SZ + Großenhain
Merken

"Wir wollen 2024 eigentlich wieder nach Israel"

Wolfgang Maaß ist seit neun Jahren mit Großenhainer und Meißner Gymnasiasten regelmäßig in dem Land. Zwei Schüler und ihre Familien waren aktuell dort. Seine Gedanken zum Geschehen.

 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Großenhainer und Meißner Gymnasiasten im Juni vorigen Jahres in Tel Aviv.
Großenhainer und Meißner Gymnasiasten im Juni vorigen Jahres in Tel Aviv. © privat

Von Wolfgang Maaß

Großenhain. Seit 2014 führen das Werner-von-Siemens-Gymnasium Großenhain und das Franziskaneum Meißen einen gemeinsamen regelmäßigen Jugendaustausch mit zwei Schulen in Holon, Großraum Tel Aviv, durch. In diesem Zeitraum lernten Dutzende deutsche und israelische Jugendliche das jeweils andere Land kennen. In den Familien wurden Bräuche und Traditionen vorgestellt und gemeinsam gelebt. Alle tauchten tief in das jeweils andere Land ein.

Vor jedem Austausch beschäftigten sich die Teilnehmer intensiv mit der Geschichte der Juden, des Staates Israel und dem Nahost-Konflikt. Dabei versuchen wir die Vielschichtigkeit und die komplexen weltpolitischen Zusammenhänge zu thematisieren. Der letzte Schüleraustausch war im vergangenen Schuljahr. Die israelischen Schüler waren im Juli 2022 in Großenhain und wir im November in Israel. Der nächste Austausch soll normalerweise 2024 stattfinden. Die Anträge sind gestellt, die Vorbereitungen laufen.

"Sorgen um die Angehörigen unserer Freunde bleiben"

Seit Beginn der Herbstferien waren zwei Schüler unserer Schule, die vor einem Jahr am Austausch teilgenommen haben, mit ihren Familien in Israel. Sie besuchten ihre Gastgeberfamilien und die Sehenswürdigkeiten dieses wunderschönen Landes. Aus diesem Grund verfolgte ich täglich ihren Aufenthalt mit großem Interesse. Entsetzt erfuhr ich am vorigen Samstag von diesem unvorstellbaren Terrorangriff auf israelisches Staatsgebiet. Auch meine Schüler und ihre Eltern wurden vom Angriff der Hamas in Tel Aviv überrascht. Ich las von den Massakern an der unbewaffneten und gänzlich unvorbereiteten Bevölkerung und machte mir große Sorgen. Sehr berührt hat mich der Angriff auf das Musikfestival. Weit mehr als 250 friedlich feiernde Jugendliche wurden regelrecht abgeschlachtet, von islamistisch verblendeten Jugendlichen, wahrscheinlich sogar gleichaltrigen.

Vom Geschehen in Israel erfuhr ich dann gewissermaßen stündlich von meinen Schülern. Die Jungs beschrieben, wie das sonst so belebte, bunte, laute Tel Aviv den Charakter einer Geisterstadt annahm. Eine Bar, wo sie sich schon einen Burger bestellt hatten, wurde innerhalb weniger Minuten geschlossen, weil der Inhaber sich sofort bei seiner militärischen Einheit einfinden musste. Binnen kürzester Zeit wurden die wehrpflichtigen Söhne der Familien eingezogen. Bereits in den ersten Kriegsstunden fiel der Cousin des Sohnes der Gastfamilie meiner Schüler im Kampf. Wir sind alle darüber sehr betroffen. Auch der Sohn unseres Austauschpartners Dr. Shmulik Lahar wurde bereits eingezogen.

Meine Schüler und ihre Eltern versuchten, umgehend das Land zu verlassen. Leider cancelten die Fluggesellschaften zunächst alle Flüge, die Informationen für die deutschen Staatsbürger und die Hilfe für sie kam zu spät. Die Familien meiner Schüler halfen sich selbst und flogen schließlich über die Türkei aus. Nun weiß ich zwar, dass sie in Sicherheit sind. Aber die Sorgen um die Angehörigen unserer Freunde in Israel bleiben.

"Bis zum letzten Blutstropfen verteidigen"

Es war immer schön zu sehen, wie schnell sich die Jugendlichen bei unseren Austauschen verstanden, Unterschiede sich anglichen, so die deutsche Pünktlichkeit mit der israelischen Lebensfreude und gemeinsam die Zeit bei den jeweiligen Gastgebern genossen wurde. Freundschaften wurden auch über den Austausch hinaus beibehalten und die Schüler haben sich weiterhin getroffen.

Über diesen Zeitraum lernte ich viele Menschen aus Israel kennen. Nie gab mir jemand das Gefühl, der „böse“ Deutsche zu sein. Oft wurden wir auf der Straße spontan angesprochen, woher wir denn kämen. Aus Deutschland? "Herzlich willkommen in Israel! Macht euch eine schöne Zeit hier!“ In Israel lernten wir auch die Vielfalt der israelischen Gesellschaft kennen, von sehr liberalen bis hin zu ultraorthodoxen Juden. Auch israelische Araber und Drusen wurden in die Treffen einbezogen.

Natürlich lernten wir auch die Besonderheiten der Sicherheitslage kennen. Jede Schule ist mit einem drei bis vier Meter hohen Zaun umschlossen, am Eingang steht bewaffnetes Sicherheitspersonal, es gibt Luftschutzräume und eine Ehrentafel für die gefallenen ehemaligen Schülerinnen und Schüler. In jeder Wohnung oder in jedem Haus gibt es Schutzräume. Alle israelischen Jugendlichen müssen zwei bis drei Jahre zum Wehrdienst und bleiben danach Reservisten. Sie werden ihren jüdischen Staat bis zum letzten Blutstropfen verteidigen.

In vielen Gesprächen vor Ort erfuhr ich viel über das Leben in Israel und das Selbstverständnis des Staates. Ich versuche die Vielschichtigkeit des Nahostkonflikts sowohl aus der Sicht von Israel als auch aus der Sicht der Palästinenser zu begreifen und daraus ihr Handeln zu verstehen. Trotz des persönlichen Erlebens bleiben natürlich immer Fragen offen. Die Anschläge der Hamas und Hisbollah auf Israel sind eindeutig terroristisch und mit Nichts zu begründen. Auch die schwierige Konfliktlage, die seit Jahren in Israel und im Gaza-Streifen herrscht, rechtfertigt diese blutrünstigen, hinterhältigen und feigen Angriffe auf wehrlose und schutzlose Menschen nicht.

"Die Menschen in Palästina brauchen Stabilität genauso"

Aus subjektiver menschlicher Sicht ist ein Krieg in jedem Fall – so auch im Nah-Ost-Konflikt - zu verhindern und zu verurteilen. Die einfachen Menschen auf beiden Seiten der Front sind immer die Leidtragenden und Verlierer militärischer Auseinandersetzungen. Ich finde es persönlich schlimm, dass die Machthaber auf allen politischen Seiten nicht in der Lage sind, friedliche und im Ausgleich der jeweiligen Interessen kompromissfähige und stabile Lösungen zu finden. Trotzdem dürfen solche subjektiven Empfindungen nicht handlungsleitend für eine objektive außenpolitische Betrachtung der gegenwärtigen Lage sein. Jetzt geht es um die Sicherheit, Stabilität und den Frieden in Israel, in der einzigen Demokratie in Nahost. Diese müssen schnellstens wiederhergestellt werden. Die einfachen Menschen in Palästina brauchen diese Stabilität genauso.

Es ist meines Erachtens wichtig, dass sich alle deutschen Demokraten ohne jeden Zweifel für die Sicherheit von Israel und gegen die Terrorakte der Hamas sowie gegen jedweden Antisemitismus einsetzen. Kritik an manchen politischen Entscheidungen der israelischen Staatsführung kann sicher auch gerechtfertigt sein, zum jetzigen Zeitpunkt verbietet sich diese aber aus Gründen der Sicherheit des Staates Israel in Gänze. Meine Gedanken sind bei unseren Freunden in Israel und ihren Familien. Möge sich die Situation sehr schnell beruhigen und sie alle gesund aus diesem Kriegszustand wieder schnell in einen friedlichen Alltag eintauchen können. Der deutsche Staat ist verpflichtet, seinen nötigen Beitrag zur Unterstützung von Israel in diesem Sinne zu leisten.