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"Regierung lässt Einzelhändler im Stich"

Ein Team von Welt-Fernsehen berichtete am Montag live aus Großenhain von der Aktion "Wir machen auf-merksam". Auf eine Situation, die verheerend sei.

Von Catharina Karlshaus
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Das Welt-Fernsehen sendete am Montag live vom Großenhainer Frauenmarkt. Modehändler Ronny Rühle (rechts) nahm an der Aktion "Wir machen auf-merksam" teil, welche die Lage des Handels kritisiert.
Das Welt-Fernsehen sendete am Montag live vom Großenhainer Frauenmarkt. Modehändler Ronny Rühle (rechts) nahm an der Aktion "Wir machen auf-merksam" teil, welche die Lage des Handels kritisiert. © Archivfoto: Kristin Richter

Großenhain. Punkt um elf kommen sie raus. Aus dem Geschäft, welches für sie alle ein Stückchen Heimat bedeutet und vor allem einen Arbeitgeber, der ihr wirtschaftliches Auskommen sichert. Zumindest bisher. An diesem Montagvormittag sind die Mienen der sonst freundlich bedienenden Frauen ernst. Nein, einen Grund zum Lachen gibt es für die in den vier Geschäften von Modehändler Ronny Rühle angestellten Verkäuferinnen momentan keinen. Seit dem neuerlichen Lockdown im Dezember müssen natürlich auch die Läden in Großenhain, Meißen und Riesa geschlossen bleiben. Eine finanzielle Vollkatastrophe, wie der erfahrene Unternehmer vor laufender Fernsehkamera zugibt. "Die Situation ist absolut prekär und existenzbedrohend! Ich habe inzwischen meine Altersvorsorge auflösen müssen, um die weiterhin anfallenden Kosten begleichen zu können", bekennt der 52-Jährige.

Geschichten, wie sie Ralf Schemel dieser Tage leider häufig zu hören bekommt. Der Redakteur beim Welt-Fernsehen - ehemals N24 - fängt gemeinsam mit seinen Kollegen Jörg Kade und Jorrit Köhntopp die Stimmungslage in Mitteldeutschland ein. Eine, die wie hier auch in Großenhain ein sorgenvolles Bild zeichne. Nach der Lektüre auf sächsische.de über die Aktion von Röderstädter Händlern, die an diesem Montag um 11 Uhr entgegen einer Netz-Initiative zwar nicht öffnen, aber durchaus auf ihre missliche Lage aufmerksam machen wollen, sind sie extra aus Leipzig angereist. Und - werden thematisch keineswegs enttäuscht.

Denn punkt um elf sind Ronny Rühle und seine Mitarbeiterinnen vor die Tür getreten, mit ausreichend Gedanken im Kopf, Ängsten im Herzen und Zündstoff auf der Zunge. Völlig unverständlich sei es ihnen beispielsweise, dass schräg gegenüber zig Kunden im Drogeriemarkt aus- und eingehen dürften. Ebenso in anderen großen Supermärkten der Stadt, die mittlerweile geschäftstüchtig ihre Sortimente aufgerüstet hätten und einen stündlichen Besucherverkehr erreichten, welche normale Einzelhandelsgeschäfte nicht an einem einzigen Tag verzeichneten.

Abgesehen von dieser nicht ganz einleuchtenden Ungleichbehandlung, könne es überdies nicht angehen, dass Ladeninhaber keinerlei Entschädigung erhielten. Auch ihnen würden doch die gegenwärtigen Umsätze fehlen, und sie bekämen im Gegensatz zu Gastronomen keinen Cent gezahlt. Dabei hätten natürlich auch die Ladeninhaber jetzt laufende Kosten, die trotz der besonderen Corona-Situation weiterhin gezahlt werden müssten. "Wir erleben hier eine eklatante Ungleichbehandlung verschiedener Branchen! Die Regierung lässt den Einzelhandel absolut im Stich", empört sich Ronny Rühle.

Anstatt den betroffenen Unternehmen eine Perspektive aufzuzeigen, habe Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig Ende vergangener Woche nun sogar damit hantiert, dass sich eine Öffnung von einzelnen Geschäften an einem angestrebten 7-Tage- Inzidenzwert von 50 orientieren solle. Eingedenk der Tatsache, dass im Landkreis Meißen Stand Montag ein durch das Robert-Koch-Institut ermittelter Wert von 546,9 zu verzeichnen wäre, könne man sich ausrechnen, wann die Türen der Läden in der Region wieder aufgingen. Oder eben nie mehr. "Bis es soweit ist, werden viele Geschäfte den Bach runtergehen und Existenzen von Händlern, ihren Familien sowie den Mitarbeitern vernichtet", prophezeit Ronny Rühle.

Der seit 30 Jahren im Modegeschäft tätige Großenhainer macht keinen Hehl daraus, dass es in den kommenden Wochen auch bei ihm wirtschaftlich eng werden könne. Die Lager seien proppenvoll mit gewissermaßen verderblicher Winterware, die durch die Schließung nicht mehr an die Frau oder den Mann gebracht werden könne. Zum einen wäre also kein Platz für das bereits bestellte Frühjahrs- und Sommersortiment vorhanden, und zum anderen fehlten vor allem in sechsstelliger Höhe die finanziellen Mittel der nicht getätigten Verkäufe, um die bald eintreffende Ware bezahlen zu können. Es liefen nicht nur die Kosten davon, sondern auch die Liquidität schwinde Tag für Tag.

Trübe Aussichten, von denen Ronny Rühles Mitstreiterinnen nicht erst Montagmittag aus den Zwölf-Uhr-Nachrichten erfahren haben. Praxiserprobt genug machen sich die Frauen - sie sind gegenwärtig in Kurzarbeit und erhalten zwischen 60 und 68 Prozent ihres sonstigen Lohnes - ihre ganz eigenen Gedanken. "Das ist gerade eine wirklich schlimme Zeit! Wenn wir keine Männer hätten, die jetzt das Geld für die Familie verdienen würden, könnten wir gar nicht existieren", bringt es eine der Frauen auf den Punkt und schüttelt traurig den Kopf. Eine jede von ihnen hätte Kinder und materielle Verpflichtungen, die nicht danach fragten, ob das Portemonnaie nun weniger gefüllt sei. Eine jede von ihnen, die an diesem kalten Januartag Punkt elf vor das Geschäft von Ronny Rühle getreten ist. Und gemeinsam mit ihrem Chef darauf hofft, dass es nach der Corona-Krise auch weiterhin bestehen möge.

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