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Silvesterkarpfen auf Diät: Er ist dünner und teurer in diesem Jahr

Der Karpfenpreis steigt in diesem Jahr um 20 Prozent. Daran sind auch Sommerhitze und Wassermangel schuld.

Von Ines Mallek-Klein
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Die ersten Karpfen in der Schönfelder Teichwirtschaft haben Tilo Groß und seine Mitarbeiter schon abgefischt.
Die ersten Karpfen in der Schönfelder Teichwirtschaft haben Tilo Groß und seine Mitarbeiter schon abgefischt. © Kristin Richter

Schönfeld. Man muss schon genau hinsehen, um an diesem Nachmittag die Sonnenstrahlen zu erkennen. Für die Karpfen im Becken reicht die Wärme, um ihr ganzes Temperament zu entfalten. Sie springen munter aus dem Becken in den darunter liegenden Wassergraben, schlagen mit den Flossen auf die Wasseroberfläche und zeigen ihren kupferfarbenen Leib. Sie ahnen nicht, dass ihre letzten Tage gezählt sind. Denn sie sind schon umgezogen von den Teichen in die Becken. Von hier aus geht es wahlweise in den Kochtopf, in die Backröhre oder in den Räucherofen.

Das große Abfischen in Sachsens Karpfenteichen hat begonnen, auch in der Teichwirtschaft Schönfeld, die 170 Hektar rund um den Ort bewirtschaftet, der ihr den Namen gab. Sachsenweit rechnen die Fischwirte mit 1.700 Tonnen Speisekarpfen, die in den kommenden Tagen geerntet werden sollen. Einige Tonnen davon will Tilo Groß mit seinem Team beisteuern. Er hat die Teichwirtschaft vor 21 Jahren übernommen, das laufende gehörte dabei zu den anspruchsvollsten, sagt er und greift nach dem Kescher. Ein geschickter Zug und gleich zwei Fische zappeln im Netz. Das Foto wird eilig gemacht, damit sie schnell wieder ins Wasser können. Dabei hält es der Karpfen länger an Land aus als die Forelle, weil er auf seine Notatmung vertrauen kann.

Explosion der Wasserpflanzen

Die Fische sehen prächtig aus. "Dafür brauchen sie aber ganze drei Jahre", gibt Tilo Groß zu bedenken. Bevor sie verkauft und verarbeitet werden können, sind sie schon mindestens sechsmal umgesetzt worden - vom Anzuchtbecken in den ersten kleineren und dann in immer größere Teiche - die über den letzten heißen Sommer spürbar schrumpften. Der ausbleibende Regen ließ die Zuflüsse zu den Teichen immer spärlicher fließen. Schließlich kam gar kein neues Wasser mehr dazu und der Uferstreifen wurde immer breiter. "Wir haben schon von vornherein den Fischbesatz reduziert", sagt er. Es war wohl so eine Ahnung, nachdem das Jahr 2021 keine großen Wasserprobleme gemacht hatte. Die gab es 2022 nun umso mehr. Der sinkende Wasserspiegel reduzierte nicht nur den potenziellen Lebensraum für die Karpfen. Er führte auch dazu, dass die Wasserpflanzen am Teichgrund eine regelrechte Wachstumsexplosion hinlegten. "Die Vegetation war so üppig, dass wir durch Beschnitt eingreifen mussten", so der Fischwirt, der seinen Beruf 1990 noch bei dem VEB Binnenfischerei Dresden gelernt hat.

Der Pflanzenteppich wiederum schirmte das Sonnenlicht ab und bremste so die Erwärmung des Teichwassers in den unteren Schichten. Was schade ist, denn der Karpfen liebt es, anders als die Forelle, kuschelig warm. Bei Wassertemperaturen zwischen 26 und 27 Grad Celsius kommt sein Stoffwechsel so richtig in Gang und er nimmt die größten Futtermengen auf. Was davon auf den Gräten hängen bleibt, ist am Ende entscheidend für das Verkaufsgewicht. Obwohl seine Fische recht proper aussehen, rechnet Tilo Groß in diesem Jahr mit einem eher durchschnittlichen Ertrag. "Anders als die Landwirte arbeiten wir unter der Wasserlinie und sehen erst nach dem Abfischen das tatsächliche Ergebnis", so der Fischwirt. Immerhin, das Probefischen liefert erste Hinweise.

Kormoran und Fischotter haben leichtes Spiel

Sachsen ist der größte Produzent von Speisefischen in Aquakultur in Ostdeutschland und liegt bundesweit auf Rang vier hinter Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Laut Statistischem Landesamt wurden im vergangenen Jahr 2.235 Tonnen Fisch von der hiesigen Teichwirtschaft produziert. Wichtigster Speisefisch ist mit Dreiviertel der Erträge der Karpfen, der Sachsen damit zum zweitgrößten Produzenten bundesweit macht. Dabei schwimmen sachsenweit auch noch Schleie, Regenbogenforellen, afrikanische Raubwelse und Störe in den Gewässern.

Die Klimaveränderungen fordern alle Fischwirte. Weniger Wasser in den Teichen führt auch dazu, dass natürliche Fressfeinde leichtes Spiel haben. "Kormoran, Fischotter und Reiher werden die Fische auf dem Silbertablett präsentiert", sagt der Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes, Andreas Stummer. Vor allem die unter Artenschutz stehenden Kormorane hätten die Zahl der Jungfische erheblich dezimiert. Deswegen habe es im Frühjahr gar nicht ausreichend junge Fische für den Besatz der Teiche gegeben. Die Folgen werden nun die Verbraucher zu spüren bekommen. Die 1.700 Tonnen Speisekarpfen reichen längst nicht aus, um den Bedarf in Sachsen zu decken. Entsprechend rechnet Andreas Stummer mit steigenden Preisen. Bis zu 20 Prozent mehr müssten die Kunden in diesem Jahr für ihren Silvesterkarpfen einplanen. Ein Grund dafür sind auch gestiegene Energiekosten für Pumpen- und Filteranlagen, aber auch der Mindestlohn, der zum 1. Oktober 2022 auf zwölf Euro die Stunde klettert.

Energieintensiver geht kaum

Tilo Groß trifft die Energiekrise gleich mehrfach. Er hat 2006 begonnen, seine Wertschöpfungskette zu erweitert und ist in die Fischverarbeitung eingestiegen. Man habe damit nicht nur auf die Wünsche des Handels reagiert, sondern sich auch ein Standbein geschaffen, das ganzjährig Einnahmen sichert. So hat man schon manchen Ertragsausfall abgefedert, sagt der Schönfelder Fischwirt. Post von seinem regionalen Energieversorger hat er schon. Statt 4.000 werden nun voraussichtlich 5.000 Euro jeden Monat fällig. Seefisch muss bei minus 18 bis 20 Grad Celsius gekühlt werden. Räuchert man ihn, ist eine Kerntemperatur von 60 Grad Celsius nötig, um ihn dann binnen Minuten wieder auf zwei Grad abzukühlen. "Energieintensiver geht kaum", sagt Tilo Groß.

Ihn treibt aber noch eine Sorge um, und das sind die Abnahmemengen des Handels, die seit Wochen rückläufig sind. "Der Handel kauft anders ein, weil die Leute weniger Geld für Lebensmittel ausgeben", so der Unternehmer. Was das mittelfristig für seine Firma bedeutet, könne er nur erahnen und sucht nach Alternativen. Bleiben die Sommer so heiß und wasserarm, müsse man nach alternativen Fischarten suchen, die mit den Verhältnissen besser zurechtkommen, sagt Tilo Groß. Seine Karpfen werden bald schon den Besitzer wechseln, unter anderem beim kleinen Hoffest, zu dem er am Sonnabend einlädt.

Landesfischereiverband will den Karpfen sexy machen

Wenn sich der Schönfelder Fischwirt etwas wünschen dürfte, dann eine Lobby für den Karpfen. Er ist einer der nachhaltigsten Fische überhaupt, kommt in den Teichen gänzlich ohne Antibiotika aus. Sein Futter besteht aus Eiweiß in Form von Wasserflöhen. Bei denen fielen in diesem Jahr trockenheitsbedingt gleich mehrere Generationen aus, sodass schon früh mit Getreide zugefüttert werden musste, aber auch das ist ein nachwachsender Rohstoff. Der Landesfischereiverband will den Karpfen sexy machen. Noch, so Groß, sei das nicht wirklich gelungen. Und auch bei der Anerkennung für seinen Berufsstand gäbe es Luft nach oben: "Wir sind nicht nur Fischwirte, sondern auch Landschaftspfleger". Ohne die Beschäftigten in den 140 Teichwirtschaften sachsenweit würden die Teiche verschlammen, die Wassergräben verstopfen und das Schilf wild wuchern. "Wir alle machen das gern - dabei steht der Enthusiasmus im Vordergrund, nicht der Gewinn. Aber am Ende sind auch wir Unternehmer mit Mitarbeitern, die bezahlt werden wollen", so Tilo Groß.