SZ + Kamenz
Merken

Kann sich ein ganzes Dorf komplett selbst mit Energie versorgen?

Nebelschütz will Modellgemeinde für eine zukunftsfähige Energie- Versorgung werden. Eine Studie der Hochschule Zittau/Görlitz zeigt, wie das möglich ist.

Von Heike Garten
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
In Nebelschütz gibt es schon eine Solaranlage auf dem Dach des Gemeindezentrums. Elke Altmann von der Energiegenossenschaft Lausitz weiß aber, dass noch mehr getan werden muss.
In Nebelschütz gibt es schon eine Solaranlage auf dem Dach des Gemeindezentrums. Elke Altmann von der Energiegenossenschaft Lausitz weiß aber, dass noch mehr getan werden muss. © Archivfoto: Matthias Schumann

Nebelschütz. Das kleine Dorf Nebelschütz nahe Kamenz sorgt immer wieder mit interessanten Ideen für Schlagzeilen. Von manchen werden die Nebelschützer dafür belächelt, andere halten die Ideen für durchaus umsetzbar. Eine davon ist, das Dorf energieautark umzugestalten. Von einer enkeltauglichen Energieversorgung ist die Rede – mit Blick auf die Herausforderungen der Klimakrise und die Zukunft künftiger Generationen. Im Herbst 2021 erhielt die Gemeinde den Zukunftspreis, mit dem genau diese Idee ausgezeichnet wurde. 10.000 Euro gab es dafür.

Jetzt, reichlich ein Jahr später, präsentierten Wissenschaftler der Hochschule Zittau/Görlitz, der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) und des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) aus Zittau sowie Vertreter der Energieagentur des Landkreises Bautzen eine Machbarkeitsstudie, die aufzeigen soll, ob und wie eine enkeltaugliche Energieversorgung speziell in Nebelschütz möglich ist. Über mehrere Monate haben sie den Ist-Zustand der Energieversorgung unter die Lupe genommen und berechnet, was in Zukunft für eine autarke Versorgung möglich ist und was das kostet.

Studie: Vollständige Autarkie ist unwirtschaftlich

Energieautark bedeutet, dass sich die Gemeinde mit ihren öffentlichen Gebäuden wie auch die Bürger in ihren Häusern selbst mit Energie versorgen können. Das betrifft die Strom- genauso wie die Wärmeversorgung. „Es handelt sich um eine Vision, die Wege aufzeigt, mit vor Ort erzeugter Energie ein Dorf zu versorgen – natürlich nur mit den Bürgern gemeinsam“, erklärt Marcel Bellmann von der Energieagentur des Landkreises. Und einen Fakt betont er gleich zu Beginn: Eine vollständige Autarkie ist unwirtschaftlich, realistisch seien etwa 55 Prozent.

Von den Wissenschaftlern wurden drei Faktoren näher beleuchtet: Strom, Wärme und Speichermöglichkeiten. Gerade Letzteres dürfte bei einer eigenen Energieversorgung eine große Rolle spielen, um die erzeugte Energie speichern und dann bei Bedarf nutzen zu können. Technische Möglichkeiten gibt es einige, doch welche ist bei einem Dorf wie Nebelschütz umsetzbar?

Marcel Bellmann von der Energieagentur des Landkreises Bautzen war an der Studie mit beteiligt.
Marcel Bellmann von der Energieagentur des Landkreises Bautzen war an der Studie mit beteiligt. © Archivfoto: Steffen Unger

In Nebelschütz wird schon Strom erzeugt, zum Beispiel über Solaranlagen auf der Kita und dem Gemeindezentrum. Nach Einschätzung der Energieagentur übersteigt die Stromerzeugung aktuell den Verbrauch um das 2,5-Fache. Ein großer Teil des erzeugten Stromes wird in das zentrale Netz eingespeist.

Die Zukunft könnte so aussehen, dass die Gemeinde und deren Bewohner nicht mehr mit großen Anbietern wie Sachsenenergie oder Stadtwerken zusammenarbeiten, sondern dass sie ihre Versorgung selbst organisieren, zum Beispiel über eine Energiegenossenschaft und die Etablierung eines Gemeindewerkes als lokaler Versorger. Die Lausitzer Energiegenossenschaft mit Sitz in Nebelschütz gibt es bereits, und sie ist besonders im Dorf aktiv.

Mehr Solaranlagen auf Dächern erforderlich

Fakt ist laut der Machbarkeitsstudie aber auch, dass sich sehr viele Bewohner privat dafür entscheiden müssten, eine Solaranlage auf dem Dach zu installieren. Die Studie zeigt, dass rund zwölf Megawatt Solarstrom von privaten Dachflächen möglich wären. Derzeit genutzt werden Flächen für eine Erzeugung mit einer Leistung von 350 Kilowatt. Das sind lediglich drei Prozent des Potenzials. Für Windstrom sind derzeit keine Großanlagen geplant, und für Kleinwindanlagen gebe es nur ein geringes Potenzial.

Ein zweiter Punkt, vor allem um Energie zu sparen, ist die Sanierung von Gebäuden, in denen aufgrund ihres Alters oder der Bauweise viel Energie verloren geht. Dabei geht es vor allem um Wärme. Nach Einschätzung der Macher der Studie ist der Gebäudestandard der privaten Haushalte in Nebelschütz eher gering, und nur 13 Prozent der benötigten Wärme werden über regenerative Energien erzeugt.

Investitionen von über 5 Millionen Euro notwendig

Um all die vorgeschlagenen Ideen in die Tat umsetzen zu können, bedarf es Investitionen vonseiten der Gemeinde, aber auch im privaten Bereich. Denn letztlich sind es die Hausbesitzer, die sich Solarzellen aufs Dach installieren und dies auch bezahlen müssen. „Für eine Solarleistung von 3,5 MW wäre insgesamt eine Summe von rund 5,1 Millionen Euro nötig“, schätzt Marcel Bellmann ein.

Das klingt erst einmal viel, würde aber über die Jahre gesehen dem Nutzer einen stabilen und im Vergleich zu jetzigen Preisen niedrigeren Energiepreis bringen. Vorausgesetzt, dass Nebelschütz ein Gemeindewerk gründet, selbst Energie einspeist und für sich selbst nutzt und dass so viele Bürger wie möglich mitziehen.

Ein Mann aus Schwarzkollm, der bei der Vorstellung der Studie anwesend war, berichtete, dass er selbst in seinem neu gebauten Haus alles unternommen habe, um einer zukunftsorientieren Energieversorgung Rechnung zu tragen: Solarmodule auf dem Dach, entsprechende Wärmedämmung, E-Auto mit Lademöglichkeit im eigenen Haus. Und trotzdem würde er den Nebelschützern empfehlen, sich zusammenzuschließen, weil es sich dann besser rechnen würde.

Die Studie für eine enkeltaugliche Gemeinde ist letztlich ein Leitfaden. Was die Nebelschützer daraus machen, müssen sie selbst entscheiden. Auf jeden Fall wird es ein sehr langer Prozess.