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Prozess gegen Moritzburger Ärztin: Wo ist das ganze Geld?

Ermittler gehen davon aus, dass eine 66-jährige Ärztin für falsche Corona-Atteste rund 300.000 Euro kassiert haben könnte. Bisher sichergestellt wurde nur ein Bruchteil dessen. Wo ist der Rest?

Von Alexander Schneider
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Die Moritzburger Ärztin Bianca W. soll Hunderte falsche Corona-Atteste ausgestellt haben. In ihrem Prozess am Landgericht Dresden schweigt die 66-Jährige bislang.
Die Moritzburger Ärztin Bianca W. soll Hunderte falsche Corona-Atteste ausgestellt haben. In ihrem Prozess am Landgericht Dresden schweigt die 66-Jährige bislang. © Archivfoto: SZ

Die Dimensionen um angeblich gefälschte Atteste einer ehemaligen Moritzburger Hausärztin Bianca W. sind weit größer, als es die Anklage gegen die 66-Jährige, die Ermittler der Reichsbürger-Szene zurechnen, hatte erwarten lassen. Am Mittwoch berichtete die Hauptermittlerin der Dresdner Kripo von insgesamt 42 sogenannten Sammelterminen in ganz Deutschland, bei denen die Angeklagte mit rund 7.000 Patienten zu tun gehabt habe – und etwa 12.000 Atteste ausgestellt haben könnte.

Da diese Atteste für Beträge zwischen 30 und 50 Euro zu haben waren, könnte sich die erbeutete Gesamtsumme auf mehr als 300.000 Euro summieren. Von dem Geld fehlt bislang jede Spur, sagte die Staatsschutz-Beamtin. Bei einer ersten Durchsuchung im März 2022 wurden bei der Angeklagten gut 18.000 Euro sichergestellt, bei der zweiten im Februar dieses Jahres gut 1.400 Euro. Die Ermittlungen und die Suche nach dem Geld dauerten jedoch noch an. Es gebe auch Hinweise auf Auslandskonten, sagte die Zeugin.

Der Prozess vor dem Landgericht Dresden wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse hat Mitte November begonnen. Laut Anklage soll die 66-Jährige in den Jahren 2021 und Anfang 2022 bei vier Sammelterminen ohne Behandlung mehr als 1.000 Corona-Atteste ausgestellt und dafür 48.000 Euro eingenommen haben. Im Angebot waren drei Varianten: Impf-Verbote, Masken-Befreiungen sowie Atteste für Speicheltests statt eines Nasenabstrichs. Viele ihrer Kunden hätten nicht nur ein Attest erworben, sondern unterschiedliche, manche auch für die ganze Familie.

Bianca W. sitzt seit Ende Februar in Untersuchungshaft. Zu den Vorwürfen hat sie sich bislang nicht geäußert. Regelmäßig veranstalten Sympathisanten Demonstrationen, darunter die rechtsextremen Freien Sachsen, vor dem Chemnitzer Frauengefängnis, auch an diesem Donnerstag wieder.

Indigene Germaniten

Nach der ersten Durchsuchung auf dem Moritzburger Anwesen der Ärztin wurden keine neuen Attest-Ausstellungen mehr bekannt, berichtete die Ermittlerin. Das Einfamilienhaus mit der ehemaligen Praxis und die Nebengebäude seien komplett vermüllt gewesen. Das gelte auch für die zweite Durchsuchung bei B.s Verhaftung, sagte die Kriminalhauptmeisterin. Etwa 30 der insgesamt 42 Sammeltermine seien inzwischen abgearbeitet.

Die Sammel-Aktion in Neustadt-Glewe bei Ludwigslust, Mecklenburg-Vorpommern, habe Rosi B., eine Heilpraktikerin, im November 2021 in ihrer dortigen Praxis organisiert. Gegen sie wird noch ermittelt. Auch B. soll sich nicht der Bundesrepublik, sondern dem „indigenen Volk der Germaniten“ zugehörig fühlen, wie die Angeklagte.

Nach Überzeugung der Ermittler soll die Angeklagte 500 Euro an Rosi B. dafür gezahlt haben, dass sie den Sammeltermin organisiert hatte. B. hatte offenbar über eine Ärztin aus dem benachbarten Parchim Kontakt zu Bianca W. bekommen. Auch in Parchim habe ein solches Attest-Event mit der 66-Jährigen stattgefunden.

Bereits am Dienstag wurden die ersten „Patienten“ aus Neustadt-Glewe vernommen. Von 16 geladenen Zeugen kamen jedoch nur neun. Die übrigen fehlten unentschuldigt, weshalb ihnen das Gericht ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro, wahlweise drei Tage Ordnungshaft aufbrummte. Außerdem sollen sie die durch ihr Fehlen verursachten Kosten auferlegt bekommen. Der Vorsitzende Richter Jürgen Scheuring sagte, die Vernehmung der Zeugen sei – nicht zuletzt aus Respekt vor der Angeklagten – wichtig für die Aufklärung der Vorwürfe, be- wie entlastend.

Die anwesenden Zeugen berichteten etwa von einem „Bioresonanzgerät“, das sie berühren mussten. Manche fühlten sich nach der „Behandlung“ gleich viel besser, andere hätten nur ein Attest haben wollen. Die Verteidiger werten die Angaben als Beleg dafür, dass ihre Mandantin ihre Patienten behandelt habe. Beim Sammeltermin in Neustadt-Glewe waren es an einem Tag im November 2021 zwischen 10 und 19.21 Uhr etwa 160 Männer, Frauen und Kinder.

Auch diese Woche nahmen mehrere Dutzend Sympathisanten der Angeklagten als Zuschauer an der Hauptverhandlung teil, darunter neben Dresdner Corona-Kritikern wohl auch der eine oder andere indigene Volksgenosse. Für sie ist das Ganze ein „Schauprozess“.

Die Verhandlung wird im Januar 2024 fortgesetzt. Vorerst wird die Kammer weiter im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Dresden am Hammerweg verhandeln.