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Corona-Attest wegen Lippen-Herpes? Polizist in Dresden vor Gericht

Ein Personenschützer des LKA Sachsen soll in Moritzburg ein angeblich falsches Attest gekauft haben, um keine Maske tragen zu müssen. Vor Gericht in Dresden bestreitet er das.

Von Alexander Schneider
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Im Oktober 2020 mussten überall Masken getragen werden, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Doch nicht jeder hielt sich daran. In Dresden steht nun ein Polizist vor Gericht - wegen einer angeblich gefälschten Maskenbefreiung.
Im Oktober 2020 mussten überall Masken getragen werden, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Doch nicht jeder hielt sich daran. In Dresden steht nun ein Polizist vor Gericht - wegen einer angeblich gefälschten Maskenbefreiung. ©  dpa (Symbolfoto)

Dresden. Er habe nichts Unlauteres im Schilde geführt, als er 2020 auf Arztsuche war, sagt der Polizist. Die Praxis sollte nur nicht weit von seinem Dienstsitz, dem Landeskriminalamt Sachsen (LKA) auf der Neuländer Straße in Dresden-Trachau, entfernt sein. Der Polizeihauptkommissar (54) war Kommandoführer im Personenschutz, meist den ganzen Tag auf Achse. Im Internet sei ihm eine Hausärztin in Moritzburg empfohlen worden. Ausgerechnet Bianca W., doch dazu später mehr.

Die Praxis war acht Kilometer vom LKA entfernt. Er habe die Ärztin angerufen und schnell einen Termin bekommen. Sie nehme nur Privatpatienten, habe sie gesagt. 20 Minuten habe sie ihn behandelt. Problem sei ein Herpes-Ausschlag auf der Oberlippe gewesen, der den Kommissar wiederholt heimgesucht habe, wenn er länger den Mund-Nasen-Schutz getragen habe. Das sei bei häufigen Einsätzen von mehr als zwölf Stunden immer wieder vorgekommen.

Masken-Attest: Stempel, Unterschrift, 25 Euro in bar

Die Ärztin habe zwei Alternativen aufgezeigt: Warten bis der Ausschlag wieder ausbricht oder es erst gar nicht so weit kommen lassen. Man habe sich für Letzteres entschieden. Bianca W. habe ihm an jenem 11. September 2020 in ihrer Praxis ein Attest ausgestellt, wonach das Tragen einer Maske kontraindiziert sei. Stempel, Unterschrift, 25 Euro in bar, fertig. Doch wegen dieses Besuchs sollte der drahtige Kommissar bald mächtig Ärger bekommen.

Ende Oktober habe ihn sein Vorgesetzter angesprochen, um dem Personenschützer klarzumachen, dass Polizeibeamte eine Vorbildfunktion hätten und sich in besonderer Weise an Gesetze und Normen zu halten hätten, von ihnen also auch, Attest hin oder her, das Tragen einer Maske erwartet werde.

Der Chef des Personenschützers sagt nun vor Gericht, der 54-Jährige habe ihm gegenüber in dem Gespräch erwidert, er werde keine Maske tragen. Anfang November sei im LKA dann auch noch die dubiose Quelle dieses Attestes bekannt geworden: Bianca W., längst im Ruhestand, wird der Reichsbürger-Szene zugerechnet und nervt die Behörden seit Jahren, etwa wegen einer Sammlung intakter Jagdwaffen, deren Verbleib bis heute ungeklärt ist.

Verfahren wegen gefälschtem Attest zunächst eingestellt

Wegen des mutmaßlich unrichtigen Attests wurde jedenfalls gegen den Beamten ermittelt. Er musste Überstunden abfeiern und ab Anfang 2021 Innendienst schieben. Dann stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Personenschützer zunächst ein. Doch die Freude währte nur kurz. Denn als gegen Bianca W. wegen neuer Vorwürfe – sie soll ab 2021 massenhaft Atteste zu Sammelterminen in ganz Deutschland verkauft haben – ermittelt wurde, stand auch der Hauptkommissar mit seinem Maskenproblem wieder im Fokus.

Der 54-jährige Polizist erhielt im September 2023 per Strafbefehl eine Geldstrafe von mehr als 4.000 Euro (60 Tagessätze), die er nicht akzeptieren kann. "Ich war in der Praxis", sagte er am Dienstag in seinem Prozess am Amtsgericht Dresden, er sei tatsächlich behandelt worden.

Der Richter wundert sich dennoch. Moritzburg sei "nicht unbedingt in der Nähe" des LKA, sagt er und lässt sich vom Angeklagten Bianca W.s Praxis beschreiben. "Links ist die Toilette, rechts das Untersuchungszimmer mit einem PC", so der Beamte. Personal habe er jedoch nicht gesehen. Dass die Praxis schon damals verwahrlost wie eine Messie-Absteige ausgesehen haben muss, sagt der Angeklagte nicht.

Andere Attest-Empfänger mit geringerer Strafe davongekommen

Die Landesärztekammer habe ihm damals aber persönlich versichert, dass W. Patienten behandeln dürfe. Katja Reichel, die Verteidigerin des Polizisten, fordert eine Einstellung des Verfahrens. Doch der Richter entgegnet, dass er auch für eine solche Entscheidung zunächst die Zeugen befragen will. Aufgrund des Zeitverzugs muss ein geladener Polizei-Arzt wieder nach Hause geschickt werden. Der Prozess wird daher im Februar fortgesetzt.

Klar ist jedoch schon jetzt, dass zahlreiche Attest-Empfänger von W.s Sammelterminen - sie haben wohl keine 20-minütige Behandlung erhalten - mit Geldstrafen von um die 20 Tagessätzen weit milder weggekommen sind als der LKA-Beamte.

Bianca W. sitzt seit Februar 2023 in U-Haft. Ihr Prozess läuft seit November am Landgericht Dresden, sie schweigt nach wie vor. Die 66-Jährige könnte mehr als 300.000 Euro mit ihren Fake-Attesten eingenommen haben, vermuten die Ermittler.