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Der Tunnel der Kurfürsten und Gojko Mitic

Redakteure aus dem Feuilleton verraten ihre Lieblingsorte, an die es sie immer wieder zieht. Heute: die Schnapsideen von Moritzburg.

Von Bernd Klempnow
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Der Tunnel unter dem Hohberg, unweit vom Schloss, ist eine der typischen kurfürstlichen Schnapsideen in Moritzburg: Kutschen des Hofes konnten ihn durchfahren. Später agierte hier Gojko Mitic im Defa-Film „Die Söhne der großen Bärin“ als Tokei-ihto.
Der Tunnel unter dem Hohberg, unweit vom Schloss, ist eine der typischen kurfürstlichen Schnapsideen in Moritzburg: Kutschen des Hofes konnten ihn durchfahren. Später agierte hier Gojko Mitic im Defa-Film „Die Söhne der großen Bärin“ als Tokei-ihto. © Ronald Bonß

Es gibt diese magischen Momente, die immer wieder neu faszinieren. Wenn sich der erste Blick zu den Alpen öffnet, wenn erstmals Möwen die nahende Ostsee ankündigen oder eben, wenn auf der schnurgeraden Schlossallee von Moritzburg nach einer Erhebung das augusteische Prachtschloss auftaucht und grüßt. Und da ist es unwichtig, ob es Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter ist, ob man zu Fuß, per Fahrrad oder Auto unterwegs ist.

Natürlich ist der von August dem Starken angestrebte Lustbau inmitten der Teichlandschaft als „Tempel der Diana“ der Clou – als Gesamtkunstwerk von großartiger baulicher Klarheit und landschaftlicher Harmonie. Egal, in welche Richtung man unterwegs ist, ob auf dem Königsweg, dem Auer- und dem Karras-Rundweg oder dem Sächsischen Jakobsweg, immer wieder lohnen Sichtachsen, betören die Natur und Bauten Auge und Herz.

August der Starke (1670 - 1733) strebte ein Lustbau inmitten der Teichlandschaft als „Tempel der Diana“ vor – das Projekt wurde ein Gesamtkunstwerk von großartiger baulicher Klarheit und landschaftlicher Harmonie.
August der Starke (1670 - 1733) strebte ein Lustbau inmitten der Teichlandschaft als „Tempel der Diana“ vor – das Projekt wurde ein Gesamtkunstwerk von großartiger baulicher Klarheit und landschaftlicher Harmonie. © Arvid Müller

Und doch sind es die vielen Besonderheiten in der Umgebung, die ganzjährig Entdeckungen und Erholung garantieren. Auch wenn viele Gebäude und Denkmale jeder Art eigentlich auf Schnapsideen von August und seinen kurfürstlichen Nachkommen beruhen. Wie kam der Herrscher nur auf den Gedanken, hier exotische Tiergehege anlegen und Seeschlachten auf den künstlichen Teichen inszenieren zu wollen? Grenzenlos war die Fantasie.

Taschenlampe wird gebraucht

Nicht anders seine Erben. Im 18. Jahrhundert bezog ein Urenkel des Kurkönigs die Umgebung für exotische Besonderheiten mit ein. Er ließ Bastionen für Kanonen am Großteich errichten, als asiatisch-inspiriertes Teehaus das Fasanenschlösschen und – Hunderte Kilometer von Meer entfernt – einen Hafen und einen Leuchtturm mit Mole am Niederen Großteich. Und weil auch dieser Wettiner opulente Bankette und unterhaltsame Hoffeste zu feiern verstand, fügte er dem Moritzburger Ensemble einen weiteren Sehnsuchtsort hinzu. Den aber fast nur die Einheimischen kennen: den Tunnel durch den Hohberg.

Zu finden ist er im Forst linksseitig vom Schloss. Quasi vom Käthe-Kollwitz-Haus am Ortsausgang führt ein akzeptabel ausgebauter und angenehm schattenspendender Weg gut einen Kilometer bis zum Tunnel. Der selbst liegt etwas versteckt abseits vom Hauptweg. Und ist damit – speziell in den Laubmonaten – leicht zu übersehen. Eine Infotafel linksseitig am Weg hilft bei der Orientierung. Noch ein leichter Anstieg, schließlich war der Hohberg im 13. Jahrhundert mal ein Herrensitz mit einer Hohen Burg, von der aber nur noch Wall- und Grabenreste zeugen. Dann geht es leicht absteigend in den Tunnel hinein.

Gojko Mitic posiert in seiner Rolle als Tokei-ihto im Defa-Indianerfilms "Die Söhne der großen Bärin", aufgenommen 1965. Der Film 1966 in die Kino.
Gojko Mitic posiert in seiner Rolle als Tokei-ihto im Defa-Indianerfilms "Die Söhne der großen Bärin", aufgenommen 1965. Der Film 1966 in die Kino. © Berliner Verlag / Archiv

Im Inneren machen die Maße staunend. Freiberger Bergleute schlugen einen circa 120 Meter langen Weg durch den Berg. Breite und Höhe sind mit vier mal fünf Metern so ausgelegt, dass hier einst Kutschen mit den Hofgästen zu deren Vergnügen durchfahren konnten. Heute geht das nicht mehr, selbst Fahrräder müssen geschoben werden, weil Steine aus der Decke gebrochen sind und auf dem Weg liegen. Deshalb ist auch eine Taschenlampe zu empfehlen. Ein kleines Abenteuer ist die Exkursion trotzdem.

Wenn man sich vorstellt, wie einst hier Fackeln die Felswände beleuchteten und Hufschlag, Räderknirschen und Gelächter widerhallten. In der Mitte gibt es eine kleine, mit einem Gitter verschlossene Höhle – vermutlich reichte man den Kutschgästen Erfrischungen und mehr.

Goldnuggets von der Defa

Freilich, Fans von Indianer-Filmen müssten den Hohberg- oder auch Hohburg-Tunnel kennen. Im großartigen Defa-Erstling „Die Söhne der großen Bärin“ diente er als Versteck des Goldschatzes der Lakotas von Häuptling Tokei-ihto, den Gojko Mitic spielte. Die Schlüsselszene am Ende des Films zeigt, wie ein Bandit in die Höhle eindringt und den Schatz sucht. Dabei stellt ihn die dort lebende große Bärin, tötet ihn, wird aber selbst tödlich verwundet. Vor den Augen von Tokei-ihto und Stammesmitgliedern der Bärenbande stirbt sie. Die Indianer nehmen das Junge der Bärin mit. Der Häuptling holt die Goldnuggets aus dem Versteck, und die Bärenbande zieht über den Missouri in die Freiheit.