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Corona: Tagesmütter vermissen "ihre" Kinder

Genau wie Kitas dürfen im Kreis Görlitz auch die Kindertagespflegen zurzeit nur eine Notbetreuung anbieten. Manchen erschwert das die Arbeit sehr.

Von Ines Eifler
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Für ein Foto auf Abstand hat die Tagesmutter Kerstin Lichthorn die Tagesmutter Peggy Beyer in ihre zur Zeit verwaiste Görlitzer "Kinderwohnung" eingeladen.
Für ein Foto auf Abstand hat die Tagesmutter Kerstin Lichthorn die Tagesmutter Peggy Beyer in ihre zur Zeit verwaiste Görlitzer "Kinderwohnung" eingeladen. © Paul Glaser

So kalt ist es in der "Kinderwohnung" von Kerstin Lichthorn, dass sie ihren Schal gar nicht erst ablegen mag. Doch zu heizen braucht sie diese Wohnung in der Görlitzer Emmerichstraße im Moment nicht, denn seit Mitte Dezember ist die Tagesmutter nur sporadisch hier, um nach dem Rechten zu schauen. "Ihre" Kinder hat sie zuletzt vor sechs Wochen gesehen. Frühestens Mitte Februar wird sie die Kinder voraussichtlich wieder betreuen können.

"Eine so lange Zeit ganz ohne Kinder habe ich noch nie erlebt, sie fehlen mir sehr", sagt Kerstin Lichthorn, die viele noch als Kerstin Küchler kennen und die vor ihrer Görlitzer Zeit seit 2005 in Dresden Kinder betreute.

Manche Tagesmütter sind jetzt ohne Kinder

Genau wie Kindertagesstätten dürfen auch Tagesmütter – in Görlitz zehn, in Schöpstal, Niederseifersdorf und Hilbersdorf je eine – zurzeit nur eine Notbetreuung anbieten. Aber weil sie jeweils höchstens fünf Kinder im Krippenalter versorgen, kommt es vor, dass bei manchen kein einziges Kind da ist. "Alle Eltern 'meiner' Kinder arbeiten nicht in 'systemrelevanten' Berufen", sagt Kerstin Lichthorn, "also sind die Kinder zu Hause."

Dort seien gerade die Kleinen sowieso am liebsten, wenn die Eltern nicht arbeiten. Auch habe sie habe trotzdem einige Schreibarbeiten zu erledigen, bereite sich auf zwei neue Kinder vor und halte Kontakt zu den Familien. "Ich rufe gern mal an, frage, wie es geht, oder schicke Anregungen zur Beschäftigung mit den Kindern", sagt sie.

Dennoch gehe die lange Pause mit einer Entfremdung der Kinder ihr gegenüber einher. "Ich war so froh, dass nach dem Sommer alle gut eingewöhnt waren", sagt Kerstin Lichthorn. Doch dann kam der Lockdown. "Danach werden wir mit der Eingewöhnung von vorn beginnen müssen."

Schlechtes Gewissen gegenüber den Eltern

Peggy Beyer – Tagesmutter im Mühlweg – sagt, sie habe das Glück, zumindest drei "ihrer" fünf Kinder betreuen zu können. "Darüber bin ich wirklich froh, ganz anders geht es Kolleginnen, die nur ein Kind betreuen können." Dennoch habe sie gegenüber den Eltern ein schlechtes Gewissen, dass sie nicht alle Kinder nehmen könne. Denn selbst wenn die Eltern nicht in systemrelevanten Berufen arbeiten – von der Arbeit freigestellt seien sie ja trotzdem nicht. "Doch wir bekämpfen schließlich eine Pandemie und müssen die Einschränkungen in Kauf nehmen."

Auch für die Kinder in der Notbetreuung sei es nicht einfach, wenn einige Kinder fehlen, denn so eine kleine Gruppe wachse eng zusammen. "Besonders in der ersten Woche des Lockdowns fragten sie ständig, wo die anderen seien", sagt Peggy Beyer. Der Tisch werde für weniger Kinder als sonst gedeckt, ein Teil der Garderobe bleibe leer, da würden die abwesenden Kinder schnell vermisst.

Das bestätigt die Tagesmutter Ines Schmidt in Nieder Seifersdorf. Auch sie betreut zur Zeit meist drei von fünf Kindern. "Die Kinder zählen durch, fragen und sind glücklich, wenn ein weiteres Kinder dazukommt", sagt sie.

Wenn nur ein einziges Kind betreut wird

Zu den Tagesmüttern, die in den vergangenen Wochen nur ein einziges Kind betreut haben, gehören Annett Queißer in Hilbersdorf und Andrea Böhler, die ihre Kindertagespflege seit 2018 auf der Bautzener Straße in Görlitz betreibt. Die Hilbersdorfer Tagesmutter sagt, es sei viel schöner, wenn alle Kinder da sind, aber die Betreuung nur eines Kindes habe auch Vorteile. "Es kann jetzt genießen, mehr Spielzeit zu haben und die volle Zuwendung zu bekommen."

Andrea Böhler sagt, ein einziges Kind zu betreuen, sei nicht immer einfach. "Vor allem leidet das Kind je nach Alter darunter." Es bekomme zwar mehr Zuwendung, aber der Kontakt zu den anderen Kindern sei wichtig, die Gruppendynamik fehle jetzt. "Ich habe das gesamte vergangene Jahr als enorm anstrengend empfunden, sowohl für die Eltern, für die Kinder als auch für mich als Tagesmutter", sagt sie. Manche Kinder, die während des Lockdowns von ihrer Tagespflege in den Kindergarten wechselten, hätten sich nicht einmal von allen verabschieden können. "Für die anderen Kinder war es extrem merkwürdig, dass einige irgendwann plötzlich nicht mehr da waren."

Eingewöhnung im Freien

Auch die Eingewöhnung gestalte sich in diesen Zeiten schwierig, sagt Andrea Böhler. Weil Eltern seit März die Kinderwohnungen der Tagesmütter nicht betreten dürfen, machte sie die Kinder im Sommer im Garten im Beisein eines Elternteils mit den anderen vertraut und gewöhnte sie dort langsam an die neue Situation. Andere Tagesmütter wichen auf Spielplätze aus. Aber jetzt im Winter?

Ein Kind, das seit Kurzem zur Eingewöhnung bei ihr sei, müsse von den Eltern an der Tür abgegeben werden, sagt Andrea Böhler. So gehe das Konzept eines allmählichen Vertrautwerdens der Kinder mit den fremden Räumen nicht gut auf, und die Eingewöhnung dauere länger. "Außerdem tun mir die Eltern der Kinder, die jetzt zu Hause sind, wirklich leid. Wie soll das gehen, im Homeoffice zu arbeiten, wenn nebenher zwei kleine Kinder Aufmerksamkeit brauchen, die gewöhnt sind, ihren Tag woanders zu verbringen?"

Hoffentlich bald wieder vollzählig

Nach dem ersten Lockdown war es für Tagesmütter aufgrund der überschaubaren Zahl von fünf Kindern etwas eher möglich als für Kitas, wieder alle Kinder unabhängig von der "Relevanz" der Berufe ihrer Eltern zu betreuen. Darauf hoffen die Tagesmütter auch jetzt wieder. "Wir wünschen uns vermutlich alle", sagt Andrea Böhler, "dass 'unsere' Kinder so schnell wie möglich wieder vollzählig sind."

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