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300 besondere Kunstwerke haben neue Heimstatt in Kamenz

In der alten Posthalterei in Kamenz wurde jetzt ein Dada-Zentrum eröffnet. Was es bietet und was das Besondere an dieser Kunstform ist.

Von Ina Förster
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Kurator Johannes Schwabe in der neu eröffneten Dada-Ausstellung in der Alten Posthalterei in Kamenz. Er zeigt das Werk Merz von 1988, welches sich mit den Arbeiten von Kurt Schwitters, einem der Gründungsväter der Dada-Bewegung, beschäftigt.
Kurator Johannes Schwabe in der neu eröffneten Dada-Ausstellung in der Alten Posthalterei in Kamenz. Er zeigt das Werk Merz von 1988, welches sich mit den Arbeiten von Kurt Schwitters, einem der Gründungsväter der Dada-Bewegung, beschäftigt. © Matthias Schumann

Kamenz. Bunt. Witzig. Mit Aussagekraft. Diese Collagen brauchen Zeit. Zeit, sie zu schaffen. Und Zeit, sie zu betrachten. Die einen ähneln riesigen Spielkarten, andere sind auf Fächern aufgebracht. Die nächsten gleichen dem Titelblatt einer Zeitung. Zahlreiche Exponate der so genannten "Mail Art" sind jetzt in den neu geschaffenen Ausstellungsräumen der Alten Posthalterei in Kamenz zu sehen.

Diese öffnete 2022 ihre Pforten, nachdem die Stiftung Pro Gemeinsinn aus Berlin sie aufwendig saniert und zu ihrem Firmensitz ausgebaut hatte. Dass Kunst im Erdgeschoss einziehen sollte, stand frühzeitig fest. Nur welche, war lange nicht klar. Und nun ist es jene besondere "Mail Art" geworden - Kunst, die auf dem Postweg entsteht. Und das rund um den Globus.

Architektin brachte Künstler und Kamenz zusammen

Im neuen Dada-Kunst-Zentrum wird sie künftig auf Dauer ausgestellt. Dank eines engagierten künstlerischen Dreier-Gespanns, das der Stadt Kamenz kurzerhand 300 Werke schenkte. Obwohl es so kurzerhand dann doch nicht war: "Wir haben länger nach einem geeigneten Ort gesucht, wo unsere Sammlung hinpassen könnte", erzählt Dada-Künstler Frank Voigt aus Dresden.

Dass es am Ende Kamenz wurde, liegt auch an einer Freundin, die als Architektin den Umbau der Alten Posthalterei begleitete: Ina Hoffmann gab die Empfehlung, vernetzte Stadt und Künstler miteinander. "Sie brachten 2018 ein paar Kunstwerke zu einer Stadtratssitzung mit und stellten sich vor", erinnert sich Oberbürgermeister Roland Dantz (parteilos). "Es brauchte keine große Überzeugungsarbeit, der Funke sprang sofort über", sagt er.

Nach über drei Jahren Vorbereitungszeit konnte die Exposition nun eröffnet werden - und fand bereits reges Interesse. Die Vernissage am vergangenen Freitag war ein voller Erfolg, die Alte Posthalterei platzte aus den Nähten. Nicht nur in der Szene fand das Ganze Beachtung, auch die Kamenzer selbst waren neugierig.

Zur Eröffnung des neuen Dada-Zentrums in Kamenz platzte die Alte Posthalterei fast aus den Nähten. Volker Lenkeit (M.) entwickelt hier für die Gäste spontan eine Collage und erklärt die Bedeutung der einzelnen Motive.
Zur Eröffnung des neuen Dada-Zentrums in Kamenz platzte die Alte Posthalterei fast aus den Nähten. Volker Lenkeit (M.) entwickelt hier für die Gäste spontan eine Collage und erklärt die Bedeutung der einzelnen Motive. © Foto: Anne Hasselbach

Viele waren allerdings nach der ersten Ankündigung, dass die Stadt ein Dada-Zentrum bekommt, etwas ratlos. Denn: Was ist Dada-Kunst überhaupt? Was steckt hinter diesen bunten Collagen? Nur eine Spielerei, Experimentierfreude? Oder sogar politische Botschaft?

Die Künstler Frank Voigt, Volker Lenkeit und Petra Lorenz haben ihre Antworten darauf schon vor Jahrzehnten gefunden. "Die Mail-Art-Szene war auch zu DDR-Zeiten aktiv. Wir konnten so in einen internationalen Austausch gehen. Das war etwas Besonderes für alle. Die besten Werke wurden da aber wahrscheinlich von der Stasi abgefangen", sagt der Dresdner Frank Voigt.

Poststempel sind für diese Kunstform wichtig

Denn die Collagen entstehen, indem sie weltweit verschickt werden. Mail Art ist Kunst per Post und somit Kommunikation. Oft besitzt sie ihre größte Bedeutung dort, wo die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist. Zum Beispiel eben in der DDR, wo Volker Lenkeit und Frank Voigt zu Hause waren. Petra Lorenz stammt aus Baden-Württemberg, lebt jedoch seit Jahren in Ostdeutschland.

Auch heute pendeln Kunstwerke immer noch zwischen Künstlerinnen und Künstlern auf der ganzen Welt hin und her - zu Postkartengröße gefaltet. "Einer ist der Starter, der hat eine Idee, schickt diese los an den nächsten. Der ergänzt, spielt damit. Schickt sie an andere oder an den Adressaten zurück. Und so weiter", erklärt Lenkeit. Meistens sei man selbst erstaunt darüber, was am Ende dabei herauskommt.

Petra Lorenz, Volker Lenkeit und Frank Voigt (v.l.) haben ihre Kunstwerke in den letzten Jahren auf mehrere Orte verteilt und in diversen Ausstellungen gezeigt - wie hier in Freital. Der Stadt Kamenz schenkten sie 300 Collagen auf Dauer, damit sie einen p
Petra Lorenz, Volker Lenkeit und Frank Voigt (v.l.) haben ihre Kunstwerke in den letzten Jahren auf mehrere Orte verteilt und in diversen Ausstellungen gezeigt - wie hier in Freital. Der Stadt Kamenz schenkten sie 300 Collagen auf Dauer, damit sie einen p © Archivfoto: Egbert Kamprath

Entstanden ist die Mail-Art-Szene in den 1960er-Jahren. Verwendet wird bei dieser Kunstform alles, was greifbar ist: Postkarten, Papier, alte Fotos, Collagen gefundener oder recycelter Bilder, Objekte sowie auch schon mal von den Künstlern selbst hergestellte Fantasiestempel. Postkunst gilt als Kunst, sobald sie versandt wird. "Deshalb sind die Poststempel so wichtig", sagt Petra Lorenz.

Um an seltene Absender zu kommen, werde man erfinderisch. So haben sich Lorenz und Voigt einmal einen Spaß gemacht und einen Brief an ein fiktives Ehepaar gesandt, das angeblich in einem bekannten amerikanischen Luxushotel abgestiegen war. "Unsere Hoffnung war, dass das Hotel uns den Brief zurücksendet. Der ganze Aufwand nur, damit wir an diesen Poststempel gelangen", erklärt Petra Lorenz. Der Plan ging auf.

Im Kamenzer Dada-Zentrum auch Workshops geplant

Mittlerweile spielen aber auch soziale Netzwerke wie Facebook eine große Rolle in der Mail-Art-Szene. Vor allem Petra Lorenz hat darin eine Plattform gefunden, um sich und ihre Künstlerkollegen zu vernetzen. Dennoch gehe ohne den traditionellen Postweg nichts. "Es gäbe aber nichts von dem, was wir heute hier sehen, wenn sie uns nicht immer wieder dazu gedrängt hätte, auch neue Wege zu gehen", sagt Frank Voigt lachend über seine Künstlerkollegin.

In Kamenz wird die wechselnde Ausstellung - denn nicht alle 300 Bilder haben auf einmal Platz und kommen daher teilweise ins Depot - durch Workshops und Kunstaktionen ergänzt. Johannes Schwabe als Kurator des Dada-Zentrums wird diese organisieren, vor allem für Kinder und Jugendliche.

Die Ausstellung im Dada-Zentrum in Kamenz, Zwingerstraße 20, kann Freitag, Sonnabend und Sonntag jeweils 13 bis 17 Uhr besucht werden.