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Aus für Kamenzer Fußballer: „Überrascht? Wir waren entsetzt!“

Einheit Kamenz hat seine Mannschaft mit sofortiger Wirkung aus der Fußball-Landesliga abgemeldet. Trainer und Kapitän sprechen im Interview über den vieldiskutierten Rückzug, ihr Unverständnis - und wie es weitergeht.

Von Jürgen Schwarz
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Zusammen durch die Krise – das war das Ziel der Landesliga-Fußballer von Einheit Kamenz.
Zusammen durch die Krise – das war das Ziel der Landesliga-Fußballer von Einheit Kamenz. © privat

Kamenz. Nicht nur die Hinrunde in der Fußball-Landesliga ist für den SV Einheit Kamenz beendet, der Verein hat die Mannschaft mit sofortiger Wirkung aus Sachsens höchster Spielklasse zurückgezogen. Am Mittwoch kurz nach 12 Uhr ist beim sächsischen Fußballverband SFV die schriftliche Erklärung aus Kamenz eingetroffen.

Damit liegt die Sache jetzt beim SFV-Sportgericht, das über das weitere Prozedere entscheiden muss. Ohne dem Urteil vorzugreifen: Es ist davon auszugehen, dass alle Spiele der Kamenzer in dieser Saison annulliert werden und Einheit als erster Absteiger feststeht. Cheftrainer André Kohlschütter und Kapitän Patrick Wocko erklären im exklusiven Interview ihre Sicht auf den doch überraschenden und vor allem heftig diskutierten Rückzug.

Zunächst die Frage nach Ihrem sportlichen Fazit – oder ist das nun völlig egal?

Kohlschütter: Auch wenn viele Leute überrascht waren, dass wir das Ziel Klassenerhalt ausgegeben haben, hat sich unsere Einschätzung bewahrheitet. Wir konnten nicht in allen Spielen überzeugen. Ausgezeichnet hat uns jedoch, dass wir alle Konkurrenten um den Klassenerhalt bezwungen haben. Eine Ausnahme bildete das Spiel bei der SG Striesen. Besonders nach den Vorkommnissen in den letzten beiden Wochen hat das Team Charakter gezeigt.

Wocko: Jeder Spieler hat das Ziel, oben in der Tabelle mitzuspielen. Das Trainerteam sowie die Spieler, die schon einige Jahre Teil der Mannschaft sind, wussten, dass es mit dem sehr jungen und fast komplett neuen Kader schwer wird. Jetzt kann man nur sagen, dass wir uns sehr gut eingeschätzt haben. Wir stehen mit 20 Punkten auf einem Nicht-Abstiegsplatz und hätten damit sportlich unser Ziel erreicht.

Die Mannschaft verabschiedete sich beim letzten Heimspiel am 10. Dezember mit einer vielsagenden Botschaft.
Die Mannschaft verabschiedete sich beim letzten Heimspiel am 10. Dezember mit einer vielsagenden Botschaft. © privat

Bereits vor zwei Wochen verkündete Vereinspräsident Thorsten Edelmann „den sofortigen Rückzug aus der Landesliga“. Hatte sich diese Entscheidung angebahnt oder waren Sie überrascht von dieser Ansage?

Kohlschütter: Überrascht? Wir waren entsetzt! Diese Entscheidung hat uns völlig unvorbereitet getroffen. Von Vorstandsseite wurde uns nie mitgeteilt, dass es diese Überlegungen gibt. Im Gegenteil, das Trainerteam hat die Rückrundenvorbereitung geplant, Gespräche mit möglichen Neuzugängen geführt, und wir hatten auch schon Spieler zum Probetraining. All das passierte mit Wissen des Vorstandes und insbesondere des Geschäftsstellenleiters. Ich habe als Spieler und Trainer schon einiges erlebt im Fußball, aber keinen von unserem Team in diese Gedanken einzubinden, ist ein einmaliger Vorgang. Es spricht Bände, wie die Vereinsführung die Abteilung Fußball führt und ihre Gewichtung auch für den Gesamtverein einschätzt.

Wocko: Es ist ein Schlag ins Gesicht, wir hatten keine Vorahnung. Ich habe zehn Jahre für Einheit gespielt. Wir als Mannschaft haben in der Zeit viele Höhen, aber auch einige Tiefen durchlebt, die uns als Team stets stärker gemacht haben. Umso schlimmer und katastrophaler ist diese Entscheidung. Eine Männer-Mannschaft ist immer das Aushängeschild eines Vereins.

Die Hinrunde wurde dann doch noch zu Ende gespielt, und die Mannschaft soll dem Präsidium einige Vorschläge unterbreitet haben, wie die zweite Halbserie doch noch zu Ende gespielt werden könnte. Wie lauteten die Vorschläge?

Kohlschütter: Die Spieler sind bereits zu Beginn der Serie dem Verein finanziell entgegengekommen. Die Mannschaft war abermals bereit, zu deutlich geringeren Bezügen weiterzuspielen. Beispielsweise sollten die Trainingstage verringert werden, um den finanziellen Aufwand für den Verein und die Spieler zu reduzieren. Ohne jedoch groß darüber nachzudenken oder andere Optionen vorzuschlagen, wurden die Vorschläge des Teams durch den Präsidenten abgelehnt.

Wocko: Schon vor dieser Saison wurden die Prämienregelungen sowie Aufwandsentschädigungen niedriger angesetzt. In diesem Fall kamen Spieler dem Verein schon entgegen. Selbst jetzt im Winter hatten wir Spieler dem Verein angeboten, für deutlich geringere Bezüge mit weniger Aufwand bis zum Ende der Saison weiterzuspielen. Ziel der Mannschaft war es einfach, die Saison sportlich zu Ende zu bringen.

Einheit-Cheftrainer redet Klartext nach dem Aus in der Landesliga.
Einheit-Cheftrainer redet Klartext nach dem Aus in der Landesliga. © PICTURE POINT

Wie geht es jetzt weiter?

Kohlschütter: Die Spieler dürfen laut Präsidium den Verein sofort und ohne Auflagen verlassen. Auf mögliche Ablösesummen, die bei einem Wintertransfer durch die Vereine frei verhandelbar wären, wird verzichtet. Die Spieler wurden seit der voreiligen Veröffentlichung des Rückzuges bereits von anderen Vereinen kontaktiert. Ich gehe davon aus, dass fast alle Spieler, die einen neuen Verein suchen, diesen auch finden werden.

Patrick, Sie spielen seit 2013 für Einheit Kamenz und haben mehr als 170 Pflichtspiele bestritten. Das Thema Rückzug aus der Landesliga kam vor der Saison 2020/21 schon einmal auf. Warum sind Sie damals geblieben?

Da gab es mehrere Gründe. Meine langjährige Vereinstreue zeigt, dass man als Spieler sehr geschätzt wurde. Bei Einheit hatte kaum ein Spieler etwas auszusetzen. Man wurde immer sehr gut behandelt, hatte beste Voraussetzungen, was die sportliche Anlage betrifft, konnte sich auf die Mannschaftsbetreuer verlassen. Ich wollte mindestens in der Landesliga spielen, und das gab mir der Verein. Außerdem habe ich einen Fahrtweg von zehn Minuten nach Kamenz, was mir auch sehr entgegenkam.

Beim sächsischen Verband soll es eine mündliche Anfrage gegeben haben, ob Einheit in der Saison 2023/24 als Landesliga-Absteiger in der Landesklasse Ost antreten darf. Können Sie sich vorstellen, auch in der 7. Liga in Kamenz zu bleiben?

Kohlschütter: Mich hat dieser Rückzug hart getroffen und um ehrlich zu sein, muss ich das Geschehene erst verarbeiten. Überlegungen der Vereinsführung, nächstes Jahr Landesklasse spielen zu wollen, gibt es nicht. Derzeit wird durch den Präsidenten eine erste Mannschaft in der 1. Kreisklasse favorisiert.

Wocko: Ich habe nach der Arbeit wahrscheinlich die zweitmeiste Zeit in Kamenz beim Fußball verbracht. Doch mit dem Rückzug der ersten Männer-Mannschaft sowie den Aussagen des Vorstandes bin ich so entsetzt und enttäuscht, dass ich auf keinen Fall unter so einem Vorstand mehr ein Spiel für Einheit bestreiten werde - egal in welcher Liga.

Das Gespräch führte Jürgen Schwarz.