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Nach dem Urteil zum Kirchenbrand: Wie reagieren die Menschen in Großröhrsdorf?

Der 41-jährige Maik H. muss neun Jahre in Haft, weil er die Großröhrsdorfer Kirche angezündet hat. Doch von Genugtuung spricht auch nach dem Urteil kaum jemand in der Stadt.

Von Tim Ruben Weimer
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Der Großröhrsdorfer Bürgermeister Stefan Schneider und der langjährige Pfarrer Norbert Littig blicken dem Wiederaufbau der Kirche entgegen. Wie genau der aussehen soll, ist noch nicht entschieden.
Der Großröhrsdorfer Bürgermeister Stefan Schneider und der langjährige Pfarrer Norbert Littig blicken dem Wiederaufbau der Kirche entgegen. Wie genau der aussehen soll, ist noch nicht entschieden. © Matthias Schumann

Großröhrsdorf. Sie ist immer noch zu sehen. Noch mehrere Straßen entfernt schimmert der grün abgedeckte Kirchturm zwischen kahlen Zweigen hindurch. Neben dem Rathaus ist die Kirche immer noch das Wahrzeichen von Großröhrsdorf - und sie ist zum Denkmal der verheerenden Feuernacht vom 4. August 2023 geworden. Voll eingerüstet, Bauarbeiter prüfen die Statik der übrig gebliebenen Kirchenmauern, die Turmglocken ruhen im Gras.

Derzeit gibt die Großröhrsdorfer Kirche kein schönes Bild ab: Eingerüstet und mit einer grünen Plane auf dem Kirchturm.
Derzeit gibt die Großröhrsdorfer Kirche kein schönes Bild ab: Eingerüstet und mit einer grünen Plane auf dem Kirchturm. © Matthias Schumann

Nun, seit zwei Tagen, steht fest, dass Maik H. die Kirche in Brand steckte, vermutlich in einer spontanen Aktion. Neun Jahre muss er dafür ins Gefängnis.

Sind neun Jahre Haft zu wenig?

„Definitiv zu wenig“ ist das nach Meinung einer 72-Jährigen, die an diesem Donnerstagmittag nur wenige hundert Meter von der Kirche entfernt in ihrem Garten arbeitet. „Er hätte mithelfen sollen, all den Schutt, der immer noch in weißen Säcken vor der Kirche liegt, wegzuräumen.“ Es wird 12 Uhr, doch kein Glockenschlag hallt mehr über die Hauptstraße hinüber. Wieder einmal hat die 72-Jährige das Mittagessen verpasst. „Früh um sechs hat sie gebimmelt, da wussten wir, dass wir aufstehen müssen. Mittags hat sie gebimmelt, da wusste ich, dass ich Mittag machen muss“, erzählt sie. „Jetzt sieht man nur noch diese elende Ruine.“

Lisa Heinrich (23): "Auch wenn ich nicht kirchlich bin, fehlt in der Stadt etwas. Es ist wie, wenn das Rathaus abgebrannt wäre. Man ist jetzt ein bisschen beruhigter, dass rausgefunden wurde, wer dahintersteckt."
Lisa Heinrich (23): "Auch wenn ich nicht kirchlich bin, fehlt in der Stadt etwas. Es ist wie, wenn das Rathaus abgebrannt wäre. Man ist jetzt ein bisschen beruhigter, dass rausgefunden wurde, wer dahintersteckt." © René Plaul

Nach dem Brand durfte sie lange Zeit das Grab ihres Mannes nicht mehr sehen, sagt sie. Er liegt vor der Kirche auf dem Friedhof, ein kleiner Bereich ist immer noch abgesperrt. Besucher dürfen nicht auf das Kirchgelände, der Eingang in der Kirchenmauer ist mit einer blauen Plane zugehängt.

Wahrzeichen der Stadt fehlt weiterhin

„Ich fürchte, dass nichts mehr so wird wie früher“, sagt Christoph Wobst, der gerade an der Kirche vorbeikommt. „Es ist immer noch so ein beklemmendes Gefühl, an der Ruine vorbeizulaufen.“ Für Auswärtige, die ihn nach der Brandnacht selbst aus dem Ruhrgebiet anriefen, sei inzwischen wieder vieles normal. Doch für die Großröhrsdorfer bleibe der Anblick ungewohnt, sagt der 31-Jährige.

Günter Böhme (84): "Es ist mir unverständlich, wie er sich in seinen Aussagen verhalten hat, es mal so und mal so geschildert hat. Man sah die Kirche von allen Seiten, wenn man nach Großröhrsdorf fuhr. Jetzt sieht es nur noch aus wie ein Aussichtsturm."
Günter Böhme (84): "Es ist mir unverständlich, wie er sich in seinen Aussagen verhalten hat, es mal so und mal so geschildert hat. Man sah die Kirche von allen Seiten, wenn man nach Großröhrsdorf fuhr. Jetzt sieht es nur noch aus wie ein Aussichtsturm." © René Plaul

Besonders für die Mitglieder der Kirchgemeinde. „Der Weihnachtsgottesdienst im letzten Jahr war für mich kein Gottesdienst“, erzählt eine 85-jährige Dame, die vorbeikommt. Der Gottesdienst sei im Kulturhaus gefeiert worden, doch weihnachtliche Atmosphäre sei dabei nicht aufgekommen. Wenn Romy Greif ihren Sohn aus der Kita abholt, habe sie immer den Kirchturm aus der Stadt hervorragen sehen. „Die Kirche hat einfach zu Gage mit dazugehört.“ Wie die meisten findet die 25-Jährige: Neun Jahre Haft für den Täter sind zu wenig.

Urteil ist nächster Schritt in Richtung Wiederaufbau

„Es ist einfach krank, eine Kirche anzuzünden“, sagt Hans-Joachim Wecke (56). „Ich finde es eine Frechheit, dass er jetzt auch noch in Revision geht.“ Und Lisa Heinrich (23) meint: „Auch wenn ich nicht kirchlich bin, fehlt etwas in der Stadt. Es ist, wie wenn das Rathaus abgebrannt wäre.“

Romy Greif (25): "Neun Jahre Gefängnis sind zu wenig, wenn man bedenkt, welche Bedeutung die Kirche für uns alle hatte. Sie hat zu Gage dazugehört."
Romy Greif (25): "Neun Jahre Gefängnis sind zu wenig, wenn man bedenkt, welche Bedeutung die Kirche für uns alle hatte. Sie hat zu Gage dazugehört." © René Plaul

Von der Kirchgemeinde sei, nachdem das Urteil gefallen ist, ein großer Druck abgefallen, sagt der Großröhrsdorfer Pfarrer Stefan Schwarzenberg. „Wir wussten alle nicht, wie der Prozess ausgeht.“ Es sei sehr wichtig, dass der Kirchenbrand nun zumindest juristisch aufgearbeitet sei. „Wir sind damit einen Schritt vorangekommen beim Wiederaufbau.“ Der Abschied von der alten Kirche falle nun leichter.

Kirchenbrand ließ Stadt näher zusammenrücken

Bürgermeister Stefan Schneider (parteilos) bemüht sich, die - so eigenartig das klingt - positiven Folgen des Kirchenbrands zu betonen. „Wir sind als Stadt dadurch weiter zusammengerückt. Diesen Zusammenhalt und diese Unterstützung erfährt man nur in solchen Notsituationen.“ Kaum jemand aus der Stadt sei im Trauma verharrt, sondern jeder habe gefragt, wo er helfen könne.

Das Urteil von neun Jahren Haft empfinde er als gerecht. „Es ist aber wichtig, jetzt ins Bewusstsein zu rücken, dass es damit noch nicht getan ist.“ Er persönlich wünsche sich, dass die Kirche im ursprünglichen Stil wieder den höchsten Punkt im Ort einnehme. „Ich möchte eigentlich keinen Funktionsbau“, sagt er. „Die Kirche soll baukulturell wieder ein Highlight werden.“

Jürgen Grigull (66): "Es ist ein Schaden, der nicht mehr gutzumachen ist. Der Brand sitzt noch tief in den Menschen, aber wir sollten das jetzt anpacken und die neue Aufgabe bewältigen. Jedes Ende ist ein neuer Anfang."
Jürgen Grigull (66): "Es ist ein Schaden, der nicht mehr gutzumachen ist. Der Brand sitzt noch tief in den Menschen, aber wir sollten das jetzt anpacken und die neue Aufgabe bewältigen. Jedes Ende ist ein neuer Anfang." © René Plaul

Abgeschlossen ist die emotionale Verarbeitung der Brandnacht für den langjährigen Pfarrer Norbert Littig jedoch noch nicht. Drei Fragen seien auch nach dem Urteil immer noch nicht geklärt:

Drei Fragen bleiben auch nach dem Urteil offen

1. Warum hat Maik H. die Kirche angezündet? „Ich empfinde gegenüber dem Mann überhaupt keine Gefühle, weder Hass, noch Mitleid“, sagt Littig. „Aber ich möchte verstehen, was ihn zu der Handlung verleitet hat.“ War es Hass auf die Kirche? Die Wut auf seine Ex-Frau? Auch nach dem Urteil lässt sich darüber nur spekulieren. Maik H. hat dazu keine Angaben gemacht, er hat die Tat bis zum Ende abgestritten. „Nur Einsicht hätte mir Genugtuung gegeben“, sagt Littig.

2. War es eine Affekthandlung oder von längerer Hand geplant? „Vor Gericht konnte niemand sagen, wieviel Benzin für diesen Brand gebraucht wurde“, sagt Littig. Das hatte auch die Verteidigung moniert. Die Druckwelle war durch das gesamte Kirchenschiff gerast, sodass am anderen Ende die Tür zur Brauthalle und die verschlossene Eingangstür aufflogen. Hatte H. nur eine kleine Colaflasche voll Benzin dabei oder schleppte er einen ganzen Kanister auf seinem Fahrrad?

3. Hätte der Brand verhindert werden können? In Suizidfällen gebe es häufig Anzeichen, die auf die als katastrophal empfundene Lebenssituation hindeuteten. „Hat seine Umwelt diese Warnzeichen möglicherweise nicht wahrgenommen?“, fragt sich Littig.