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Kretschmer trifft im Kreis Görlitz auf den Frust der Bürger

Die Sorgen auf dem Land in Sachsen sind groß. Einige davon kamen jetzt bei einem Besuch des Ministerpräsidenten in Reichenbach auf den Tisch.

Von Constanze Junghanß
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Im Reichenbacher Ortsteil Zoblitz fand eine Gesprächsrunde mit Michael Kretschmer, Landrat Stephan Meyer, Behördenvertretern und Bürgern aus dem Görlitzer Umland statt.
Im Reichenbacher Ortsteil Zoblitz fand eine Gesprächsrunde mit Michael Kretschmer, Landrat Stephan Meyer, Behördenvertretern und Bürgern aus dem Görlitzer Umland statt. © Constanze Junghanß

Zur Bushaltestelle lässt Joachim Ebermann seine Kinder nicht allein gehen. Zu gefährlich sei das, sagt er. Die Haltestelle bei Zoblitz, einem Ortsteil von Reichenbach, befindet sich direkt an der Bundesstraße 6. 70 Kilometer je Stunde dürfen die Autos da fahren. Vergangene Woche gab es wiederholt eine Geschwindigkeitskontrolle an der Stelle. 117 Kilometer je Stunde seien beim schnellsten Raser gemessen worden, schüttelt der Zoblitzer Joachim Ebermann den Kopf. Und das sei keine Seltenheit.

Wie man da als Anwohner sicher auf die gegenüberliegende Straßenseite zur Haltestelle oder auch zum Zug kommen soll, fragt sich der zweifache Vater. Er hofft ebenso wie die anderen Zoblitzer auf eine Lösung. Das Problem ist eines von vielen, die der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer und der Görlitzer Landrat Stephan Meyer zu hören bekommen. Der Zoblitzer Ortschaftsrat hatte am Mittwoch zu einem „Akteure-Treffen“ in die Gaststätte „Goldene Krone“ in Zoblitz gemeinsam mit dem CDU-Landtagsabgeordneten eingeladen. Mit Akteuren waren neben Ortschaftsräten unter anderem aus Meuselwitz, Sohland, Zoblitz und dem zu Löbau gehörendem Ortsteil Rosenhain Vertreter aus dem Reichenbacher Stadtrat, von Vereinen und Unternehmen gemeint.

Ein Potpourri an Themen kam auf den Tisch – von den Apothekersorgen im Land bis hin zum Krieg in der Ukraine und welche Meinung dazu vertreten wird. Gerhard Thiele, Ortsvorsteher von Meuselwitz, machte in der Runde deutlich, wie die Menschen auf den Dörfern Politik betrachten. „Das Vertrauen in der Bevölkerung schwindet“, sagte das CDU-Mitglied. Gerade in den Dörfern würden sich zwar viele Menschen in Eigeninitiativen engagieren, „aber die Parteienarbeit wird abgelehnt“, so seine Erfahrung. So packten die Meuselwitzer selbst an und sanierten in Eigenregie eine Brücke im Ort. „Das hat die Stadt keinen Cent gekostet“, berichtete Thiele, für den es unverständlich ist, dass für die Brücke Geld fehlt, für die Sanierung zweier behindertengerechter Bushaltestellen in Reichenbach dagegen eine halbe Million Euro, größtenteils Fördermittel, da sind.

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Ähnlich machten das die Mengelsdorfer, reparierten ein großes Schlagloch in Eigenregie. Selbsthilfe auf dem Dorf, wenn Antragsverfahren viel zu lange dauern, die Fördermittelbeschaffung sehr aufwendig ist oder die Mittel dafür gänzlich fehlen.

Viel Frust auch auf den Dörfern zum Thema öffentlicher Nahverkehr und den Ideen der Bundesregierung an deren Plan, bis zum Jahr 2030 15 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen bringen zu wollen. Ohne Auto sei man auf dem Dorf aufgeschmissen, wie Thiele an einem Beispiel verdeutlichte. Zu sechs Terminen in Görlitz, Reichenbach und Löbau musste der Ortsvorsteher an einem Tag. Ohne eigenes Fahrzeug sei das auf dem Land gar nicht machbar. Ein Stichwort für den Ministerpräsidenten offenbar, der betonte, dass die „Hälfte der Menschen in Deutschland im ländlichen Raum lebt“ und deshalb deren Argumente genauso viel Wert seien, wie die derer aus den Städten - zumal die Infrastruktur für Elektromobilität auf dem Land fehle.

An dieser Stelle an der B 6 bei Zoblitz registrierte das Landratsamt innerhalb von zehn Tagen im vergangenen Jahr fast 1.000 Raser, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielten. Hier soll eine Verkehrsinsel gebaut werden. Anwohner wünschen sic
An dieser Stelle an der B 6 bei Zoblitz registrierte das Landratsamt innerhalb von zehn Tagen im vergangenen Jahr fast 1.000 Raser, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielten. Hier soll eine Verkehrsinsel gebaut werden. Anwohner wünschen sic © Fotos: Constanze Junghanß

Öffentliche Busse fahren oft leer

Außerdem äußerte sich Kretschmer kritisch zum 49-Euro-Ticket. Das sei „eine Diskriminierung, wenn nur das Auto genutzt werden kann“, so der Politiker. Der Ministerpräsident plädiert deshalb „für eine Erhöhung der Pendlerpauschale.“ Die Taktbusse scheinen jedenfalls auch nicht die absolute Lösung für eine Umland-Verkehrswende. „Da fahren wir Geld spazieren“, räumte Landrat Stephan Meyer (CDU) ein. Denn die Busse bleiben – bis auf den Schülerverkehr – oft leer. „Heiße Luft“ würde da herumgefahren, formulierte Stephan Meyer. Es müsse geschaut werden, „wie der ÖPNV wieder passgerechter gemacht werden kann“, sagte der Landrat.

Bleibt noch das Fahrrad. Doch auch da hapert es, was den Ausbau der Radwege betrifft. An der B6 fehlen Teilstücke und auch an der S 124 zwischen Reichenbach und Döbschütz. „Wir sind mit dem Grunderwerb nicht vorangekommen“, erklärte Andreas Biesold, Leiter des Landesverkehrsamtes (Lasuv), Niederlassung Bautzen. Für die Region um Zoblitz bahnt sich jedoch Bewegung an. Ein Radweg soll auf der knapp sechs Kilometer langen Strecke zwischen Löbau und Reichenbach kommen. Und auch für die „Rennstrecke“ B 6 in Höhe von Zoblitz ist eine Verbesserung angedacht. Der schnellste Raser bretterte da 2022 mit 205 Kilometer je Stunde entlang. In einem Messzeitraum über zehn Tage im Juni 2022 wurden auf diesem Abschnitt 980 Geschwindigkeitsverstöße durch das Landratsamt Görlitz festgestellt und eine stationäre Messanlage als sinnvoll erachtet. Seitens des Lasuv wird offenbar über die Errichtung einer Verkehrsinsel nachgedacht, wurde bei der Veranstaltung deutlich. Die Zoblitzer hoffen zusätzlich auf einen stationären Blitzer.