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Görlitzer Siemens-Werk: 127 Jobs auf Kippe

Das zweite Sparprogramm in drei Jahren könnte wieder viele Stellen kosten. Dabei stehen die Produkte in Görlitz für die Energie-Zukunft.

Von Sebastian Beutler
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Das Görlitzer Turbinenwerk gehört jetzt zur Siemens Energy AG.
Das Görlitzer Turbinenwerk gehört jetzt zur Siemens Energy AG. © Nikolai Schmidt (Archiv)

Während in München Joe Kaeser am Mittwochmorgen seinen Abschied als Siemens-Chef nimmt, als "größte Führungspersönlichkeit" in der Geschichte von Siemens gewürdigt wird und die neue Siemens AG einen Gewinn von 1,5 Milliarden für das erste Quartal des Geschäftsjahres verkündet, sitzen die Mitarbeiter des Görlitzer Turbinenwerkes in ihrer Halle und hören eine ganz andere Geschichte.

Sie ist geprägt von einem neuen Unternehmen, zu dem sie jetzt gehören, der Siemens Energy AG, von der Energiewende und einem neuen Sparprogramm. Schon am Vortag sind erste Details bekannt geworden, nun gibt es die Zahlen für den Görlitzer Standort. Wie der SZ aus Unternehmenskreisen bestätigt wurde, sollen 127 Stellen dem Rotstift zum Opfer fallen. Dabei sah das erste Sparprogramm aus dem Jahre 2018 bereits die Streichung von 170 Stellen vor.

Belegschaft ist schockiert über Stellenabbau

Betriebsratsvorsitzender Ronny Zieschank (li.) kurz nach seiner Wahl im Mai 2018 mit dem damaligen Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege vor dem Görlitzer Siemens-Werk.
Betriebsratsvorsitzender Ronny Zieschank (li.) kurz nach seiner Wahl im Mai 2018 mit dem damaligen Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege vor dem Görlitzer Siemens-Werk. © Archivfoto: nikolaischmidt.de

Unklar ist, was die Basis für die neuerliche Stellenstreichung ist. Die Zielmarke von 720 Arbeitsplätzen, die nach dem ersten Sparprogramm erreicht werden sollte, oder der jetzige Bestand, der noch deutlich darüber liegt. Zudem sind auch im Görlitzer Werk mittlerweile neue Standbeine aufgebaut worden: das Wasserstoffzentrum als Kern des Siemens-Innovationscampus, der langfristig 100 neue Jobs bringen soll sowie das weltweite Zentrum des Industriedampfturbinengeschäfts, das auch über einen eigenständigen Vertrieb mit Niederlassungen in Brasilien, Indien und Tschechien verfügt. Verhalten hätten die Kollegen die Nachricht aufgenommen, sagt Betriebsratsvorsitzender Ronny Zieschank nach der Versammlung gegenüber SZ. Aber auch schockiert.

Trotzdem ist die Lage anders als 2017. Damals wollte Siemens-Chef Joe Kaeser den Standort schließen, obwohl die Kernprobleme des Kraftwerksgeschäfts eher die Werke in Mühlheim an der Ruhr und Berlin betrafen. Dort entstehen große Turbinen beispielsweise für Kohlekraftwerke, die kaum noch nachgefragt werden. Siemens Energy will sich künftig sogar, an solchen Ausschreibungen nicht mehr beteiligen. Nach der Ankündigung kämpfte eine ganze Stadt gegen die Schließung, Joe Kaeser kam nach Görlitz und Sachsens Ministerpräsident fuhr extra zu ihm in die Münchner Siemens-Zentrale. Gemeinsam wurde ein neues Konzept für Görlitz gestrickt.

Görlitz konzentriert sich auf Industriedampfturbinen und Wasserstoff

In dessen Mittelpunkt stehen die kleineren Industriedampfturbinen, die hier schon immer gebaut wurden und die überall dort nötig sind, wo Dampf entsteht, der wiederum in Strom zum Betrieb von Industrieanlagen umgewandelt wird. Gerade auf dieses Geschäft, die Elektrifizierung von Industrieprozessen, will sich die neue Siemens Energy AG konzentrieren. Zusammen mit dem Wasserstoff-Forschungslabor von Fraunhofer sieht sich eigentlich der Görlitzer Siemens-Standort für den Umbau der Industrie und die Energiewende gut gerüstet. Dort sollen künftig Anlagen getestet werden, in denen grüner Wasserstoff hergestellt wird. "Deswegen haben wir auch eine andere Sicht auf die Dinge", sagt Ronny Zieschank, "und werden uns jetzt die Pläne und Zahlen erst einmal anschauen."

Zusammen mit dem Gesamtbetriebsrat werde die Arbeitnehmerseite sich schließlich positionieren. Zieschank verweist auch wie tags zuvor Ostsachsens IG-Metall-Chef Jan Otto auf die Zukunftsvereinbarung, auf die sich die Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Siemens Energy Ende vergangener Woche verständigt hatten. Sie sieht einen Stellenabbau vor, der möglichst ohne Standortschließungen und ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen will. Darauf pochen nun die Arbeitnehmer. "Wir sollten die Mitarbeiter fördern und in die Zukunft begleiten", sagt Zieschank, und nicht rauswerfen. Deswegen sollte auch viel stärker darüber nachgedacht werden, wie Görlitz als Standort entwickelt werden kann.

Siemens Energy erreicht kleinen Gewinn

Die Siemens Energy AG will weltweit 7.800 der rund 90.000 Stellen abbauen. Das Unternehmen, das erst im vergangenen Jahr von Siemens abgespalten und an die Börse gebracht wurde, will seine Profitabilität steigern, um sich für die Transformation des Energiemarktes fit zu machen. Dessen Wandel stellt Energy vor Herausforderungen, denn es ist neben der Windenergie und Stromübertragung auch im Bereich fossiler Energien wie Kohle, Gas und Öl tätig.

Besonders betroffen von dem Stellenabbau, dem in Deutschland rund 3.000 Jobs bis 2025 zum Opfer fallen sollen, sind die Werke in Mühlheim, Berlin und Duisburg. Siemens Energy legt damit innerhalb von drei Jahren das zweite millionenschwere Sparprogramm auf. Dabei kehrte das Unternehmen schon jetzt in die schwarzen Zahlen zurück: Im ersten Quartal des Geschäftsjahres stand unterm Strich ein Plus von 99 Millionen Euro. (mit dpa)

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