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Prozess gegen Lina E.: „Es gibt keine gute politische Gewalt“

Die Bundesanwaltschaft hält die Vorwürfe gegen Lina E. für bewiesen. Die Spirale der Gewalt zwischen Links- und Rechtsextremisten müsse unterbrochen werden.

Von Karin Schlottmann
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Der Prozess gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten findet unter starken Sicherheitsvorkehrungen statt.
Der Prozess gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten findet unter starken Sicherheitsvorkehrungen statt. © Ronald Bonß (Archiv)

Dresden. Den Kanalarbeiter in Leipzig hatte es besonders schlimm erwischt. Am helllichten Tag war er während eines Arbeitseinsatzes im Leipziger Stadtteil Connewitz von einer fünfköpfigen Gruppe schwarz gekleideter Schläger verprügelt worden. Er erlitt mehrere Brüche des Schädels und musste Metallplatten im Gesicht tragen. Unerträgliche Schmerzen und Angstzustände dauern bis heute an. Eine Strickmütze mit einem Logo aus der Kampfsportszene, die der Mann an diesem Tag zufällig aufgesetzt hatte, habe die Angreifer auf ihr Opfer aufmerksam gemacht. So schildert es Alexandra Geilhorn, Staatsanwältin beim Generalbundesanwalt, am Donnerstag in ihrem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Dresden.

Die Bundesanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass dieser Überfall wie fünf weitere Taten der Gruppe um die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. zuzurechnen sind. Anderthalb Jahre nach Beginn des Strafverfahrens gegen insgesamt vier Angeklagte sieht sie die Vorwürfe als bewiesen an. Die Gruppe habe sich spätestens im August 2018 als kriminelle Vereinigung zusammengeschlossen und sei mindestens 21 Monate aktiv gewesen.

Sie hätten sich aufgrund ihrer eigenen Definition von Antifaschismus für ermächtigt gehalten, mit Gewalt gegen den politischen Gegner vorzugehen, sagte Geilhorn in ihrem mehrstündigen Schlussvortrag. Ziel sei es gewesen, Rechtsextremisten nachhaltig Schaden zuzufügen, sie psychisch zu brechen und andere abzuschrecken. In den vergangenen Jahren hätten die Auseinandersetzungen zwischen den links- und den rechtsextremistischen Lagern zugenommen. Dies gehe mit massiver Gewalt und Verletzungen einher. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit hänge aber nicht von der politischen Gesinnung ab, mahnte Geilhorn. „Es gibt keine gute politische Gewalt.“ Es sei Aufgabe dieses Gerichtsverfahrens, den Belastungen für die Innere Sicherheit wirksam zu begegnen und die Spirale der Gewalt zu unterbrechen.

Lina E. und ihr Verlobter hatten den "Hut auf"

Die Staatsanwältin ordnete der Gruppe insgesamt sechs Taten zu, die in wechselnder Zusammensetzung begangen worden seien. Lina E. habe gemeinsam mit ihrem Verlobten Johann G. eine herausgehobene Stellung eingenommen. Die beiden hätten den Hut aufgehabt, wie es der Kronzeuge der Anklagebehörde formulierte. G. ist anders als Lina E. die Flucht gelungen, er wird mit Haftbefehl gesucht.

Geilhorn überzeugt, dass die Hauptangeklagte an allen Taten beteiligt gewesen ist, und zwar in der selbst gewählten Rolle als „Überblicksperson“. In dieser Funktion habe sie die Tatorte abgesichert, die Opfer mit Pfefferspray in Schach gehalten und je nach Lage vor Ort den Rückzug angeordnet. Zu den angeklagten Taten gehören Überfälle auf NPD-Funktionäre, auf eine Gruppe rechtsextremistischer Demonstranten in Wurzen sowie auf einen Kneipenwirt aus der Kampfsportszene in Eise- nach. Die Gruppe habe sich zum Ziel gesetzt, möglichst sämtliche Teilnehmer eines rechtsextremen Aufmarsches in Leipzig-Connewitz im Jahr 2016 ausfindig zu machen und zu verprügeln.

Schwierige Beweislage

Die Vereinigung habe weder einen Namen noch ein Kassenbuch oder eine Satzung, sagte Geilhorn. Es habe auch keine feste Aufgabenverteilung gegeben. Für eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung komme es darauf aber nicht an. Das konspirative Vorgehen, das gezielte Training, das ausgeprägte „Wir“-Gefühl und die Abschottung nach außen habe die Gefährlichkeit der Gruppe ausgemacht.

Geilhorn räumte ein, dass die Beweislage für die Teilnahme an den einzelnen Taten nicht klar auf der Hand liege. Es gebe keine „smoking gun“. Sie halte die Angeklagten aufgrund vieler Beweise dennoch für überführt, darunter die Aussagen der Geschädigten, eine Abhöraktion in einem Fahrzeug, Chatauswertungen und die Aussage des Kronzeugen, den der Verfassungsschutz im Sommer präsentierte.

In der nächsten Woche wird die Anklägerin ihr Plädoyer fortsetzen. Anschließend werden die Schlussvorträge der acht Verteidiger erwartet.