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"Man kann in Görlitz keine Landratswahl gewinnen"

Politikwissenschaftler Julian Nejkow spricht über AfD-Erfolge in Görlitz, die Aussichten von Stephan Meyer und Enttäuschung über Mitte-Links-Parteien.

Von Susanne Sodan
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Für Stephan Meyer werden auch in den kommenden Wochen Termine anstehen wie hier bei den "Bürgern für Görlitz". Auch für Sebastian Wippel von der AfD geht der Wahlkampf in die Verlängerung.
Für Stephan Meyer werden auch in den kommenden Wochen Termine anstehen wie hier bei den "Bürgern für Görlitz". Auch für Sebastian Wippel von der AfD geht der Wahlkampf in die Verlängerung. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Rund 46 Prozent der Stimmen zur Landratswahl gingen im Kreis Görlitz an den CDU-Kandidaten Stephan Meyer, 35,5 Prozent an Sebastian Wippel von der AfD. Heißt, es wird einen zweiten Wahlgang geben. Das war absehbar. Und doch hatte der erste Wahlgang am Sonntag ein paar Überraschungsmomente, sagt der Görlitzer Politikwissenschaftler Julian Nejkow.

Julian Nejkow ist Politikwissenschaftler, seinen Abschluss absolvierte er an der TU Dresden. Seit 2015 lebt er in Görlitz und moderiert unter anderem den Podcast "Nach meiner Kenntnis sofort" über Politik und Gesellschaft in Ostdeutschland.
Julian Nejkow ist Politikwissenschaftler, seinen Abschluss absolvierte er an der TU Dresden. Seit 2015 lebt er in Görlitz und moderiert unter anderem den Podcast "Nach meiner Kenntnis sofort" über Politik und Gesellschaft in Ostdeutschland. © Mario Heller

Herr Nejkow, Sie befassen sich seit Jahren mit der Gesellschaft in Ostsachsen. Gab es für Sie Überraschungen bei der Landratswahl im Kreis Görlitz?

Auf jeden Fall die Wahlbeteiligung von fast 50 Prozent. Bei der Landratswahl vor sieben Jahren lag sie bei rund 36 Prozent. Jetzt lag der Landkreis Görlitz bei der Wahlbeteiligung sogar leicht höher als in anderen Kommunen Sachsens. Es gibt also zumindest doch ein gewisses Interesse an der Politik im Kleinen.

Aber so viel sind knapp 50 Prozent nicht, oder?

Es geht besser, ja. Aber wir müssen uns in Deutschland verabschieden von Traum-Wahlbeteiligungen, wie sie in den 70er oder 80er Jahren herrschten, als auch bei Landratswahlen bis zu 80 Prozent der Bürger an die Wahlurne gingen. Diese Zeiten sind vorbei. Aber wir können aktuell doch eine kleine Trendwende beobachten. Überrascht hat mich dabei auch, wie differenziert die Menschen gewählt haben.

Inwiefern?

Ich habe mit einer Zuspitzung zwischen Stephan Meyer von der CDU und Sebastian Wippel von der AfD gerechnet. Aber die Bürger haben ein deutlicheres Zeichen für den CDU-Kandidaten gesetzt als vermutet. Kristin Schütz von der FDP hat einen inhaltlich starken Wahlkampf geliefert und war damit für acht Prozent durchaus eine Alternative. Überrascht hat mich, dass zehn Prozent den unabhängigen Kandidaten Sylvio Arndt wählten. Seinen Wahlkampf möchte ich nicht bewerten. Ich mutmaße, die meisten seiner Stimmen kommen von Protestwählern, die schon dem demokratischen Lager zuzuordnen sind, aber Herrn Meyer nicht einfach durchmarschieren lassen wollten. Wähler, die der CDU einen Warnschuss geben - aber nicht AfD als Protest wählen wollten. Deshalb finde ich dieses Ergebnis gar nicht schlecht, weil es eine differenziertere Auseinandersetzung zeigt.

Man kann die Landratswahl nicht mit Bürgermeisterwahlen vergleichen. Tut man es doch, und rechnet die Wahlbeteiligungen ein, hat der AfD-Kandidat am Sonntag in der Stadt Görlitz ein leicht besseres Ergebnis eingefahren als zur OB-Wahl 2019, wo er ebenfalls kandidierte.

Das ist weder verwunderlich noch schlimm. Herrn Wippels Wahlkampf war sehr zentralisiert auf Görlitz und das Umland. Über Herrn Meyer wurde gesagt, er sei vor allem im Süden des Kreises bekannt, im Norden kaum. Aber er ist von Pontius zu Pilatus gelaufen, um das zu ändern. Sebastian Wippel war auch in anderen Orten im Kreis, aber in Görlitz lag das Zentrum seines Wahlkampfes, hier war auch seine Abschlussveranstaltung mit Alice Weidel, Tino Chrupalla und Jörg Urban von der AfD. Man kann aber in Görlitz keine Landratswahl gewinnen - weil drumherum eben noch 160.000 Wahlberechtigte leben. Und die haben, besonders im südlichen Landkreis, für Herrn Meyer ein Zeichen gesetzt.

Sie selbst sind eher dem Spektrum Mitte-Links zuzuordnen. Sind Sie enttäuscht, dass weder Bündnisgrüne, noch Linke oder SPD einen Kandidaten ins Rennen geschickt haben?

Dass Differenzierung gewünscht ist, war zu sehen. Knapp 20 Prozent wollten weder Meyer noch Wippel, auf die alles ausgelegt war. Daher, ja, es ist es schade, dass nicht noch mehr Auswahl bestand. Ich finde, es war auch ein fairer Wahlkampf. Hass in den sozialen Medien gegen Lokalpolitiker ist tatsächlich ein Grund, warum manche sagen: Nein, das tue ich mir nicht an. Auf der anderen Seite: Als in Dresden zuletzt ein neuer Kulturbürgermeister gewählt wurde, haben sich fast 300 Kandidaten beworben. Wir hier in Görlitz hatten neun Bewerbungen, warum trauen sich nicht mehr? Das ist schade, weil sich dann auch weniger Menschen damit befassen. Deshalb bewundere ich es, wenn sich Leute wie Sylvio Arndt nach vorne trauen. Persönlich halte ich ihn für nicht wählbar. Trotzdem, auch wenn sie keine Chance haben, gebührt solchen Leuten Unterstützung, damit noch mehr Menschen sich trauen.

2019 trat auch Franziska Schubert von den Grünen zur OB-Wahl in Görlitz an. Sie zog zugunsten des CDU-Kandidaten Octavian Ursu im zweiten Wahlgang zurück. Das soll nicht schön gelaufen sein. Nun empfahlen die Grünen Stephan Meyer, von Frau Schubert findet man auch Einschätzungen zur Landratswahl in den sozialen Netzwerken, aber eben eher von der Seitenlinie. Schmerzt die OB-Wahl noch zu sehr, oder warum haben etwa die Grünen niemanden ins Rennen geschickt?

Octavian Ursu (CDU) und Franziska Schubert (Bündnisgrüne) bei der Debatte der OB-Kandidaten im Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz vor drei Jahren. Franziska Schubert zog damals den Kürzeren.
Octavian Ursu (CDU) und Franziska Schubert (Bündnisgrüne) bei der Debatte der OB-Kandidaten im Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz vor drei Jahren. Franziska Schubert zog damals den Kürzeren. © Archiv: Pawel Sosnowski

Ich denke, Franziska Schubert ist Profi genug, um zu verstehen, was damals passiert ist. Es gab Fehler in ihrem Wahlkampf, sie war zum Beispiel in den Außenbezirken von Görlitz zu wenig präsent. Ich glaube aber nicht, dass das bis heute schmerzt. Ich denke, mit ihren Kommentaren auf Facebook will sie klarmachen: Das Feld müsste größer sein. Natürlich ist es dann ein bisschen schwach, selber keinen Kandidaten zu schicken.

Warum ist das so, auch bei anderen Parteien?

Ich sehe die zunehmenden Angriffe auf Lokalpolitiker als einen Grund. Der zweite Grund sind fehlende Strukturen und schwache Kreisverbände der Parteien. So entscheidet man sich erst gar nicht bei schlechten Chancen. Das mag plausibel klingen, schadet aber der Demokratie. Wenn wir uns Mittelsachsen ansehen, wo am Sonntag ein parteiloser Kandidat, der Bürgermeister von Augustusburg, es auf den ersten Platz bei der Landratswahl geschafft hat - es kann funktionieren. Wenn man guten Wahlkampf macht, wird das gewürdigt, gerade bei Wahlen, bei denen die Person im Vordergrund steht. Deshalb vermute ich, dass Stephan Meyer im zweiten Wahlgang gewinnen wird. So, wie er das Amt versteht, halte ich ihn auch für den besten Kandidaten. Er hat ehrlich gesagt, was dieses Amt kann - und was nicht. Da hat man von Herrn Wippel Ziele und Themen gehört, die das Amt des Landrates überschreiten würden. Das halte ich für gefährlich.