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Großenhainer Schule wehrt sich gegen Gewalt - im eigenen Haus

Auf der Suche nach Lösungen: Schulleiter Thomas Jacobi und sein Team wollen Mobbing, Handgreiflichkeiten und verbale Attacken nicht hinnehmen.

Von Catharina Karlshaus
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Kein Tabuthema: Der Schulleiter der Großenhainer Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, Thomas Jacobi, wendet sich mit seinem Team entschieden gegen Gewalt, Mobbing und Vandalismus.
Kein Tabuthema: Der Schulleiter der Großenhainer Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, Thomas Jacobi, wendet sich mit seinem Team entschieden gegen Gewalt, Mobbing und Vandalismus. © Matthias Schumann

Großenhain. Gut ein Jahr ist es nun her. Als Thomas Jacobi im März 2023 mit Saechsische.de über die Zunahme der Gewaltbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen spricht, ist dem Leiter der Großenhainer Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen durchaus bewusst, ein heißes Eisen anzupacken. Eine äußerst bedenkliche Entwicklung - an der einzügigen Einrichtung lernen 121 Schüler aus allen Teilen des Landkreises Meißen in den Klassen 1 bis 9 -, die der 40-Jährige aber nicht einfach so hinnehmen möchte.

Gemeinsam mit Sächsische.de organisierte er im Juni einen Austausch mit Sachsens Kultusminister Christian Piwarz, Polizeipräsidenten Lutz Rodig und zahlreichen Fachleuten der Jugend- und Sozialarbeit. Ob sich die Situation inzwischen verbessert hat, erzählt der engagierte Pädagoge in einem berührenden Gespräch.

Herr Jacobi, es ist nicht so, dass wir uns seit dem Sommer nicht mehr gesehen haben. Bei meinem letzten Besuch an der Schule im November bedrohte ein Schüler geradewegs eine Lehrerin. Hat sich die Atmosphäre also nicht verändert?

Nein. Leider überhaupt nicht! Aber das Wort Atmosphäre beschreibt unsere Lage ehrlicherweise nicht richtig. Denn um eine solche bemühen sich all unsere Pädagogen, die Schulsozialarbeiterin, eine Schulassistentin und zwei pädagogische Fachkräfte jede Stunde aufs Neue. Wir alle möchten, dass die Kinder und Jugendlichen in einem entspannten und vertrauensvollen Klima lernen und einen gut strukturierten Schultag verbringen können. Einer, der von einem achtungsvollen Umgang und von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Dafür treten meine Kollegen und ich - so wie sicherlich in allen anderen Großenhainer Schulen - hier jeden Morgen an. Dafür haben wir schließlich diesen Beruf ergriffen. Aber bedauerlicherweise scheinen unsere Bemühungen nicht auszureichen.

Hemmschwellen der Jugendlich gesunken

Woran drohen diese Ihrer Meinung nach momentan zu scheitern? Immer noch eine Folge der Corona-Pandemie?

Ganz eindeutig nein! Die Probleme waren schon davor vorhanden. Der Unterschied ist allerdings, dass wir in der Vergangenheit mit eigenen Kräften und Möglichkeiten aufkommende Konflikte zwischen Schülern lösen konnten. Inzwischen hat sich die Dimension der Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen verschärft. Die Hemmschwellen, den anderen zu beleidigen, ihn zu beschimpfen, über die sozialen Netzwerke zu mobben oder auch körperlich zu attackieren, sind erheblich gesunken. Und vor allem haben wir eine weitere Eskalationsstufe erreicht. Die verbalen Beleidigungen und Bedrohungen machen auch vor unseren Pädagogen nicht mehr halt.

Was bedeutet das praktisch?

Das bedeutet praktisch, dass Kollegen aufgeschlitzte Fahrradschläuche zu beklagen hatten, sie beschimpft werden oder ihnen in Einzelfällen auch schon Gewalt angedroht worden ist. Das bedeutet außerdem praktisch, dass sich Schüler nach Unterrichtsende vor dem Schulgelände so schlagen, dass nicht nur der Arzt gerufen werden musste, sondern auch die Polizei. Jedes dieser Vorkommnisse melden wir dem zuständigen Revier in Großenhain. Aber eingedenk der bedenklichen Tatsache, dass die an solchen Auseinandersetzungen beteiligten Schüler mit elf und zwölf Jahren immer jünger werden, ändern diese Anzeigen grundsätzlich auch nichts am Verhalten der Akteure.

Nicht gelernt, mit Schwierigkeiten umzugehen

Worin sehen Sie die Ursache, dass Kinder und Jugendliche emotional so aus dem Ruder laufen?

Die Gründe sind vielfältig. Zuweilen mögen sie in der Konstitution der Schüler begründet sein. Aber es wäre viel zu einfach und vor allem viel zu leichtfertig, sich damit zufrieden zu geben, anhand der individuellen Besonderheiten unserer Kinder abwertend mit den Schultern zu zucken und zu sagen, ist ja eh kein Wunder. Aus meiner Sicht sind die Verhaltensauffälligkeiten nämlich leider auch Symptome unserer unruhigen und unsicheren Zeit. Die Eltern der Schüler sind mit zahlreichen Problemen belastet, haben mitunter nicht die nötige Aufmerksamkeit, die es bräuchte, um bereits im Anfangsstadium ein Konfliktpotenzial zu erkennen. Die Heranwachsenden haben häufig nicht gelernt, mit nicht so leichten Situationen umzugehen, diszipliniert zu sein, sind wenig emphatisch gegenüber anderen Menschen und ungeübt in der eigenen Wahrnehmung. Darüber hinaus erschweren schwierige familiäre Bedingungen teilweise das Heranwachsen und nicht zuletzt die fehlende Ausbildung von moralischen Werten, eigenen Lebenserwartungen und eben auch die Festlegung jener Spielregeln des Miteinanders.

Externe Fachleute werden jetzt Unterstützung geben

Eine Analyse, mit der sich doch aber arbeiten lässt?

Da haben Sie einerseits recht! Obgleich Schule eigentlich nicht zu 70 Prozent Erziehung bedeuten und doch vorrangig auf die Vermittlung von Wissen ausgerichtet sein sollte. Aber anderseits bemühen wir uns, tatsächlich genau dort anzusetzen. Dank der Unterstützung der Diakonie Meißen bringen wir gerade das Projekt Respekt Coaches auf den Weg. Das heißt, wir holen uns entsprechende Fachleute in die Schule, die von außen auf uns schauen, mit uns arbeiten und anhand der Analyse gemeinsam mit uns besprechen werden, wie wir es zusammen besser machen können.

Welchen Themen widmet sich das Projekt?

Im Rahmen des Unterrichts und in Workshops sowie bestehenden Ganztagesangeboten soll Diskriminierung ebenso eine Rolle spielen wie alle Formen von Extremismus, Rassismus, Geschlechterrollen, Fake News, Hass-Sprache, Zivilcourage, Zusammenhalt, Persönlichkeitsstärkung und vieles andere mehr. Ich selbst bin sehr gespannt und hoffe, wir erreichen damit die Schüler!

Bei allem Bemühen: Die Grenzen sind klar gezogen

Sie und Ihr Team werden also weiterhin um einen anderen Umgang an der Schule kämpfen?

Definitiv! Darauf haben wir uns verständigt. Und sind auch alle achtsam im Gespräch miteinander, um manche schwierige Situation ohne seelische Blessuren auszuhalten. Es wäre nur allzu verständlich, wenn ein lautstark beschimpfter Pädagoge den Rückzug antreten würde. Aber in der Sache würde das nichts ändern, dessen sind wir uns bewusst. Allerdings mache ich auch keinen Hehl daraus, dass die Grenzen klar gezogen sind. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie Mitschüler brutal zusammengeschlagen und Lehrer verbal massiv beschimpft werden. Der stetige Hinweis auf die geltenden Normen und Regeln in unserer Gesellschaft ist wichtig - damit unsere Jugendlichen nicht irgendwann drohen, selbst aus ihr herauszufallen.