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Hat Kamenz ein Drogenproblem?

Kamenz sei kein Hotspot, aber hier finde alles statt, was es in der Szene gibt, sagen Beamte vom örtlichen Polizeirevier. Ein Fakt bereitet ihnen jetzt besonders Sorgen.

Von Ina Förster
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In Kamenz werden illegale Drogen gehandelt und konsumiert. Der Verkauf habe sich von der Straße in die Wohnungen verlagert, weiß Sylvia Wauer-Pipper vom örtlichen Polizeirevier.
In Kamenz werden illegale Drogen gehandelt und konsumiert. Der Verkauf habe sich von der Straße in die Wohnungen verlagert, weiß Sylvia Wauer-Pipper vom örtlichen Polizeirevier. © Symbolfoto: Pawel Sosnowski

Kamenz. "Drogen-Razzia in Kamenz", "Drogen und Waffen bei Drogendealer in Kamenz sichergestellt", oder ganz aktuell kurz nach Pfingsten: "Polizei beendet Drogenparty in Jesau". Solche Meldungen flattern zwar nicht täglich im Presse-Ticker ein, aber immer öfter. Auch in der Corona-Pandemie bedienen Konsumenten illegaler Drogen weiter ihre Sucht, trotz erschwerter Bedingungen. Der Drogenbericht der Suchtberatungs- und -behandlungsstelle der Diakonie in Kamenz von 2020 bestätigt dies.

Insgesamt suchten im letzten Jahr 599 Klienten aus dem Betreuungsgebiet Hilfe vor Ort. Und das, obwohl über einen längeren Zeitraum gar keine öffentliche Beratungsarbeit möglich war. Während der größte Anteil immer noch beim Thema Alkoholismus (326 Fälle) liegt, legten die Konsumenten illegaler Drogen mit 152 Fällen in den letzten Jahren nach. Die Zahl hat sich stabil auf hohem Niveau eingepegelt. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren kamen pro Jahr nur 47 Menschen zur Beratung der Kamenzer Diakonie. Vor zehn waren es noch 99.

Corona erschwert Konsumenten den Kauf

Vor allem in den Städten Kamenz, Radeberg, Ottendorf-Okrilla, Pulsnitz und Königsbrück wohnen die Hilfesuchenden. "Kamenz ist zwar kein riesiger Hotspot", sagt Polizei-Revierleiter Michael Kummer. "Aber Kamenz ist auch keinesfalls eine grüne Wiese." So schön die Kleinstadt-Idylle wäre, so trügerisch sei sie leider. "Hier findet alles statt, was es in der Szene gibt", sagt er.

Über die Dunkelziffer der Drogenkonsumenten in der Kamenzer Region kann kaum jemand etwas sagen. Sie ist bedeutend höher, sind sich die Fachleute einig. "Zur Beratung geht am Ende schließlich nur, wer sein Problem erkannt hat", sagt Sylvia Wauer-Pippert, Leiterin des Kommissariat II im Kamenzer Polizeireviers.

Neben Eigentumskriminalität und Vermögensdelikten hat sie seit acht Jahren sämtliche Fälle mit Betäubungsmitteln auf dem Tisch. Sie und ihr Team kennen die Szene vor Ort. Und beobachten, wie sie sich Jahr für Jahr verändert. "Corona hat vor allem den Druck der Konsumenten erhöht, denn so einfach wie vorher kam man nicht an die Ware heran", weiß sie.

Altstadt ist beim Klientel beliebt

Immer wieder kommen Diskussionen in den sozialen Netzwerken über das Thema auf. Vor allem dann, wenn der Polizei ein Fang ins Netz ging. Oder es Verwüstungen oder Randale in der Stadt gab. Wie kürzlich über Pfingsten das "Pflanzen-Massaker" auf dem Markt. "Da haben die Vollidioten unserer Stadt wieder gezeigt, wie dämlich und respektlos sie sind", hieß es in den Kommentaren. Wer die Verwüstung mit Dutzenden herausgerissenen Pflanzen und umgestoßenen Kübeln quer durch die Altstadt angerichtet hat, ist allerdings bis heute nicht geklärt.

Doch in der Diskussion gab es auch direkte Anspielungen auf das Thema Drogen. Sven Tzschoppe schrieb: "Dass Kamenz als Drogen-Hotspot verrufen ist, sollte mittlerweile hinlänglich bekannt sein. Zum Beispiel auf der Wallstraße kann man sich regelmäßig ein Bild von irgendwelchen Problemen der genannten Klientel machen. Da tut sich mir die Frage auf, wie perspektivisch damit umgegangen werden soll", so der Kamenzer.

Polizei ist auf Hinweise der Einwohner angewiesen

Das Kamenzer Polizeirevier hat die Lage im Blick, auch wenn es nach außen manchmal so wirkt, als tue niemand etwas gegen den wachsenden Drogen-Konsum im Stadtbild. Auch einschlägige Häuser sind bekannt. Die Szene mit Lieferanten und Konsumenten ebenso. Doch so einfach sei es nicht, in eine Wohnung zu marschieren und eine Hausdurchsuchung zu machen. Die Gesetzeslage gibt genau vor, wie zu handeln ist. "Wir sind deshalb auf Hinweise der Bevölkerung angewiesen. Gern auch anonym auf einem Zettel bei uns im Briefkasten", so Kummer.

Im Fall der Jesauer Party vor einer Woche hatte man Glück. Die Polizei beendet hier am Vormittag des 26. Mai eine Drogenparty in diesem Kamenzer Stadtteil. "Die Meldekette funktionierte und die Kollegen haben sich nicht abwimmeln lassen. Als dann noch einer der Gäste ein Päckchen mit den Drogen aus dem Fenster warf, konnte man agieren", sagt Michael Kummer.

"Der Verkauf von Drogen hat sich in die Wohnungen verlagert", weiß Sylvia Wauer-Pippert. "Das erschwert einiges. Denn die Szene lernt schnell." Doch man habe zudem weiter öffentliche Bereiche im Blick. So beispielsweise den Volkspark oder Skaterpark. "Dort suchen die Kollegen das Gespräch mit Jugendlichen", sagt Michael Kummer. Sogar der Markt war zeitweise als Übergabeplatz bekannt. "Durch mehr Präsenz konnte man hier einiges tun", so der Revierleiter. 2020 standen dennoch allein für die Stadt Kamenz 75 erwiesene Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Buche.

Preise sind durch Corona extrem gestiegen

Und die Drogenszene verändert sich ständig. Vor allem, dass die Preise extrem gestiegen sind, macht viele nervös. "Vor der Pandemie kostete ein Gramm Crystal beispielsweise 60 Euro, mittlerweile sind es 90 Euro", so Sylvia Wauer-Pippert. Die Beschaffung der Drogen war durch Grenzschließungen komplizierter. Das hat den Preis hochgetrieben. Geliefert wird nach Kamenz größtenteils von Dresden aus, sagen die Beamten.

"Wer regelmäßig konsumiert, dessen Probleme wachsen mit der Preiserhöhung", sagt Sylvia Wauer-Pippert. Beschaffungskriminalität sei an der Tagesordnung. Ob Lauben- und Kellereinbrüche oder Fahrraddiebstähle - was gestohlen wird, bestimmt der Markt. Also die Kundschaft, welche die Hehler-Ware abkauft. Alles hat miteinander zu tun, sagt sie.

"Aktuell zieht der Missbrauch von Ecstasy vor allem bei der jüngeren Klientel stark an. Das ist besorgniserregend. Inhalt und Erscheinungsbild wurden verändert. Hier kommt es öfter zu Überdosierungen, die im Krankenhaus landen", so Sylvia Wauer-Pippert. Doch sie nennt auch Hintergründe. "Der Druck auf die Gesellschaft ist enorm gewachsen. Alle müssen funktionieren, egal zu welchem Preis. Drogen sind leider dabei ein gern genutztes Hilfsmittel - vom jungen Jugendlichen bis mittlerweile zum Rentner", so die Kommissariats-Leiterin.