SZ + Görlitz
Merken

Jäger aus Görlitz: "Zahl der Wölfe muss reduziert werden"

Der gescheiterte Abschuss eines Problemwolfes bei Löbau hat das ganze Dilemma aufgezeigt. Jäger Christian Berndt sieht das Gleichgewicht im Wald bedroht und warnt vor weitreichenden Folgen.

Von Frank Thümmler
 10 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Christian Berndt ist Jäger aus Leidenschaft. Der Görlitzer war 26 Jahre lang Vorsitzender des Jagdverbandes Niederschlesische Oberlausitz und ist derzeit Mitglied der Arbeitsgruppe Wolf des Landesjagdverbandes.
Christian Berndt ist Jäger aus Leidenschaft. Der Görlitzer war 26 Jahre lang Vorsitzender des Jagdverbandes Niederschlesische Oberlausitz und ist derzeit Mitglied der Arbeitsgruppe Wolf des Landesjagdverbandes. © privat

Kürzlich in Girbigsdorf bei Görlitz: Ein Grundstückseigentümer findet in seinem privaten Garten die Überreste eines Rehs, offensichtlich gerissen von einem Wolf. Das Reh ist wohl auf seiner erfolglosen Flucht so nahe an die Wohnbebauung geraten und dort dem Raubtier zum Opfer gefallen.

Meldungen wie diese sind nicht selten. Aus Löbau wird der bereits achte Wolfsangriff auf ein Wildgatter mit Damwild gemeldet. Für Christian Berndt (76), seit über 50 Jahren Jäger, ist das keine Überraschung, sondern eine Folge eines falschen Umgangs mit dem Thema Wolf, vor der er schon lange warnt.

Im SZ-Gespräch sagt er, warum die Zahl der Wölfe dringend reduziert werden muss, warum sich kein Jäger gefunden hat, der den „Löbauer Problemwolf“ abschießen wollte und was zu geschehen droht, wenn sich Wölfe weiter ungehemmt ausbreiten dürfen.

Herr Berndt, haben Sie etwas gegen Wölfe?

Ich bin Jäger seit 1970 und habe den ersten Wolf bemerkt im Jahr 1999 mit dem Rothenburger Siegfried Bruchholz, der damals Hauptförster im Wildforschungsgebiet Niederspree war. 2000 gab es dann den ersten Nachwuchs in der Muskauer Heide, das Wolfsbüro Lupus wurde gegründet. Seit über 20 Jahren gibt es nun Veranstaltungen zum Thema Wolf, und ich bin immer dafür eingetreten, dass die Wölfe reguliert werden. Zu DDR-Zeiten wurden die Wölfe erlegt, die damals von Polen eingewandert sind. Aus meiner Sicht ist der Wolf ein Wildtier wie jedes andere und alle Wildtiere sollen in ihrer Artenvielfalt gleich behandelt, gleich beschützt und gleich bejagt werden.

Sie haben also nicht prinzipiell etwas gegen den Wolf, aber treten dafür ein, dass der Bestand begrenzt wird?

Ja, regulieren auf ein vernünftiges Maß. Es geht ja nicht nur um die Nutztierhalter, sondern auch um das Wild. Wir Jäger sind ja nicht nur da, um Wild zu erlegen, sondern haben vor allem eine Hegeverpflichtung. Es geht um den Ausgleich zwischen dem Schalenwild und Raubwild, um den Schutz der Greifvögel. Wir pflanzen unter anderem auch Hecken, um nur ein Beispiel zu nennen. Das ist unser Hegeauftrag. Wir wollen das Schalenwild der Bevölkerung natürlich zeigen, aber auch einen Teil der Ernährung zuführen.

Dass der Wolf damals, vor über 20 Jahren unter besonderen Schutz gestellt wurde, war das richtig?

Es ist müßig, heute darüber zu diskutieren. Mit der Deutschen Einheit wurde uns auch das Bundesjagdgesetz übergestülpt. Da war der Wolf – anders als in der DDR – als schützenswerte Art festgeschrieben, obwohl es zu dieser Zeit keine Wölfe in Deutschland gab. Während vor der Wende einwandernde Wölfe abgeschossen wurden, angewiesen durch den staatlichen Forstbetrieb, war das nach der Wende verboten. Letztlich war das eine politische Entscheidung, die in den ersten zehn Jahren nach der Vereinigung kein Thema war. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie sich das alles auswirkt, gab es dann erst, als der Wolf da war. Damals war es so, dass der Wolf auf der polnischen Seite noch bejagt werden durfte und auch wurde, mit der Folge, dass er über die Neiße ausgewichen ist. Hier hatte er keine Verfolgung mehr und es bestand wohl schon damals ein Interesse, den Wolf hier anzusiedeln. Wie ich sicher von mehreren Förstern weiß, wurde damals sogar erlegtes Wild als Nahrungsquelle für diese Wölfe liegengelassen. Ideale Bedingungen für Nachwuchs also.

Verträgt unsere Kulturlandschaft aus Sicht eines Jägers überhaupt Wölfe?

Sie verträgt in geringem Maß Wölfe, wenn es abgestimmt ist auf das Territorium und wissenschaftlich ermittelt wurde, wie viel Wölfe pro 100 Quadratkilometer, also in einem Raster von zehn mal zehn Kilometern zulässig sind. Unsere Kulturlandschaft mit vielen urbanen Anteilen ist natürlich ein begrenzender Faktor.

Gibt es Erkenntnisse darüber, wie viele Wölfe die Region verträgt?

Das Forum Natur vom Landesjagdverband Brandenburg hat wissenschaftliche Unterlagen kommentiert und festgestellt, wie viele Wölfe in Brandenburg da sein dürfen, damit das Gleichgewicht mit dem Schalenwild gewahrt bleibt. Nach diesen Erkenntnissen wird der Höchststand überschritten. Demnach müssten 80 Wölfe entnommen werden. Für Sachsen gibt es diese Zahlen leider nicht, obwohl sie sicher ähnlich aussehen würden. Unsere Arbeitsgruppe Wolf des Landesjagdverbandes Sachsen wird in ihrem Bemühen dazu allein gelassen.

Können Sie trotzdem sagen, ob in unserer Region die Zahl der Wölfe, mit der das Gleichgewicht zum Schalenwild gewahrt bleibt, schon überschritten ist?

Dieser Zeitpunkt ist schon lange überschritten. Am Anfang waren noch genug Beutetiere da. Als das meiste Schalenwild, egal ob Rot-, Dam- oder Rehwild, gerissen war, sind die Wölfe eindeutig auf Gatterwild und Nutztiere, hauptsächlich Schafe ausgewichen. Auch weil sich das verbliebene Wild darauf eingestellt hatte, leichte Beute nur noch seltener zu machen war, Nahrung also wieder knapper wurde.

Gibt es Einigkeit darüber, wie viele Wölfe in Deutschland leben?

Es gibt eine offizielle Zahl, die durch die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf (DBBW) beim Senckenberg-Institut in Görlitz ermittelt wird. Demnach waren es mit Stand November 2022 insgesamt 161 bestätigte Rudel, 43 Paare und 21 territoriale Einzeltiere. Man geht – mit Welpen und Jährlingen in den Rudeln – von mindestens 1.175 Wölfen in Deutschland aus. Wir vermuten aber eine Dunkelziffer. Die Meldungen beruhen auf wissenschaftlichen Nachweisen von Wolfsexperten, die allerdings erst einmal – unter anderem von den Jägern vor Ort – über Rissfunde informiert werden müssen. Wir als Jagdverband werben zwar immer wieder dafür, Funde im Zusammenhang mit Wölfen zu melden, aber viele Jäger sagen mir, dass sie dessen müde geworden sind, auch weil ihre Meldung praktisch ja nichts bewirkt. Der Bauernverband zum Beispiel rechnet für dieses Jahr mit bis zu 2.722 Wölfen in Deutschland.

Reguliert sich der Wolfsbestand nicht von selbst, wenn das Nahrungsangebot geringer wird?

Die Wölfe steigen erstmal auf Weidetiere um, weil das Nahrungsangebot im Wald geringer geworden ist. Der Wolf wird sich regulieren, aber das ist kein vorausschauender Prozess der Wölfe. Sie werden umso verzweifelter nach Nahrung suchen, auch mehr Risiken eingehen. Wir müssen damit rechnen, dass die Angriffe auf Weidetiere zunehmen, ob das Schafe, Ziegen, Pferde, Kälber sind. Für uns ist das ein ganz klares Zeichen, dass das Gleichgewicht der Tiere im Wald gestört ist.