese handelt es sich um eine Methode zur Entfernung von Blutbestandteilen oder krankheitsverursachenden Stoffen wie Blutfett oder Antikörper. Der Vorgang findet außerhalb des Körpers in einer speziellen Maschine statt.

Patienten zahlen fünfstellige Summen

Die H.E.L.P.-Apherese ist eine bestimmte Methode, die ursprünglich zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen entwickelt wurde. Mittlerweile wird sie zur Behandlung anderer Krankheiten angewendet, darunter Long- und Post-Covid. „In der Regel sind vier bis fünf Sitzungen notwendig. Die Kosten liegen jeweils zwischen 1.300 und 2.300 Euro. Das ergibt schnell eine fünfstellige Summe“, sagte Michaela Eikermann, Bereichsleiterin Evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund.

Bei der Hyperbaren Sauerstofftherapie kommen Patienten in eine spezielle Druckkammer und atmen unter erhöhtem Umgebungsdruck reinen Sauerstoff ein. „Hierzu haben wir lediglich eine Studie gefunden, aus der wir aber keinen Nutzen für Long- und Post-Covid-Patienten ableiten konnten“, erklärte Eikermann.

Beide Therapieangebote bewertet der IGeL-Monitor deshalb mit „unklar“. „Es ist verständlich, dass Patienten Hilfe suchen und Ärzte ihnen diese auch bieten möchten. Doch die Behandlungsideen müssen entsprechend wissenschaftlich belegt sein“, sagte Eikermann. Die medizinischen Fachgesellschaften raten ebenfalls davon ab, die zwei Therapien bei Long- oder Post-Covid einzusetzen.

Jüngere zeigen großes Interesse

Insgesamt hat der IGeL-Monitor 55 von schätzungsweise mehr als 100 Selbstzahlerleistungen bewertet. 53 von ihnen haben mit „tendenziell negativ“, „negativ“ oder „unklar“ abgeschlossen. Der Grund: Für ihren Nutzen gebe es keine ausreichende Evidenz. Keine der geprüften Leistungen schnitt mit „positiv“ ab. Nur zwei wurden als „tendenziell positiv“ bewertet, was einer Empfehlung gleich kommt. Das sind die Akupunktur zur Migräneprophylaxe sowie die Lichttherapie bei saisonal depressiver Störung („Winterdepression“).

Das Ergebnis ist erstaunlich, denn bei Patienten sind IGeL-Leistungen sehr präsent. In einer repräsentativen Befragung des IGeL-Monitors von 6.000 Versicherten gaben 80 Prozent an, entsprechende Angebote zu kennen. „Vor einigen Jahren wurden diese vor allem an Versicherte ab 50 Jahren verkauft. Inzwischen wächst die Nachfrage auch bei Jüngeren“, sagte Andreas Lange, Redakteur des IGeL-Monitors. So schätze jeder Zweite der 20- bis 39-Jährigen die Leistungen als wichtig für den Erhalt der Gesundheit ein. „Ein Grund dafür könnte sein, dass die jüngere Generation mit dem Wissen um die IGeL-Angebote aufgewachsen ist“, sagte Eikermann.

Vorteile durch Kombi-Angebote

Außerdem sei die Altersgruppe eher bereit, dafür Geld auszugeben. So würden Jüngere verstärkt Pauschal- und Kombiangebote in den Praxen nutzen, bei denen mehrere Leistungen zu einem vergünstigten Paketpreis angeboten werden.„Das zeigt uns, dass es wichtig ist, junge Menschen besser abzuholen und zielgruppengerecht zu informieren“, sagte Lange. Ein erster Schritt sei der IGeL-Podcast zum Anhören. Einmal im Monat kommen hierbei Akteure aus dem Gesundheitswesen an einen Tisch und diskutieren über Medizin und die Rechte von Patienten.

Dass Aufklärung auch für ältere Patienten nötig ist, zeigt der aktuelle Report eindrücklich: Nur gut jeder Vierte weiß, dass es verbindliche Regeln beim Verkauf von IGeL in der Praxis gibt. Genau genommen sind es 15. So müssen Patienten zum Beispiel sachlich, umfassend und verständlich aufgeklärt und schriftlich über die Kosten informiert werden. Sie dürfen nicht zum Kauf gedrängt oder bei der Entscheidung zeitlich unter Druck gesetzt werden. Versicherte sollten zudem auf ihr Recht, sich eine Zweitmeinung einholen zu dürfen, hingewiesen werden. Dass diese Regeln im Praxisalltag oft umgangen werden, ist nicht neu. Nicht ohne Grund stehen 43 Prozent der Befragten IGeL-Angeboten kritisch gegenüber, wie der Report zeigt.

So stieg beispielsweise der Anteil der Patienten, die nur mit einer Kassenleistung weiterbehandelt wurden, wenn sie eine IGeL gekauft hatten. Einige Befragte gaben zudem an, dass ihr Arzt bei einer Weigerung genervt reagiert hätte. Andere berichteten, dass sie auf einen Termin für eine Kassenleistung wochenlang warten mussten, während sie einen Termin für eine IGeL viel schneller bekommen hätten. „Der Verkauf der Leistungen darf nicht dazu führen, dass die kassenärztliche Versorgung in den Hintergrund rückt“, sagte Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes.

IGeL oft teuer und gefährlich

Der Medizinische Dienst warnte am Donnerstag davor, dass einige Zusatzleistungen nicht nur teuer, sondern sogar gefährlich sein könnten. Dazu gehört auch die am häufigsten in Anspruch genommene IGeL - der Ultraschall zur Krebsfrüherkennung der Eierstöcke und der Gebärmutter. Die Leistung bewertet der IGeL-Monitor mit „negativ“ und „tendenziell negativ“. Der Grund: Es kann dabei häufig zu falsch-positiven Befunden und dadurch zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Eingriffen kommen, die erheblich schaden können.

„Die oft jungen Frauen werden völlig unnötig in Angst und Schrecken versetzt. Die Untersuchung hat als Früherkennung keinen Nutzen. Sie wird auch von den gynäkologischen Fachgesellschaften abgelehnt. Diese Leistung dürfte überhaupt nicht mehr angeboten werden, wenn man Patientensicherheit ernst nimmt“, sagte Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund.

Die Top 10 der Bezahlangebote und ihre Bewertung

Die am meisten verkauften Selbstzahlerleistungen sind im Vergleich zum letzten IGeL-Report von 2020 nahezu unverändert:

  • Ultraschall (transvaginal) Gebärmutter und/oder der Eierstöcke - negativ und tendenziell negativ
  • Augeninnendruckmessung mit oder ohne Augenspiegelung zur Glaukom-Früherkennung - tendenziell negativ
  • Abstrich zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs - in Überarbeitung
  • PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs - tendenziell negativ
  • Hautkrebsscreening außerhalb der Hautkrebsvorsorge der gesetzlichen Krankenversicherung, ggf. computergestützt - keine Bewertung
  • Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung - unklar
  • Blutbild zur Gesundheitsvorsorge - eine Bewertung
  • Ultraschall in der Schwangerschaft (zusätzliche Untersuchung zu den durch die Krankenkasse bezahlten Untersuchungen) - keine Bewertung
  • Netzhaut-Untersuchung mit Laser zur Glaukom-Früherkennung - keine Bewertung
  • Netzhaut-Untersuchung mit Laser zur Früherkennung einer Makuladegeneration - keine Bewertung
    (Quelle: Medizinischer Dienst Bund/IGeL-Report 2023)