Seit 1994 gibt es das Mikrobiologische Labor in Görlitz, heute das Medizinische Labor Ostsachsen. Mit ungewöhnlichen Erregern hatte Mikrobiologe Roger Hillert in der Vergangenheit schon zu tun. Das Coronavirus stellt vor ganz neue Herausforderungen. Vor einer knappen Woche haben in Heimen und Kliniken des Kreises die Impfungen begonnen. Warum er diese für so wichtig hält:
Herr Dr. Hillert, Sie haben die allermeisten Proben aus den Landkreisen Görlitz und Bautzen untersucht. Wie viele waren es insgesamt dieses Jahr?
96.000 etwa. Vor allem die zweite Welle merken wir: Seit September waren es 66.000. Insgesamt fielen über 15.000 Tests positiv aus. Im August lagen wir bei einer Positivrate von rund 0,8, derzeit bei über 30 Prozent.
Sie haben Studenten angestellt, um den Arbeitsaufwand stemmen zu können. Wurden auch neue Geräte gekauft?
Bei den molekularbiologischen Geräten haben wir jetzt doppelt so viele wie voriges Jahr. Sie sind derzeit voll ausgelastet. Zum Glück hatten wir noch ein bisschen Platz.
Wie war es über Weihnachten?
Wir machen nicht jeden Tag alles, aber im Labor wurde täglich gearbeitet. Über die Feiertage konnten wir auch deshalb etwas kürzer treten, weil weniger Proben kamen. Das haben wir schon in den Tagen zuvor bemerkt. Einige Praxen hatten zu. Die geringere Zahl an Untersuchungen haben dazu geführt, dass die Fallzahlen über Weihnachten und Silvester deutlich sinken.
Die Ärzte wurden aber gebeten, ihre Praxen möglichst offen zu halten.
Viele machen das, dennoch gab es weniger offene Praxen. Ich nehme auch an, dass weniger Patienten über die Feiertage zum Arzt gegangen sind. Viele hatten frei, mussten also nicht krankgeschrieben werden. Vermutlich haben sich manche dann einfach zu Hause auskuriert. Diagnostisch werden damit die Fallzahlen sinken. Ob es einen tatsächlichen Rückgang gibt oder wir Pech haben, die Zahlen wieder nach oben gehen, werden wir ab 3. Januar sehen.
Was wäre das unglücklichste Szenario?
Im schlechtesten Fall liegen wir Mitte Januar deutlich über den Dezemberzahlen. Im Moment weiß noch niemand, wie sich der Lockdown in Kombination mit den Familientreffen über die Feiertage ausgewirkt hat. Alles reine Spekulation, die nicht vor dem 10. Januar aufgelöst wird. Insofern rechne ich mit einer Verlängerung des Lockdowns, zumal der wichtigste Parameter, die Auslastung der Intensivstationen, keinen Anlass zur Hoffnung zeigt.
Sie arbeiten seit über 30 Jahren in der Mikrobiologie. Gab es in dieser Zeit bei uns vergleichbare Szenarien wie das Coronavirus?
Coronaviren haben in der Mikrobiologie immer wieder eine Rolle gespielt. Mers und Sars etwa waren Coronaviren, aber sie haben sich nicht so verbreitet. Dann kam dieses Coronavirus. Ganz am Anfang war mein Gedanke: Ist mal wieder was los. Was man damals noch nicht wusste: dass dieses Virus so hoch infektiös ist. Nicht die Gefährlichkeit an sich macht uns zu schaffen. Die Letalität – also die Zahl der Menschen, die auf die Fallzahl gerechnet sterben – ist im Vergleich zur Grippe etwas, aber nicht stark erhöht. Der entscheidende Unterschied ist diese hohe Ansteckungsfähigkeit von Corona. Das macht das Ganze so kritisch und ist komplett neu, seit ich Mikrobiologie betreibe.
Hatten Sie im Labor auch Infektionen von Mitarbeitern?
Wir hatten einzelne infizierte Mitarbeiter. Wir können aber ausschließen, dass sie sich bei der Arbeit im Labor angesteckt haben. Es waren Infektionsketten im Privaten – auch wir sind ein Spiegel der Gesellschaft.
Viel Hoffnung wird nun in die Impfung gesetzt. Immer wieder ist die Rede vom "entscheidenden Schlüssel" zurück zu unserem alten Leben. Was bedeutet die Impfung für Sie?
Es ist im Moment die einzige Möglichkeit, aus der Nummer wieder rauszukommen. Eine andere Variante gibt es nicht, außer der Durchseuchung. Aber die dauert Jahre. Nur durch Impfung können wir unser altes Leben relativ zeitnah zurückbekommen. Wird sie nicht ausreichend angenommen, wird dieser Zustand – Lockdown, Öffnung, Lockdown – noch lange andauern. Die Impfung bedeutet für mich die Hoffnung, das beenden zu können.
In Deutschland werden mRNA-Impfstoffe eingesetzt. Immer wieder kommt die Frage, ob sie Einfluss haben auf das menschliche Erbgut. So sprach Thüringens AfD-Chef Björn Höcke von „Zwangsimpfung mit Erbgut veränderndem Impfstoff“. Auch wenn man die politische Intention solcher Aussagen vielleicht erklären kann, es gibt Unsicherheit, nicht nur bei Impfgegnern.
Bei der Impfung wird im Grunde ein kleiner Teil des natürlichen Prozesses der Infektion nachvollzogen. Das heißt, was bei der Impfung passiert, passiert bei der natürlichen Infektion auch, dort sogar noch stärker. Im Umkehrschluss: Die Risiken der Impfung können nie höher sein, als die der Infektion. Viele kennen den Film Spiderman. Ich finde den toll. Aber ich weiß, es ist ein Märchen. Man kann natürlich auch das Märchen vom erbgutverändernden Corona-Impfstoff erzählen. Tatsächlich kommt die mRNA gar nicht in Berührung mit der menschlichen DNA im Zellkern.
Zunächst wird ein bestimmter Teil der Boten-RNA, also der mRNA des Virus künstlich nachgebildet und mit Fetten umgeben, damit sie in die Zelle eingeschleust werden kann. Sie wird in den Muskel gespritzt, die Muskelzelle liest die Informationen, die auf der mRNA gespeichert sind, ab und bildet daraus ein Spike-Protein. Dieses wird dem Immunsystem präsentiert, das annimmt: Aha, da ist eine Virusinfektion, und bildet Antikörper und immunologische Gedächtniszellen. Danach ist die mRNA wieder weg aus der Zelle, da sie instabil ist und im Zellplasma schnell abgebaut wird.
Warum wurden dann solche Impfstoffe bislang kaum genutzt?
Die Corona-Pandemie hat die Impfstoffentwicklung um fünf bis zehn Jahre vorangeschoben. Jeder Impfstoff muss mit Probanden überprüft werden – das ist unter normalen Umständen unglaublich schwierig. Bei der Corona-Impfung konnten sich die Firmen vor Probanden kaum retten. Es wurden viel mehr Probanden in den Zulassungsstudien untersucht, als bei anderen Stoffen. Dadurch haben wir jetzt Impfstoffe, die viel moderner und auch sicherer sind als zuvor. Und die übrigens nicht besonders schnell zugelassen wurden.
Auch diesen Vorwurf gibt es immer wieder.
Man kann nie ausschließen, dass in einer langen Nachbeobachtungsphase Dinge auftreten, die man nicht erwartet hat. Tritt eine Nebenwirkung eins zu 100.000 auf, dann muss man erst eine Million Menschen impfen, um sie nachweisen zu können. Eine Nebenwirkung, die eins zu hundert auftritt, findet man dagegen schnell. Heißt, häufige Nebenwirkungen sind ausgeschlossen. Seltene sind möglich, aber schwer vorstellbar. Als Vorteil sehe ich bei den mRNA-Impfstoffen dabei, dass nicht mehr drin ist, als man braucht. Die Russen etwa arbeiten mit einem Vektor-Impfstoff. Geht auch, ist aber ein alter Ansatz.
Es braucht zwei Impfungen. Probanden gaben öfter an, dass sie nach der zweiten Nebenwirkungen spürten.
Man hat festgestellt, dass die Immunität nach der ersten Impfung einfach noch nicht ausreicht. Die zweite ist da, um die Immunabwehr noch mal richtig zu triggern. Deshalb hat sie auch mehr Nebenwirkungen, weil der Körper härter reagiert. Da kann es auch zu Fieber oder Schlappheit kommen. Ist aber ein gutes Zeichen.
Bei Beiträgen zur Impfung erscheinen in den sozialen Netzwerken häufig Kommentare wie „Nein danke, ich verzichte“. Auch laut Studien ist die Impfbereitschaft niedriger als im Frühjahr.
Man kann sich dieser Problematik von zwei Seiten nähern. Zum einen der persönlichen: Man kann sagen, ich lasse mich lieber impfen, als die Krankheit zu bekommen. Und von der gesellschaftlichen: Ich lasse mich impfen, damit die Krankheit zurückgedrängt wird. Andersrum kann ein 30-Jähriger sagen: Ich habe doch keine Angst vor Corona. Aber auch der 30-Jährige muss Maske tragen, kann seine Kinder nicht in die Kita geben, muss mit überlasteten Krankenhäusern leben. Man muss die gesellschaftliche Dimension sehen. Ich halte es für keine kluge Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen – persönlich, weil man die Krankheit bekommen kann, die mehr Risiken birgt als die Impfung. Wenn man sich nicht impfen lässt mit dem Argument, man selbst habe keine Angst vor der Erkrankung, halte ich das zumindest für eine verantwortungslose Entscheidung
Immer wieder Materialengpässe - bei immer höheren Testzahlen und einer steigenden Positivrate - wie behalten Sie in solchen Situationen die Nerven?
Es gibt Tage, an denen ich mich gestresst fühle. Aber an den meisten Tagen fühle ich mich nur herausgefordert. Sicher, man muss auch ein bisschen Spaß dran finden können, so im Zentrum des Geschehens zu stehen. Das Wichtigste ist aber, dass man Netzwerke hat, einander den Rücken stärkt, sich auf die Mitarbeiter und die Familie verlassen kann. Ich bin ja nicht allein. Traurig hat mich gemacht, dass ich zu Weihnachten nicht alle meine vier Kinder und drei Enkel sehen konnte. Die Kontakte so einzuschränken, sorgt schon für Momente, in denen man mal durchhängt. Aber ich sehe sie ja alle wieder.
Nicht viel. Wir haben einige Ärzte und Krankenhäuser, die auch auf Influenza testen lassen. Nicht in dem Maße wie in den Vorjahren, aber ja, wir testen. Und wir finden praktisch überhaupt keine Fälle. Normalerweise beginnt die Influenza-Welle im Juni auf der Südhalbkugel und breitet sich auf die Nordhalbkugel aus. Das scheint dieses Jahr wegen der fehlenden Reisetätigkeit auszufallen. Dazu kommt, dass die Influenza nicht so stark infektiös ist wie Corona. Die Regeln, die wir jetzt haben, und wie wir sie umsetzen, reichen offenbar nicht aus, um das Coronavirus einzudämmen - aber für das Influenza-Virus scheint es zu reichen.