SZ + Görlitz
Merken

Sachsen weiß nichts über Linksextreme in Reichenbach

Den Sicherheitsbehörden liegen keine Informationen vor. Für die AfD stellt sich der Sinn des Geheimdienstes. Nicht zufällig im Moment.

Von Constanze Junghanß & Sebastian Beutler
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Um diese Villa in Reichenbach geht es.
Um diese Villa in Reichenbach geht es. © Pawel Sosnowski/80studio.net

Still und heimlich erwarb eine linksradikale Partei über einen Strohmann-Verein eine Villa in Reichenbach. Aber was dort passiert, ist in der Stadt selbst wenig bekannt. Doch nicht nur da.

Die sächsischen Verfassungsschutzbehörden haben auch keine weiteren Informationen über die Aktivitäten der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) in Reichenbach. Das geht aus Antworten des sächsischen Innenministers Roland Wöller auf Fragen des Görlitzer AfD-Landtagsabgeordneten Sebastian Wippel hervor. Dieser wollte wissen, wie viele Immobilien die Partei im Landkreis Görlitz nutzt, welche Aktivitäten wie Vorträge oder Informationsstände durchgeführt wurden und welche Verbindungen zur gewalttätigen linksradikalen Szene in Sachsen bestehen.

Sicherheitsbehörden tauschen sich aus

Nach Berichten von SZ und sächsische.de gehört die sogenannte Lingnau-Villa in Reichenbach zum Vermögensverwaltungsverband Horster Mitte aus Nordrhein-Westfalen. Dieser Verein verwaltet die Immobilien der MLPD als Treuhänder. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte die Sprecherin des sächsischen Verfassungsschutzes gegenüber der SZ erklärt, dass konkrete Aussagen für Reichenbach aus "nachrichtendienstlichen Gründen" nicht möglich seien.

Das Dresdner Innenministerium stellt nun gegenüber SZ und sächsische.de fest: "Dem Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen liegen keine aktuellen Erkenntnisse über sächsische Extremisten im Zusammenhang mit der angefragten Villa in Reichenbach" vor. Der Verfassungsschutz stehe jedoch im Austausch mit den Behörden anderer Länder sowie dem Bundesamt für Verfassungsschutz.

Wippel hält die Unwissenheit des Innenministeriums jedoch für unverantwortlich und für ein Versagen der sächsischen Sicherheitsbehörden: "Warum braucht es einen inländischen Geheimdienst als Beobachtungsbehörde wie den 'Verfassungsschutz', wenn normale Zeitungsleser bereits besser informiert sind?" Wippels Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz kommen zu einem heiklen Zeitpunkt für seine AfD selbst: Medienberichten zufolge wird Anfang nächster Woche entschieden, dass die gesamte AfD als Verdachtsfall für eine extreme Partei eingestuft und anschließend vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Die "Rote Fahne", die Parteizeitung der MLPD , veröffentlichte Mitte November, dass die Villa in Reichenbach als "Freundschaftshaus für Veranstaltungen und internationale Treffen" dienen soll. Ab 2021 planen die Linksextremisten eine "Subbotnik-Bewegung für den Bau der Villa".

MLPD isoliert und wenig aktiv

Die MLPD hat bundesweit 2.300 Mitglieder und ist damit nach der DKP die zweitgrößte kommunistische Partei in Deutschland. Die MLPD machte landesweit Schlagzeilen, als sie im Juni vor ihrem Hauptquartier in Gelsenkirchen eine Lenin-Statue enthüllte. Die Stadt im Ruhrgebiet hatte erfolglos versucht, die Errichtung des Denkmals zu verhindern.

Es ist nicht bekannt, wie viele Mitglieder die MLPD in Sachsen hat. Der sächsische Verfassungsschutz gibt momentan die Zahl der Mitglieder aller orthodoxen linksextremen Gruppen mit rund 110 an, was 30 weniger wären als im Verfassungsschutzbericht 2019.

Neben diesen Parteien und Organisationen wie der Kommunistischen Plattform der Linkspartei oder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der MLPD gibt es in Sachsen gewalttätige Linksextremisten, die die größte Gruppe mit 415 Mitgliedern ausmachen sowie andere Linksextremisten wie die Revolutionäre Jugend in Dresden, denen rund 205 Menschen zugerechnet werden. Insgesamt schätzen die Sicherheitsbehörden die Zahl der Linksextremisten in Sachsen auf 760.

Die MLPD befürwortet die Errichtung der Diktatur des Proletariats. So steht es in der Präambel ihres Parteistatuts. Laut Verfassungsschutz verteidigt die Partei auch das Erbe von Stalin und Mao und ist damit selbst unter den linksextremen Parteien isoliert. Weil die MLPD den Kommunismus anstrebt und damit die liberale Grundordnung der Bundesrepublik infrage stellt, wird sie von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Politikwissenschaftler betrachten die Partei als politische Sekte.

Rechtsextremismus das größere Problem im Kreis Görlitz

Die Zentren des Linksextremismus in Sachsen sind die drei großen Städte, insbesondere Leipzig. Auch finden die meisten linksextremen Straftaten hier statt. Dresden und Chemnitz folgen mit Abstand.

Wenn es um Straftaten in ländlichen Gebieten geht, sind es zumeist Streitigkeiten mit dem politischen Gegner, nicht zuletzt der AfD. Im Landkreis Görlitz stieg die Zahl der linksextremen Straftaten im Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr von 32 auf 65 , die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist jedoch deutlich höher. Für den Landkreis Görlitz erwähnt der Verfassungsschutzbericht Sachsens 197 Straftaten für 2019, 29 mehr als 2018. Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Görlitz werden bis zu 250 Personen zugeschrieben.

Mehr Nachrichten aus Görlitz lesen Sie hier

Mehr Nachrichten aus Niesky lesen Sie hier