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Wie Geflüchtete in der neuen Görlitzer Asylunterkunft leben

Es ist still um die Asylunterkunft am Flugplatz in Görlitz. Dabei leben hier seit drei Monaten 60 Männer großteils aus Syrien. Über ihre Hoffnungen und Sorgen sprachen sie mit der SZ. Und über das kleine Glück an der Neiße.

Von Susanne Sodan
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Yamen Alrejoo, Daniel Schädlich und Nicola Barth im Aufenthaltsraum des Asylheimes am Flugplatz.
Yamen Alrejoo, Daniel Schädlich und Nicola Barth im Aufenthaltsraum des Asylheimes am Flugplatz. © Martin Schneider

Es ist noch still in der Asylunterkunft am Flugplatz in Görlitz. Ein junger Mann verschwindet im Duschraum, ein anderer zur Küche. Vier Herde stehen an der einen Wand, drei Spülen an der anderen. Kaffeemaschinen gibt es nicht "das wussten wir von früher, dass wir keine brauchen", erzählt Alexander Peter, Sprecher des Görlitzer DRK, das die Gemeinschaftsunterkunft betreibt. Schon 2015/16 wurde der schmucklose Neubau als Erstaufnahmeeinrichtung genutzt. Kaffee gibt es trotzdem - aber hier wird er mit Metall-Kännchen auf türkische Art gemacht.

Als vorigen Sommer und Herbst die Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen im Kreis Görlitz nicht mehr ausreichten, wurden in Boxberg und dann Ende November in Görlitz zwei temporäre Unterkünfte eröffnet. In Görlitz zogen 60 Geflüchtete, zum größten Teil aus Syrien ein, die dem Landkreis aus den Erstaufnahmeeinrichtungen zugewiesen wurden. Diese 60 Menschen sind auch jetzt noch die Bewohner, erzählt Nicola Barth. Sie arbeitet für das DRK als soziale Betreuerin und ist außerdem gerade in den letzten Zügen ihres Masterstudiums in Sozialer Arbeit.

Der Leiter des Görlitzer Asylheims, Daniel Schädlich, am Schreibtisch des Sicherheitsraumes. Hier gehen die Bilder der Überwachungskameras ein.
Der Leiter des Görlitzer Asylheims, Daniel Schädlich, am Schreibtisch des Sicherheitsraumes. Hier gehen die Bilder der Überwachungskameras ein. © Martin Schneider

DRK wehrt sich gegen Müll-Gerüchte

"Die Stimmung ist gut", erzählt sie. Das kann Hausleiter Daniel Schädlich nur bestätigen. "Es ist eine sehr entspannte Lage." Im Erdgeschoss ist der Sicherheitsraum, auf einem großen Monitor gehen die Bilder von den Überwachungskameras im Haus ein. Die Mitarbeiter tragen aus Sicherheitsgründen Funkgeräte und Generalschlüssel mit sich, gebraucht haben sie die Dinge noch nie. "Wir hatten noch nicht einen Polizeieinsatz", sagt Alexander Peter.

Während andernorts massiv gegen Asylunterkünfte demonstriert wurde und wird, lief die Eröffnung in Görlitz Ende November nahezu geräuschlos. Damit sich jeder ein Bild machen konnte, öffnete der Kreis kurz vor Einzug der Bewohner das Heim für interessierte Bürger: Lediglich 20 Personen kamen, rechtsextremistische Gruppierungen blieben fern. Dabei war stattdessen zum Beispiel Mathias Hoinkis, Chef der Rudolf Hoinkis GmbH, die ihren Sitz ebenfalls am Flugplatz hat. Einige Wochen später bestätigte er gegenüber der SZ den Eindruck: Auf die Unternehmen vor Ort habe das Asylheim eigentlich keinen Einfluss, Vorfälle habe es keine gegeben. Gerüchten, dass neuerdings in einer nahen Gartenlage viel Müll liege, verteilt von Asylbewerbern, tritt Alexander Peter vom DRK entgegen. Was stimme: Am Anfang gab es zu wenige Tonnen, "aber da haben wir nachgefasst".

Doch sorgenfrei ist das Leben am Flugplatz deshalb nicht und das Ankommen nicht so leicht. Eine Schwierigkeit: Langeweile. Tagsüber sind viele der Bewohner in der Stadt unterwegs. In einem der Gänge hängt eine Übersicht mit Anlaufpunkten, von der Ca-Tee-Drale bis zum Café Hotspot. "Wir wurden am Anfang gefragt, wie man denn zum Bahnhof kommt", erzählt Alexander Peter. Die DRK-Mitarbeiter dachten, die Asylbewerber wollten fort aus Görlitz - doch abends waren alle wieder da. Irgendwann stellte sich dann heraus, erzählt Peter mit einem Schmunzeln, dass es gar nicht um den Bahnhof ging, sondern um die anliegende obere Berliner Straße, wo es syrisch geführte Geschäfte und Lebensmittel aus der Heimat gibt.

"Die Stimmung ist gut im Haus"

Nicht selten, erzählt Nicola Barth, bringen die Bewohner Kleinigkeiten wie Schokolade für das Personal mit. "Oder für uns wird mit gekocht." Abends kochen die Bewohner meist zusammen, den Hut hat dann Hamada Othman auf. "Ich hatte früher mein eigenes Restaurant", erzählt er. Ein sehr zurückhaltender Mann, aber übers Kochen kann man sich gut mit ihm unterhalten. Er selbst kocht am liebsten orientalische Fleischgerichte - aber die östliche Küche sei so reich, gebe so viele Möglichkeiten her. Es gehe ihm ganz gut in Görlitz, sagt er. Seine große Hoffnung: dass seine Familie nachkommen kann. Drei Kinder hat Hamada Othman, "sie sind derzeit in Syrien in einer kritischen Situation", schildert er.

Es sieht aktuell schwierig aus mit Familiennachzug, erklärt Daniel Schädlich später. Es ist immer abhängig davon, wie auf Bundesebene die politische und die Sicherheitslage in einer Region eingeschätzt wird. Es sind solche Fragen, mit denen die Bewohner sich an ihn und vor allem Nicola Barth als Sozialbetreuerin wenden.

In der Gemeinschaftsunterkunft sieht es aus wie im November, nur jetzt eben bewohnt. In beiden Etagen sind Räume mit Doppelstockbetten für die Bewohner, Küchen und Sanitärräume - die Duschanlagen etwa stammen noch von 2015. "Ein paar Dinge konnten wir von damals übernehmen", erzählt Alexander Peter. Im unteren Geschoss sind außerdem das Lager mit Decken, Geschirr, Reinigungsmitteln, Töpfen und so weiter, der Sicherheitsraum, ein bislang ungenutzter Quarantäneraum, der Aufenthaltsraum des Personals. Und oben befindet sich unter anderem Nicola Barths Büro, vor dem sich eine kleine Warteschlange gebildet hat.

Linda Kunadt (li) und Nicola Barth übernehmen die soziale Betreuung im Asylheim.
Linda Kunadt (li) und Nicola Barth übernehmen die soziale Betreuung im Asylheim. © Martin Schneider

Wie funktioniert das mit der Krankenkasse, wie kann man ein Konto eröffnen, darf man Freunde oder Bekannte andernorts in Deutschland besuchen - um diese Fragen geht es hier. "Ganz oft höre ich die Frage, wie man schnell Arbeit finden kann", schildert Nicola Barth. Dafür wurden auf Bundesebene Erleichterungen geschaffen. In der Theorie dürfen Asylbewerber künftig nach drei Monaten eine Arbeit aufnehmen, sofern sie nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben. Doch in vielen Fällen gelten deutlich längere Fristen. Und zunächst braucht es einen Aufenthaltsstatus. Und dazu kommt die Sprachbarriere.

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Von den 60 Bewohnern ist noch niemand in einem Deutschkurs. Schlicht, weil es zu wenige Plätze gibt, schildert Alexander Peter. "Das ist ein ewiges Warten." Gerade für Geflüchtete aus dem arabischen Raum steht meist erst ein Alphabetisierungskurs an. Das hat nichts damit zu tun, dass so viele Flüchtlinge, wie in rechten Kreisen gern kolportiert, Analphabeten seien. Sondern es geht um das lateinische Alphabet. "Von diesen Kursen gibt es noch weniger." Einzelne erste deutsche Wörter haben sich manche Flüchtlinge inzwischen im Alltag angeeignet, größtenteils funktioniert die Kommunikation ansonsten über Google-Übersetzer.

Dabei seien unter den Bewohnern viele Berufe vertreten. Da ist zum Beispiel Yamen Alrejoo, ein junger Bus- und Taxifahrer. Auch er kommt aus Syrien. Hier bräuchte er einen deutschen Führerschein, erklärt er. "Aber ich werde versuchen, ihn zu bekommen", sagt er. Auf seinem Handy sucht er nach Fotos. Ganz vorne dabei: aktuelle Bilder seiner kleinen Tochter. "Meine Familie ist jetzt in Aleppo." Es gehe ihnen gut. Jeden Tag telefoniert er mit seiner Familie, "aber manchmal bricht die Verbindung ab." Das fröhliche Lächeln im Gesicht bleibt, aus den Augen verschwindet es.

Wenn selbst Wäschewaschen zum begehrten Job wird

Diese Themen, erzählt Nicola Barth, kommen in ihrem Büro weniger auf, sondern eher abends, im Gemeinschaftsraum. Sorgen um die Familie, die Gründe für die Flucht, mitunter traumatische Erfahrungen. Die Menschen, die jetzt in der Görlitzer Asylunterkunft leben, kamen voriges Jahr zu einer Zeit, als Schleuser immer skrupelloser wurden, die Schleusungen nicht selten lebensgefährlich. Wie sich ablenken? Yamen Alrejoo gehörte zu jenen, die gern im Begegnungscafé in der Peregrinus-Herberge waren, die jetzt aber wieder für den Gästebetrieb benötigt wird.

Einige Dinge, die die Bewohner sich wünschten, wurden für den Gemeinschaftsraum nachgekauft, erzählt Nicola Barth, kleine Sportgerätschaften. Oder es wird halt geputzt. Die Reinigungsarbeiten im Haus übernehmen die Bewohner selbst. In den Küchen hängen Listen, wer gerade womit dran ist - und wann genau gereinigt wurde. Meist stehen dort Uhrzeiten mitten in der Nacht. "Der Tagesablauf verschiebt sich nach hinten", erklärt Daniel Schädlich. "Geht uns ja nicht anders, wenn wir zum Beispiel Urlaub haben." Es gibt auch einen Wäschebeauftragten - das sei gar ein heiß begehrter Job. "Bevor einem die Decke auf den Kopf fällt..." Doch es gibt auch Hoffnung im Warten. Nicola Barth hat es inzwischen geschafft, etwa die Hälfte der Bewohner zum Deutschkurs anzumelden. Und die ersten 20 Bewohner werden bald in Wohnungen ziehen.