Völkerwanderung zur Neumühle

Skassa/Weßnitz. Die Autos parken dicht an dicht auf drei Kilometern zwischen der Staatsstraße in Skassa und Wildenhain. Kamenzer, Dresdner, ja sogar Freiberger und Bautzner Kennzeichen sind auszumachen. Auch die Massen an Radfahrern, die zur Neumühle unterwegs sind, lassen erahnen: Hier steppt heute zum Mühlentag der Bär. Die Besucher müssen das Verkehrschaos selbst bewältigen. In der Neumühle hat Familie Boeltzig alles im Griff. Tatsächlich drängen sich Hunderte Besucher schon am Pfingstvormittag vorbei an den zahlreichen Händlerständen, um sich dann entspannt auf der Mühleninsel im Grünen niederzulassen.
"Die Leute überrennen uns", sagt Christine Boeltzig am Kuchenstand. Doch sie bleibt gelassen. Das war zu erwarten. Nach zwei Jahren Zwangspause wegen Corona und bei herrlichem Pfingstwetter wollen die Menschen einfach was erleben. Wollen mit dem Rad unterwegs sein, sich treffen, ein bisschen quatschen und was essen und einkaufen. Dafür wurden nicht nur 40 Kuchen von den Boeltzigs und weiteren Frauen im Ort gebacken - Christine Boeltzig hat allein vier Stück am Vortag aus dem Ofen gezogen. Auch frisches Brot ist in der Neumühle zu Pfingsten entstanden.
Dafür war Franz Boeltzig zuständig. Der 22-jährige, frisch gebackene Müllermeister, hat sie aus seinem neuen Roggen-Dinkelmehlgemisch hergestellt. Zum Verkosten bietet seine Freundin Maren Sting kleine Scheibchen an. Mehltüten von "Franz`Mühlenschmaus" sind im nach draußen verlegten Hofladen für 3,50 Euro zu kaufen. Die Besucher greifen zu. Franz erzählt, dass die Backmischung quasi sein Meisterstück in der Ausbildung in Braunschweig ist. Lange hätte er rumprobiert, bis die Mischung perfekt war. Auch seine Freundin hat die Meisterausbildung hinter sich. Sie sind die nächste Generation in der Skassaer Neumühle mit aktuell fünf Mitarbeitern.
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Jürgen Boeltzig steht in der laufenden Mühle für Fragen der Besucher bereit. "Wir machen keine Führungen, die Gäste können einfach beim Mahlen zuschauen", sagt er. Zwei Mahlsysteme produzieren in der Neumühle: eins für Roggen mit einem Durchsatz von 15 Tonnen am Tag. Und eins für Weizen mit 35 Tonnen Ergebnis in 24 Stunden. Gerade wird Weizenmehl bis zum Abschluss des Mühlentages gemahlen, quasi in gläserner Produktion. Bis hinauf unters Dach steigen die Gäste, um zu erleben, "wie es wackelt". Jürgen Boeltzig zeigt auf die Plansichter und die Siebe, durch die die Kornbestandteile fallen. "Hier erfolgt die Aufteilung in grob, mittel und fein", erklärt der Müllermeister. Das sehen Hellmut Richter und Bernd Günther aus Stauchitz zum ersten Mal - zumindest hier in Skassa. Es ist ihr "Antrittsbesuch" in der Neumühle, und die beiden Männer sind begeistert. "Wir staunen, was alles nötig ist, um unser Mehl herzustellen", gibt Hellmut Richter zu.
An die zehn Wochen haben die Boeltzigs den Mühlentag vorbereitet. Die Händler mussten organisiert werden, viele Behördengänge für das Fest waren nötig. "Wegen Corona mussten wir unsere Freisitzplätze auf 400 reduzieren", erklärt Jürgen Boeltzig. Früher seien es etwa 1.000 gewesen. Die Skassaer halfen sich, indem sie mehr Stehtische aufstellten. Die Familie ist versiert in der Organisation des jährlichen Mühlenfestes, und das mit Unterbrechungen schon seit 1994, wie Jürgen Boeltzig sich erinnert. Weil mancher Besucher danach fragt, hat er sich auch auf Ökonomisches vorbereitet: warum der Getreidepreis an der Börse um 100 Prozent gestiegen ist, und wie viel der Stromverbrauch in der Mühle ausmacht. Kein Wunder, dass alles teurer wird.
Dennoch haben die Gäste auch für die Tombola noch ein paar Euro übrig: Ein Schaf, ein Kaninchen und ein Hahn kann gewinnen, wer das richtige der 4.000 Lose zieht. "Ich war früher schon immer zum Mühlentag und bin jetzt wieder mit Tochter, Enkeln und Urenkeln gekommen", sagt Burghild Scharwe aus Großenhain und freut sich, dass so viel geboten wird. Der obligatorische Mühlenbeutel mit frischem Brot darf bei ihr nicht fehlen.
Schülergruppe willkommen
Etwas ruhiger geht es an der Weßnitzer Windmühle zu. Doch auch hier kehrt so mancher beim Ortsverein Edelweiß und Familie Jacob auf ein Stück Kuchen, eine Bratwurst, ein Bier oder ein Glas Wein ein. "Wir haben sogar Gäste aus den alten Bundesländern, die über Pfingsten hier zu Besuch sind", freut sich Roswitha Lehmann, die Vereinschefin. Leckeren Schoko- und Erdbeerkuchen verkauft sie in ihrer Hütte, nebenan werden Waffeln gebacken. Der 14-köpfige Verein hat zahlreiche Helfer. Große Aufsteller informieren über die Mühlengeschichte. Und Edeltraud Jacob erzählt, wie sie die Mühle vom Dreck einer Eule, die sich hier niedergelassen hatte, befreien musste. "Wir würden gern Schulklassen auf Wandertag durch die Mühle führen", bieten die Jacobs an. Denn nicht nur zum Mühlentag steht das Müllerwerkzeug immer griffbereit.