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Rabbiner: Neue Thora-Rolle für Görlitz mit alten Fragmenten

Vor Weihnachten übergab Pfarrer Uwe Mader Thora-Teile der Stadt. Sie sollen einst zur jüdischen Gemeinde Görlitz gehört haben. Jüdische Vertreter sehen keinen Grund, daran zu zweifeln.

Von Sebastian Beutler
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Die geretteten Thora-Rollen wurden am 16. Dezember im Görlitzer Rathaus vorgestellt.
Die geretteten Thora-Rollen wurden am 16. Dezember im Görlitzer Rathaus vorgestellt. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Alles, was Rang und Namen in der jüdischen Welt Sachsens hat, war nach Görlitz gekommen. Im Kleinen Saal des Görlitzer Rathauses kamen die Persönlichkeiten zusammen. Ihr eigentliches Thema: Wie geht es weiter mit den Thora-Überresten, die der frühere Görlitzer Pfarrer Uwe Mader vor Weihnachten der Stadt nach jahrelanger Aufbewahrung übergeben hatte? Doch es gab noch ein zweites Thema.

Das Gespräch fand bereits in den Winterferien statt, doch erst jetzt konnten sich alle Beteiligten auf eine Erklärung über das Treffen einigen, die am Donnerstag verbreitet wurde. Das liegt allerdings nicht daran, dass sie sich zerstritten hätten bei der Zusammenkunft, wie die SZ von Beteiligten erfuhr. Es geht eher um den innerjüdischen heiklen Umgang mit der Jüdischen Gemeinde in Görlitz.

Deren Vertreter Alex Jacobowitz trat nach der Thora-Übergabe im Görlitzer Rathaus öffentlich auf, witterte Antisemitismus, weil Mader die Fragmente nicht an einen jüdischen Vertreter, sondern an die Stadt übergeben hatte. Auch äußerte er den Verdacht, dass die Geschichte vermutlich ganz anders verlaufen ist.

Jedenfalls bezweifelte er in sozialen Netzwerken die guten Absichten von Maders Vater, dem als junger Polizist in der Reichspogromnacht die Fragmente in die Hand gedrückt wurden und der sie mithilfe anderer Görlitzer versteckte, bis sie Ende der 1960er Jahre wieder an seinen Sohn übergeben wurden. Der versteckte sie weiter bis jetzt.

Pfarrer Uwe Mader bei der Vorstellung der Thora-Fragmente.
Pfarrer Uwe Mader bei der Vorstellung der Thora-Fragmente. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Maders Haltung aber war nicht vordergründiger Gegenstand des Gespräches, sondern ob es in Görlitz denn nun eine Jüdische Gemeinde gibt. Das ist keine ganz nebensächliche Frage. Es geht darum, wer für die jüdische Glaubensgemeinschaft in Görlitz Entscheidungen treffen kann. Beispielsweise, wie man mit den Thora-Fragmenten umgeht.

Jüdische Gemeinschaften klären Zuständigkeiten

Und das haben die jüdischen Gemeinschaften in Sachsen nun geklärt. Laut Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Sachsen ist die Jüdische Gemeinde in Görlitz zurzeit eine Gemeinde im Aufbau, heißt es in der am Donnerstag nun verbreiteten gemeinsamen Pressemitteilung von Stadt und jüdischen Gemeinschaften. Rechtsnachfolger der ehemaligen Görlitzer Synagogengemeinde ist daher weiter die Jüdische Gemeinde in Dresden. Für alle religiösen Fragen ist gegenwärtig Landesrabbiner Zsolt Balla aus Leipzig Ansprechpartner.

Zugleich aber will der Landesverband den Aufbau einer Jüdischen Gemeinde in Görlitz unterstützen. "Die Geschichte der Thora-Teile darf und muss uns Anlass dafür sein, über die Zukunft jüdischen Lebens in Görlitz nachzudenken", wird Dr. Nora Goldbogen zitiert, Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Sachsen und Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden.

Und Zsolt Balla, Landesrabbiner des Freistaates Sachsen, erklärt: "Mit den gefundenen Teilen der Thora-Rolle ist ein Teil jüdischen Lebens nach Görlitz zurückgekehrt und soll mit dazu beitragen, eine lebendige Gemeinde aufzubauen und mit allen Bürgerinnen und Bürgern dies- und jenseits der Neiße in einen gemeinsamen Austausch zu treten."

Der Görlitzer Oberbürgermeister begrüßt sowohl die Klärung als auch die Aussicht auf eine Jüdische Gemeinde in Görlitz. "Ich begrüße ausdrücklich auch das vielfältige Engagement für die Würdigung und den Neuaufbau jahrhundertealter jüdischer Traditionen in unserer Stadt. Als deutsch-polnische Europastadt tragen wir eine besondere Verantwortung für die Pflege und freie Entfaltung unterschiedlicher Religionen und Konfessionen."

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (li.) verfolgt aufmerksam die Vorstellung der Thora-Fragmente. Bei dem Treffen zwischen Görlitz und den jüdischen Vertretern war für den Freistaat auch Dr. Thomas Feist dabei, Beauftragter der Landesregie
Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (li.) verfolgt aufmerksam die Vorstellung der Thora-Fragmente. Bei dem Treffen zwischen Görlitz und den jüdischen Vertretern war für den Freistaat auch Dr. Thomas Feist dabei, Beauftragter der Landesregie © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Thora-Fragmente scheinen echt zu sein

Nachdem diese Zuständigkeiten nun geklärt sind, kann auch die weitere Verwendung der Thora-Fragmente entschieden werden. An dem Treffen nahm auch Shaul Nekrich teil. Er ist Rabbiner der Gemeinde Kassel und ein Sofer, also ein Thora-Schreiber. Ursprünglich stammt Nekrich aus St. Petersburg, ging aber später nach Israel, wo er eine jüdische Ausbildung erhielt. Parallel dazu ließ er sich zum Programmierer und Computer-Ingenieur ausbilden. In den Vereinigten Staaten schließlich erlernte er den Beruf eines Thora-Schreibers.

Seine erste gründliche Prüfung der Thora-Teile bestätigte offenkundig die Echtheit der Dokumente. Jedenfalls gibt es keine Anhaltspunkte, dass die Geschichte von Pfarrer Uwe Mader nicht der Wahrheit entsprechen könnte und die Teile tatsächlich einst zur Thora in der Görlitzer Synagoge gehörten. Es handelt sich dabei um Teile der Mose-Bücher aus dem Alten Testament.

Landesrabbiner Zsolt Balla erklärte daher nun: "Die sehr gut erhaltenen Dokumente sollten Teil einer neuen Thora-Rolle werden". Diese Möglichkeit hatte auch Alex Jacobowitz nach einer Prüfung ins Spiel gebracht, die er selbst vor Weihnachten vorgenommen hatte. Insofern gibt es auch keinen Dissens, sondern große Übereinstimmung auf jüdischer Seite.

Das trifft auch auf Zustimmung der Stadt Görlitz, die sich nach den Worten von Oberbürgermeister Octavian Ursu nur als "Zwischenbewahrer der wertvollen Dokumentteile" sieht. "Die Entscheidung über den weiteren Umgang mit den Teilen liegt bei den jüdischen Vertretern. Diese wird die Stadt Görlitz selbstverständlich abwarten und respektieren". Zugleich erneuerte er seinen Vorschlag, über die Geschichte der Thora-Fragmente eine Ausstellung im Kulturforum Görlitzer Synagoge einzurichten.