SZ + Update Dippoldiswalde
Merken

Der Meister, der die Glashütter Kunstuhr zerlegt

Die wertvollste Uhr des Uhrenmuseums wird unter die Lupe genommen. Für Uhrmachermeister Jürgen Franke ist das eine überwältigende Arbeit.

Von Maik Brückner
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Uhrmachermeister Jürgen Franke zeigt ein Teil des Mondphasen-Mechanismus, das aus der Kunstuhr von Hermann Goertz stammt.
Uhrmachermeister Jürgen Franke zeigt ein Teil des Mondphasen-Mechanismus, das aus der Kunstuhr von Hermann Goertz stammt. © Egbert Kamprath

Jürgen Franke sitzt über einem Zahnrad und begutachtet es. Es ist nicht irgendein Zahnrad. Es gehört zur astronomischen Kunstuhr, dem wohl bedeutendsten Stück aus der Sammlung des Deutschen Uhrenmuseums in Glashütte. Auf dem kunstvoll gestalteten Ziffernblatt mit acht Einzelzifferblättern werden unter anderem die Zeit, der Wochentag, der Monat, das Jahr, das Schaltjahr aber auch der Mondlauf, die Mondphase und die Zeiten des Sonnenauf- und Sonnenuntergangs angezeigt.

Seit Juli ist der große Kasten der Kunstuhr leer. Jürgen Franke hat das Uhrwerk zusammen mit einem Kollegen von der Manufaktur Glashütte Original herausgenommen. Es ist in der Revision, heißt es vom Uhrenmuseum.

Hinter diesem Wort verbirgt sich ein enormer Aufwand. Franke hat das Uhrwerk in seine Einzelteile zerlegt. Jedes wird nun genau begutachtet und gesäubert. Eine Sisyphusarbeit, die alle 15 bis 20 Jahre notwendig ist, um die Uhr der Nachwelt zu erhalten. Die aktuelle Revision ist bereits die fünfte seit der Fertigstellung der Uhr im Jahr 1925. Bereits 1938, 1956, 1984 und 2004 fanden Revisionen statt.

Über 30 Jahre an der Uhr gearbeitet

Eine ganz besondere war die im Jahr 1956. Der Glashütter Uhrmachermeister Alfred Helwig hatte dabei auch die Anzeige der Mondphase umgestaltet. An Stelle der ursprünglichen Mondscheibe setzte er eine sich drehende Kugel ein, die die Mondphasen anschaulicher präsentieren sollte. Die Idee hatte auch schon der Erbauer der Uhr, Hermann Goertz (1862-1944), der - mit Unterbrechungen - über 30 Jahre an der Uhr gearbeitet hat. Doch diese Idee konnte er nicht mehr realisieren.

Nun steht wieder eine Revision an. Auch diese ist eine besondere. Jedes Teil wird genau gemessen und fotografiert. "Die Teile werden nach allen Regeln der Kunst dokumentiert". Alle Maße, die es gibt, werden aufgenommen. Zudem wird analysiert, welches Material zum Einsatz kam. Auch für einen Uhrmachermeister wie Jürgen Franke ist das eine Herausforderung. "Es ist überwältigend". Doch der 50-Jährige sieht sich dafür gewappnet. Schließlich ist er schon lange im Fach. Den Weg zur Uhrmacherei fand der 50-Jährige, der in Dresden aufgewachsen ist, erst im zweiten Anlauf.

Uhrmacherausbildung im Süden Deutschlands

Von 1987 bis 1989 ließ er sich bei der Deutschen Post zum Facharbeiter für Datenverarbeitung ausbilden. "Wir haben an Großrechnern die Telefonrechnungen für die ganze DDR gerechnet", erzählt er. 1991 wechselte er zunächst zur Feinwerktechnik, dann zur Uhrmacherei. In diesen Berufen ließ er sich aber nicht in Glashütte, sondern an der Uhrmacherschule in Villingen-Schwenningen ausbilden. "Ich glaubte damals, die handwerklich fundiertere Ausbildung gibt es im Schwarzwald", erklärt er seinen Schritt. In Glashütte, so seine Annahme, sei die Ausbildung eher industriell angelegt.

Die Goertz-Uhr ist ein Hingucker.
Die Goertz-Uhr ist ein Hingucker. © SAE Sächsische Zeitung
Die Details faszinieren.
Die Details faszinieren. © WWW.RENE-GAENS.DE
Die Jahreszeiten und der Sternenhimmel.
Die Jahreszeiten und der Sternenhimmel. © WWW.RENE-GAENS.DE
Für die weiteren Arbeiten wurde das Uhrwerk auf einen Werkhaltestuhl gesetzt.
Für die weiteren Arbeiten wurde das Uhrwerk auf einen Werkhaltestuhl gesetzt. © Rene Gaens
Es wurde ausgelagert, um es auseinander zu bauen.
Es wurde ausgelagert, um es auseinander zu bauen. © Rene Gaens
Mit diesem Wagen wurde es in seine Werkstatt gebracht.
Mit diesem Wagen wurde es in seine Werkstatt gebracht. © Rene Gaens
Anschließend wurde es zerlegt.
Anschließend wurde es zerlegt. © Rene Gaens

"Ob ich damit richtig lag, weiß ich nicht". Und er gibt noch zu bedenken, dass in jener Umbruchszeit noch nicht klar war, wie es mit der Uhrmacherei in Glashütte weitergehen würde. 1994 hatte er seine Ausbildung beendet und begann beim Uhrmachermeister Rolf Lang, der in Glashütte vielen bekannt sein dürfte, in Dresden.

Im Spätsommer 1997 startet er seinen Meisterkurs. Später zog er nach Frankfurt/Main, um bei der Firma Sinn Spezialuhren zu arbeiten. 2001 begann er im Atelier der Manufaktur Glashütte Original. "Dort stellten wir Uhrmacher individuelle Uhren her." Es waren Sonderanfertigungen, die unter anderem auch an Prominente verkauft wurden. Er selbst war aber nie bei einer Übergabe dabei, versichert Jürgen Franke.

2008 mit der Eröffnung des Uhrenmuseums wechselt Franke in die Restaurierungswerkstatt, die im Uhrenmuseum untergebracht wurde. Etwas später übernahm er auch die Wartung der Goertz-Uhr. 2020 folgte der nächste Karriereschritt: Franke bewarb sich erfolgreich auf die Stelle des stellvertretenden Museumsleiters. "Ich wollte aktiv an der Weiterentwicklung der Sammlung teilnehmen, um sie mitzugestalten", sagt er. Der Kunstuhr blieb er aber treu.

Und nun sitzt er über einer der schwierigsten Aufgaben seiner Karriere, der Revision der Goertz-Uhr. Diese war notwendig. Denn diese Kunstuhr verfügt über ein multifunktionales Kalenderwerk. Goertz legte die Uhr so an, dass sie zu keiner Zeit stehen bleiben darf. Eine einzelne Anzeige nachträglich zu stellen, ist aufwendig.

Das ist auch der Grund, weshalb die Uhr seit mittlerweile 17 Jahren ohne größere Unterbrechung gelaufen ist. Diese lange Laufzeit führte aber eben auch dazu, dass sich einiges abnutzte und verschmutzt wurde. Teile, die kaputt gegangenen sind, werden nun ersetzt oder repariert. "Entscheidend ist dabei immer, so sorgsam und so originalgetreu, wie möglich vorzugehen", sagt der Uhrmachermeister.

Museumssprecher Michael Hammer steht am leeren Gehäuse der Kunstuhr im Foyer des Uhrenmuseums.
Museumssprecher Michael Hammer steht am leeren Gehäuse der Kunstuhr im Foyer des Uhrenmuseums. © Egbert Kamprath

Nach dem Abschluss der Dokumentation wäre es möglich, eine zweite fast identische Uhr zu bauen. Doch das ist nicht das Ziel, versichert Franke. "Wir wollen nur für den Fall gewappnet sein, falls es an der Uhr in Zukunft irgendwelche Schäden gibt". Bestimmt wird auch die Zahl der Teile. Bisher geht man davon aus, dass sie aus 1.756 Einzelteilen besteht. Die Frage ist aber, wie gezählt wurde. Wurde zum Beispiel ein Kloben als ein Teil oder wurden all seine Einzelteile gezählt. Das möchte Franke klären.

Bei der abschließenden Re-Montage des Uhrwerkes wird es darauf ankommen, die Teile wieder perfekt aufeinander abzustimmen. Auf die Frage, ob er Sorge hat, dass am Ende des Zusammenbaus Teilchen übrig bleiben, sagt Franke kurz und knapp: "Nö!" Er hat aber Respekt vor der Uhr. "Wir werden äußerst vorsichtig sein!"

Wann genau die Uhr wieder zu bewundern sein wird, darauf möchte sich Jürgen Franke nicht festlegen. Voraussichtlich Ende 2021 sollte es aber so weit sein.

Hinweis: Der Text wurde aktualisiert, es wurden einige Korrekturen vorgenommen. Das Uhrwerk soll bereits Ende 2021 ins Museum zurückkehren.