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"Es ist klug, sich impfen zu lassen"

Roger Hillert ist der Gründer des Medizinischen Labors in Görlitz. Wie er das 2020 erlebt hat. Und warum er für die Corona-Impfung plädiert.

Von Susanne Sodan
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Dr. med. Roger Hillert, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie im Medizinischer Labor Ostsachsen in Görlitz am 22.12.20
Foto: Paul Glaser / glaserfotografie.de
Dr. med. Roger Hillert, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie im Medizinischer Labor Ostsachsen in Görlitz am 22.12.20 Foto: Paul Glaser / glaserfotografie.de © Paul Glaser / glaserfotografie.d

Seit 1994 gibt es das Mikrobiologische Labor in Görlitz, heute das Medizinische Labor Ostsachsen. Mit ungewöhnlichen Erregern hatte Mikrobiologe Roger Hillert in der Vergangenheit schon zu tun. Das Coronavirus stellt vor ganz neue Herausforderungen. Vor einer knappen Woche haben in Heimen und Kliniken des Kreises die Impfungen begonnen. Warum er diese für so wichtig hält:

Herr Dr. Hillert, Sie haben die allermeisten Proben aus den Landkreisen Görlitz und Bautzen untersucht. Wie viele waren es insgesamt dieses Jahr?

96.000 etwa. Vor allem die zweite Welle merken wir: Seit September waren es 66.000. Insgesamt fielen über 15.000 Tests positiv aus. Im August lagen wir bei einer Positivrate von rund 0,8, derzeit bei über 30 Prozent.

Sie haben Studenten angestellt, um den Arbeitsaufwand stemmen zu können. Wurden auch neue Geräte gekauft?

Bei den molekularbiologischen Geräten haben wir jetzt doppelt so viele wie voriges Jahr. Sie sind derzeit voll ausgelastet. Zum Glück hatten wir noch ein bisschen Platz.

Wie war es über Weihnachten?

Wir machen nicht jeden Tag alles, aber im Labor wurde täglich gearbeitet. Über die Feiertage konnten wir auch deshalb etwas kürzer treten, weil weniger Proben kamen. Das haben wir schon in den Tagen zuvor bemerkt. Einige Praxen hatten zu. Die geringere Zahl an Untersuchungen haben dazu geführt, dass die Fallzahlen über Weihnachten und Silvester deutlich sinken.

Als das Bild entstand, war die Situation im Medizinischen Labor Ostsachsen noch eine andere. Inzwischen wurden hier rund 96.000 Proben auf das Coronavirus untersucht.
Als das Bild entstand, war die Situation im Medizinischen Labor Ostsachsen noch eine andere. Inzwischen wurden hier rund 96.000 Proben auf das Coronavirus untersucht. © Archiv: Pawel Sosnowski/80studio.net

Die Ärzte wurden aber gebeten, ihre Praxen möglichst offen zu halten.

Viele machen das, dennoch gab es weniger offene Praxen. Ich nehme auch an, dass weniger Patienten über die Feiertage zum Arzt gegangen sind. Viele hatten frei, mussten also nicht krankgeschrieben werden. Vermutlich haben sich manche dann einfach zu Hause auskuriert. Diagnostisch werden damit die Fallzahlen sinken. Ob es einen tatsächlichen Rückgang gibt oder wir Pech haben, die Zahlen wieder nach oben gehen, werden wir ab 3. Januar sehen.

Was wäre das unglücklichste Szenario?

Im schlechtesten Fall liegen wir Mitte Januar deutlich über den Dezemberzahlen. Im Moment weiß noch niemand, wie sich der Lockdown in Kombination mit den Familientreffen über die Feiertage ausgewirkt hat. Alles reine Spekulation, die nicht vor dem 10. Januar aufgelöst wird. Insofern rechne ich mit einer Verlängerung des Lockdowns, zumal der wichtigste Parameter, die Auslastung der Intensivstationen, keinen Anlass zur Hoffnung zeigt.

Sie arbeiten seit über 30 Jahren in der Mikrobiologie. Gab es in dieser Zeit bei uns vergleichbare Szenarien wie das Coronavirus?

Coronaviren haben in der Mikrobiologie immer wieder eine Rolle gespielt. Mers und Sars etwa waren Coronaviren, aber sie haben sich nicht so verbreitet. Dann kam dieses Coronavirus. Ganz am Anfang war mein Gedanke: Ist mal wieder was los. Was man damals noch nicht wusste: dass dieses Virus so hoch infektiös ist. Nicht die Gefährlichkeit an sich macht uns zu schaffen. Die Letalität – also die Zahl der Menschen, die auf die Fallzahl gerechnet sterben – ist im Vergleich zur Grippe etwas, aber nicht stark erhöht. Der entscheidende Unterschied ist diese hohe Ansteckungsfähigkeit von Corona. Das macht das Ganze so kritisch und ist komplett neu, seit ich Mikrobiologie betreibe.

Hatten Sie im Labor auch Infektionen von Mitarbeitern?

Wir hatten einzelne infizierte Mitarbeiter. Wir können aber ausschließen, dass sie sich bei der Arbeit im Labor angesteckt haben. Es waren Infektionsketten im Privaten – auch wir sind ein Spiegel der Gesellschaft.

Viel Hoffnung wird nun in die Impfung gesetzt. Immer wieder ist die Rede vom "entscheidenden Schlüssel" zurück zu unserem alten Leben. Was bedeutet die Impfung für Sie?

Es ist im Moment die einzige Möglichkeit, aus der Nummer wieder rauszukommen. Eine andere Variante gibt es nicht, außer der Durchseuchung. Aber die dauert Jahre. Nur durch Impfung können wir unser altes Leben relativ zeitnah zurückbekommen. Wird sie nicht ausreichend angenommen, wird dieser Zustand – Lockdown, Öffnung, Lockdown – noch lange andauern. Die Impfung bedeutet für mich die Hoffnung, das beenden zu können.

In Deutschland werden mRNA-Impfstoffe eingesetzt. Immer wieder kommt die Frage, ob sie Einfluss haben auf das menschliche Erbgut. So sprach Thüringens AfD-Chef Björn Höcke von „Zwangsimpfung mit Erbgut veränderndem Impfstoff“. Auch wenn man die politische Intention solcher Aussagen vielleicht erklären kann, es gibt Unsicherheit, nicht nur bei Impfgegnern.

Bei der Impfung wird im Grunde ein kleiner Teil des natürlichen Prozesses der Infektion nachvollzogen. Das heißt, was bei der Impfung passiert, passiert bei der natürlichen Infektion auch, dort sogar noch stärker. Im Umkehrschluss: Die Risiken der Impfung können nie höher sein, als die der Infektion. Viele kennen den Film Spiderman. Ich finde den toll. Aber ich weiß, es ist ein Märchen. Man kann natürlich auch das Märchen vom erbgutverändernden Corona-Impfstoff erzählen. Tatsächlich kommt die mRNA gar nicht in Berührung mit der menschlichen DNA im Zellkern.