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Wie Sachsen in einem Monat um fast eine Milliarde Euro reicher wurde

Sachsens Justiz hat bei einem Kriminellen 50.000 Bitcoins sichergestellt. Deren Wert ist in kürzester Zeit auf fast drei Milliarden Euro gestiegen. Doch wer profitiert von diesem Schatz?

Von Karin Schlottmann & Moritz Schloms
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Die Investition ihrer illegalen Gewinne in Bitcoins hat die Betreiber eines Raubkopier-Portals zu Milliardären gemacht - wenigstens vorübergehend.
Die Investition ihrer illegalen Gewinne in Bitcoins hat die Betreiber eines Raubkopier-Portals zu Milliardären gemacht - wenigstens vorübergehend. © dpa/Fernando Gutierrez-Juarez

Dresden. Es ist ein spektakulärer Coup, der Sachsens Justiz und Polizei viel Anerkennung eingebracht hat. Mitte Januar stellte die Integrierte Ermittlungseinheit Ines der Generalstaatsanwaltschaft Dresden bei einem Beschuldigten fast 50.000 Bitcoins sicher. Der Marktwert lag zu dem Zeitpunkt bei etwa zwei Milliarden Euro. Noch nie hat eine Behörde in Deutschland eine derart große Menge Bitcoins beschlagnahmt. In den vergangenen Wochen ist der Freistaat sogar noch reicher geworden, denn der Kurs der Kryptowährung ist in dieser Zeit stark gestiegen. Aktuell (29. Februar, 16.30 Uhr) liegt ein Bitcoin bei 58.000 Euro. Der Wert schwankt stark. Alle sichergestellten Bitcoins würden jetzt bei einem Verkauf etwa 2,9 Milliarden Euro einbringen.

Wie die sächsische Justiz in den Besitz der Bitcoins kam

Ausgangspunkt des plötzlichen Reichtums ist ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen das Raubkopierportal Movie2K. Deren Betreiber hatten ihre Einnahmen, die überwiegend aus Online-Werbung und Abo-Fallen stammen, in Bitcoins angelegt und in den vergangenen Jahren enorme Spekulationserlöse erzielt. „Die Sicherstellung der Bitcoins erfolgte nach der freiwilligen Übertragung durch einen Beschuldigten auf durch das BKA zur Verfügung gestellten Behörden-Wallets“, teilten die Ermittler Ende Januar mit.

Seitdem die Behörde ihren ungewöhnlichen Fang bekannt gemacht hat, wird darüber spekuliert, wie und wann die Generalstaatsanwaltschaft ihre Bitcoins verwertet und wer später von den Milliarden profitiert.

Wer Ansprüche auf das Milliardenvermögen anmeldet

Noch läuft das Verfahren gegen die Beschuldigten. Die Behörde hält sich mit Auskünften derzeit zurück. Grundsätzlich fällt das Geld an den Freistaat. Ob andere Bundesländer ebenfalls Forderungen stellen, ist derzeit offen. Es wird erwartet, dass Geschädigte Wiedergutmachung verlangen werden. Vor allem die Filmwirtschaft könnte Ansprüche auf Schadensersatz anmelden. Sie wird durch das illegale Streamen um Einnahmen geprellt. Jedes Mal, wenn ein neuer Film auf den Markt komme, tauchten sofort Tausende Links im Internet auf, die es Nutzern ermöglichen, sich die Produktionen zwar illegal, aber kostenlos anzusehen, sagte Philipp Wohlfrom, Syndikusanwalt bei Constantin Film in München und zuständig für die Piraterieverfolgung.

Pro Titel und Monat gebe das Unternehmen einen vierstelligen Betrag für die Überwachung und für Schutzmaßnahmen aus, sobald ein neuer Film in die Kinos gekommen ist. Vollkommen verhindern könnten die Unternehmen die Verbreitung von Raubkopien nicht. "Aber wir können dafür sorgen, dass normale Nutzer die Links wenigstens nicht auf Anhieb finden."

Constantin Film tritt in dem Strafverfahren gegen insgesamt zwei Beschuldigte, ein Deutscher und ein Pole, als Nebenkläger auf und will auch Schadensersatz geltend machen. "Wir prüfen, ob wir Anspruch auf einen Teil der sichergestellten Vermögenswerte haben", sagte Wohlfrom. "Es ist die Ausnahme, dass die Täter ausfindig gemacht werden und die Gewinne noch vorhanden sind."

Movie2K war von 2011 bis 2013 aktiv.
Movie2K war von 2011 bis 2013 aktiv. © Archiv/Soeren Stache/dpa

Schon das Anbieten eines Films im Internet ohne Lizenz reiche aus, um eine Forderung zu begründen. "Allerdings muss man jeden einzelnen Verstoß nachweisen, also darlegen, welcher Titel betroffen ist, und kann dann daraus eine bestimmte Schadenssumme errechnen." Die Forderung werde jedoch bei weitem nicht in die Nähe von zwei oder gar drei Milliarden Euro kommen, sagte Wohlfrom.

Solche Schadensersatz-Verfahren können sich über Jahre hinziehen. Ein erster Beschuldigter von Movie2K ist bereits im Sommer vorigen Jahres in Leipzig verurteilt worden. Er hatte seine Einnahmen in Immobilien, aber auch in Bitcoins angelegt. Über die Verwendung der Erlöse ist immer noch nicht entschieden worden.

Bekannter Finanzpodcast "Marktgeflüster" spekuliert über sächsische Bitcoins

Auch in der Finanzszene haben sich die Bitcoinbesitztümer des Freistaates schon herumgesprochen. Im Podcast Marktgeflüster thematisiert Thomas Kehl den Fund des Freistaates. Mit dem YouTube-Kanal "Finanzfluss" (fast 1,3 Millionen Abonnenten) betreibt er einen der erfolgreichsten deutschen Kanäle für Finanzbildung. Kehl fragt sich, wie der Freistaat den Verkauf der Bitcoins bewerkstelligen wird. So gebe es eine Webseite der Justiz in Nordrhein-Westfalen, auf der vor mehreren Jahren Bitcoins im Auktionsverfahren verkauft worden waren. Thomas Kehl: "Die durften die Bitcoins nicht einfach über den freien Markt verkaufen, das muss über ein Auktionsverfahren gehen. Ähnlich ist es, wenn beispielsweise Sportwagen von Kriminellen beschlagnahmt werden."

Er habe damals gedacht, über das Auktionsverfahren günstiger an Bitcoins zu kommen. Doch: "Die beschlagnahmten Bitcoins wurden damals sogar über den üblichen Marktpreis verkauft." Warum, darüber kann er nur spekulieren. Seine These: "Dadurch, dass die Bitcoins von der Justiz verkauft wurden, sind es sozusagen ‚saubere‘ Bitcoins. Sie sind nicht mit Geldwäsche oder Erpressung verknüpft."

Sollte die sächsische Justiz ihre Bitcoins verkaufen, dann, so spekuliert der Finanz-YouTuber, könnten sie jedoch unter Wert verkauft werden. Da die Anzahl mit 50.000 sehr hoch sei und die Teilnehmer an einem Auktionsverfahren gering, könnte ein Preisunterschied zustande kommen. Dann sei er bereit, erklärt er scherzhaft, die Bitcoins des Freistaates aufzukaufen.

Hat Sachsen die "Diamond Hands"?

In der Krypto-Branche existiert der Begriff der "Diamond Hands". Damit sind all jene gemeint, die auch bei Kurskorrekturen nach unten nicht verkaufen und weiter im Besitz von Kryptowährungen bleiben. Bitcoin-Besitzer verwenden im Internet gern auch den Begriff "hodln". Der steht für die Überzeugung von Anlegern, die Kryptowährung dauerhaft zu halten. Der Freistaat hat vermutlich weder "Diamod Hands" noch kann er "hodln". Gesetzlich sind die Behörden verpflichtet, ihren beschlagnahmten Besitz zeitnah zu verwerten. Auf den aktuellen Marktwert kommt es dabei nicht an.

Movie2K war von 2011 bis 2013 aktiv. Der kurze Zeitraum hatte genügt, um, ausgestattet mit einer erheblichen Portion krimineller Energie, ein Milliardenvermögen anzuhäufen. Auch wenn die Seiten abgeschaltet wurden, finden sich unter dem alten Namen schon wieder illegale Streaming-Angebote, die mutmaßlich von neuen Betreibern stammen - sogenannte Klone. Die Film- und Serienpiraterie bleibt offenbar auch weiterhin ein lukratives Geschäft.