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Dresdner Reden eröffnen mit Caspar David Friedrich

Zum Auftakt der Dresdner Reden von Staatsschauspiel und Sächsischer Zeitung erzählt Florian Illies, wie er einst ein Werk des berühmten Romantikers Caspar David Friedrich entdeckte.

Von Karin Großmann
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Bestseller-Autor, Kunstexperte und Kurator Florian Illies eröffnete am Sonntag zum Thema „Caspar David Friedrich der Große“ die diesjährigen Dresdner Reden, eine gemeinsame Reihe von Staatsschauspiel Dresden und Sächsischer Zeitung.
Bestseller-Autor, Kunstexperte und Kurator Florian Illies eröffnete am Sonntag zum Thema „Caspar David Friedrich der Große“ die diesjährigen Dresdner Reden, eine gemeinsame Reihe von Staatsschauspiel Dresden und Sächsischer Zeitung. © Foto: Sebastian Hoppe

Versuchen Sie stets, ein kleines Stückchen Himmel über Ihrem Leben freizuhalten! Mit diesem Rat entlässt Florian Illies das Publikum im ausverkauften Dresdner Schauspielhaus in den Sonntag. Den Himmel zitiert er aus Gemälden von Caspar David Friedrich. Der sei „der wahre Dynamo des kulturellen Selbstverständnisses dieser Stadt“. Den Maler umkreist er schon lange, mal näher, mal ferner. Nun macht er ihn zur Hauptfigur seines nächsten Buches. Es soll im Herbst herauskommen. Dabei scheint doch alles gesagt zu sein, könnte man angesichts einer kaum überschaubaren Zahl von Publikationen über den bedeutendsten Künstler der Romantik vermuten.

Ein Irrtum. Das beweist Florian Illies mit seiner Dresdner Rede. Der 51-jährige Schriftsteller, Kurator und Kunsthistoriker stellt Fragen, die so kaum gestellt wurden. Warum tauchten Friedrichs berühmte Gemälde vom Kreidefelsen auf Rügen oder vom Wanderer über dem Nebelmeer überhaupt erst nach 1900 in der Öffentlichkeit auf? Warum verzichtete die sowjetische Trophäenkommission beim Abtransport von Kunst aus Weesenstein gerade auf Werke der deutschen Romantik? Warum wollte Goethe Friedrichs Bilder auf der Tischkante zerschlagen?

Stalin schnippte der Nachbarin Krümel in den Ausschnitt

Es ist typisch für Florian Illies, dass er Dinge zusammenbringt, die meist getrennt voneinander betrachtet werden. Damit gelangen ihm Bestseller wie „1913“ und „Liebe in Zeiten des Hasses“. Da lässt sich miterleben, wie Leidenschaft, Zufall und Politik die überraschendsten Begegnungen stiften. Manchmal liest sich das so, als sei der Autor dabei gewesen, als Stalin seiner Tischnachbarin Brotkrümelchen in den Ausschnitt schnippte oder Brecht alle seine Geliebten gleichzeitig leiden ließ. Wo andere Kulturhistoriker vielleicht nur ein wirres Knäuel sehen, wittert Illies ein feines Gespinst. Dann zieht er die Fäden. Und findet. Diese Methode bewährt sich auch bei seiner Rede.

In Dresden offeriert der Autor seinen neuesten Fund, mit dem Wissen, das ihm sein Lehrer Francis Haskell beim Studium in Oxford vor Jahren mitgab: Urteilen heißt, sich irren zu können. Wenn es aber kein Irrtum wäre, müsste man von einer spektakulären Entdeckung reden. Im Gemälde „Atelierfenster“ von Carl Gustav Carus vermutet Illies ein Werk von dessen Freund und Lehrmeister Caspar David Friedrich. Die Begründung? Carus sei zwar einer der letzten Universalgelehrten gewesen, ein feinsinniger Beobachter der Natur und als Autodidakt ein guter Maler, doch Konzeptkunst gebe es bei ihm nicht.

Ein Dresdner Abendhimmel über Düsseldorf

Dieses Gemälde aber besitzt ein geistiges Konzept, wie das für Friedrich typisch ist, so Illies. Es spiegelt einen damals aktuellen Streit wider um das Verhältnis von Natur und Kunst. Außerdem stimmt die Form des Fensters mit den Fensterbildern aus Friedrichs Atelier am Ende der Brühlschen Terrasse im Haus An der Elbe 33 überein. Vor allem aber entdeckte Florian Illies auf der Rückseite den Buchstaben D.

Dieser sei eine damals unter Künstlern übliche Abkürzung gewesen für Dedikation, ein Geschenk. Könnte es nicht sein, fragt er, dass Caspar David Friedrich seinem Freund Carus dieses kleine Werk verehrte? Den Beweis für eine neue Zuschreibung müsste eine wissenschaftliche Untersuchung bringen. Derzeit hängt das „Atelierfenster“ als Leihgabe aus Lübeck in der Ausstellung „Mehr Licht“ in Düsseldorf. Florian Illies hat die Schau von Ölstudien kuratiert – und einen abendlichen Dresdner Gemäldehimmel aufs Plakat gesetzt.

Wie kann man Goethe lieben, wenn man Friedrich liebt?

Der Ausstellungstitel lässt an die letzten Worte denken, die Goethe angeblich auf dem Totenbett sprach. Der Großmeister gehört gerade nicht zu den Säulenheiligen von Illies. „Wie kann man Goethe lieben, wenn man Caspar David Friedrich liebt?“, fragt er, und das ist wohl nur eine rhetorische Frage. Er kann es nicht. Klassik oder Romantik. Außen oder Innen. Illies hat sich entschieden. Man sollte künftig die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhundert nicht mehr Goethezeit, sondern Friedrichzeit nennen, meint er.

Der 250. Geburtstag von CDF im nächsten Jahr wäre für die Umbenennung ein guter Anlass. Passend zum Schauspielhaus schildert Illies in fünf Akten die Beziehung zwischen den beiden Großen. Es begann erfreulich mit einer Ausstellungsbeteiligung Friedrichs in Weimar, Goethe besuchte ihn im Dresdner Atelier, ließ auch eines der großen Gemälde mit Regenbogen kaufen, schickte aber andere zurück: zu trübsinnig, zu melancholisch.

Wie Hitler der Nationalgalerie 10.000 Mark spendierte

Zum Bruch kam es, als Goethe Ölbilder der drei verschiedenen Wolkengattungen bestellte, als Anschauungsmaterial. Mit seiner Ordnungsliebe wollte er Wolken und Wellen die Schaumkronen ihres Zaubers nehmen, so Illies. Friedrich lehnte ab und verzichtete damit auf die lang ersehnte Stelle als Hofmaler. Viel aufregender und dramatischer als Friedrichs Leben ist das seiner Werke, sagt Florian Illies. Abbildungen auf dem Bühnenhintergrund illustrieren die Geschichten, die er erzählt.

Wie Adolf Hitler der Berliner Nationalgalerie 10.000 Reichsmark spendierte für den Ankauf des berühmten Watzmann-Gemäldes, ohne zu wissen, dass es aus jüdischem Besitz stammte. Wie der Dramatiker Samuel Beckett in Dresden durch das Bild „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ angeregt wurde zu seinem Stück „Warten auf Godot“. Und damit eine völlig andere Botschaft vermittelte als Geborgenheit in der Natur und Erlösungsglauben.

Sergej Lawrow und das Ende des Raumes von Freiheit

Und Illies erzählt auch, wie der Dichter Heinrich von Kleist in einer Berliner Akademie-Ausstellung vom Gemälde „Mönch am Meer“ in seiner Todessehnsucht bestärkt und ein preußischer Kronprinz von demselben Bild in seiner Trauer um die gestorbene Mutter getröstet wurde. „Die Geschichte der Romantik ist die eines Missverständnisses“, sagt Florian Illies. Er spricht und schreibt über Kunst genauso anschaulich und leicht ironisch wie über die egoistische und biedere Generation Golf, die seinem ersten Erfolgsbuch den Titel gab, wie über seine Herkunft aus der hessischen Provinz oder über die Gewissensbisse angesichts vieler ungesunder Kühlschrankfächer.

Derzeit betreibt der Autor gemeinsam mit dem Zeit-Chefredakteur Giovanni die Lorenzo den erfolgreichsten Kunstpodcast des Landes: „Augen zu“. Nach puren politischen Äußerungen von ihm müsste man eine Weile suchen. In seiner Dresdner Rede erinnert Florian Illies an die Ausstellung „Träume der Freiheit“, die 2021/22 im Albertinum über 140 Bilder deutscher und russischer Künstler vereinte, darunter allein zehn Werke von Caspar David Friedrich. Im Vorwort des Katalogs habe Außenminister Sergej Lawrow die grenzüberschreitende Kunstbegegnung gefeiert und die Kultur als Raum von Freiheit. Wenige Tage, nachdem die Leihgaben nach St. Petersburg zurückgekehrt waren, sagt Illies, beendete Russland in der Ukraine den Raum von Freiheit.