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Hebamme in Not

Die Görlitzerin Kristina Seifert ist Hebamme mit Leib und Seele. Trotzdem suchte sie sich jetzt einen zweiten Job. Kein Einzelfall dieser Berufsgruppe.

Von Gabriela Lachnit
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Kristina Seifert ist Hebamme. Die Mutter von sechs Kindern ist zudem Stadträtin in Görlitz. Sie fällte jetzt eine Entscheidung, die ihr nicht leicht fiel.
Kristina Seifert ist Hebamme. Die Mutter von sechs Kindern ist zudem Stadträtin in Görlitz. Sie fällte jetzt eine Entscheidung, die ihr nicht leicht fiel. © André Schulze

Kristina Seifert ist keine Frau, die schnell hinwirft. Die Görlitzerin ist sechsfache Mutter und hat auch beruflich mit Kindern zu tun: Die 38-Jährige ist Hebamme - aus Berufung. Jetzt stand sie vor einer schweren Entscheidung, denn ihr Einkommen reichte einfach nicht mehr zum Leben aus.

Was also tun? Kristina Seifert fand für sich eine Lösung, mit der sie zumindest vorübergehend leben kann. "Wer weiß, vielleicht ändert sich die Situation", sagt sie und weiß, dass sie selbst dazu wenig beitragen kann.

Schöne Arbeit, tolles Ambiente und gutes Arbeitsklima

Kristina Seifert arbeitet im Krankenhaus Ebersbach im Oberland. Es gehört zu den Kliniken Oberlausitzer Bergland. Dort hat die Hebamme auf der Entbindungsstation feste Dienstzeiten, in denen sie den Babys in die Welt hilft und den Gebärenden beisteht. "Ich liebe meine Arbeit dort in diesem Krankenhaus, das Ambiente ist sehr schön, das Arbeitsklima auch. Alles stimmt", erklärt sie. Eine Rufbereitschaft bietet die Hebamme derzeit nicht an.

Ihre Liebe zum Beruf war der Grund, warum sie weiter Hebamme bleibt und sich einen zweiten Job suchte, um über die Runden zu kommen. Künftig wird sie zusätzlich als Krankenschwester in einer Arztpraxis tätig sein.

In Bedrängnis geriet Kristina Seifert nicht aus eigenem Verschulden. "Die Zahl der Geburten ging im Vergleich zu 2020 um knapp 20 Prozent zurück", erläutert sie. Vor allem aber konnte sie in der Pandemie keine Einnahmen aus Kursen für Schwangere und Mütter erzielen, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit waren. Denn Kurse für Geburtsvorbereitung und Rückbildungsgymnastik sowie Stillkurse auch in kleinen Gruppen waren und sind nicht erlaubt. "Die Frauen wollen die Hebamme sehen, brauchen ihre Anwesenheit. Online sind die Kurse nicht zu machen", erklärt Frau Seifert.

Versicherung ist unheimlich teuer

Was Kristina Seifert und ihre Berufskolleginnen - in Deutschland sind es etwa 25.000 nach Angaben des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) - aber am meisten vor finanzielle Schwierigkeiten stellt, ist der Beitrag für die Haftpflichtversicherung. Zwar gibt es in Sachsen einen Sicherstellungszuschuss von etwa 60 bis 70 Prozent des Versicherungsbeitrages, aber der wird rückwirkend gezahlt. Das heißt, die Hebamme geht zunächst in Vorleistung. Der Zeitverzug, bis der Zuschuss kommt, beträgt etwa ein Dreivierteljahr.

Genau das sieht auch der DHV als einen Grund, warum immer mehr Hebammen nicht mehr freiberuflich oder eben in einem anderen Beruf arbeiten. Vom Jahr 2000 mit 413 Euro (von D-Mark umgerechnet) hat sich die Haftpflichtversicherungsprämie bis 2021 auf 10.462 Euro entwickelt. Noch stärker fällt der Vergleich aus, zieht man das Jahr 1992 heran. Damals kostete eine Haftpflichtversicherung einer Hebamme umgerechnet 178,95 Euro. Bei der Haftpflichtprämie ist es egal, ob die Hebamme als Hausgeburts- oder Geburtshaushebamme viele oder nur wenige Geburten im Jahr begleitet.

Zahl der Geburten nimmt ab

Gleichzeitig sank die Zahl der Geburten. Das Entgelt für eine freiberufliche Hebamme wurde ebenfalls weniger. Erhielt sie Mitte 2014 beispielsweise für eine häusliche Geburt noch 703 Euro, waren es vier Jahre später nach Angaben des DHV nur noch 638 Euro, jeweils ohne Zuschläge.

Der Deutsche Hebammenverband fordert seit Langem eine tragfähige und zukunftssichere Lösung der Haftpflichtproblematik. Diese könne beispielsweise die Einführung eines Haftpflichtfonds sein, der für Schäden aufkommt, die über einer bestimmten Deckungssumme liegen. Außerdem fordert der Verband eine Haftungshöchstgrenze für Hebammen.

Arbeitsbedingungen an Kliniken verbessern

Auch die Situation von in Kliniken angestellten Hebammen ist nicht rosig, wie eine Umfrage des Hebammenverbandes ergab. Personalengpässe in Kliniken seien an der Tagesordnung. Fast die Hälfte der im Kreißsaal tätigen Hebammen betreut häufig drei Frauen parallel, manchmal sogar vier und mehr Frauen. Fast zwei Drittel der Hebammen müssen regelmäßig Vertretungen übernehmen. Sie können Pausen nicht einhalten und leisten immer mehr Überstunden. Häufig werden Hebammen für fachfremde Aufgaben eingesetzt. Kliniken besetzen oftmals freie Stellen nicht mehr. Schließen Kreißsäle ihre Türen ganz oder teilweise, müssen Schwangere notgedrungen in umliegende Kliniken ausweichen, die in den meisten Fällen jedoch kein zusätzliches Personal eingestellt haben.

Kristina Seifert jedenfalls hofft, mit ihrem Zweitjob zumindest finanziell besser über die Runden zu kommen. Und sie weiß auch, dass viele freiberufliche Hebammen in einer ähnlichen Misere stecken und deswegen wie sie zusätzlich als Krankenschwester arbeiten, Yoga-Kurse geben oder Babyschwimmen anbieten.

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