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Feminismus-Forscherin zum Fall Lindemann: "Rammstein muss sich auflösen"

Veronika Kracher forscht und schreibt über Feminismus und Popkultur. Ein Gespräch über Rammstein und strukturelle Probleme in der Musikindustrie.

Von Connor Endt
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Veronika Kracher hat Soziologie und Literaturwissenschaften in Frankfurt am Main und Mainz studiert.
Veronika Kracher hat Soziologie und Literaturwissenschaften in Frankfurt am Main und Mainz studiert. © Ventil Verlag

Mehrere Dutzend Frauen haben in den vergangenen Wochen Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann erhoben. Sie sollen während Konzerten ausgewählt und zur Aftershowparty eingeladen worden sein. Dort soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Lindemann selbst weist Vorwürfe zurück, Frauen seien mit Betäubungsmitteln willenlos gemacht worden. Die Vorwürfe seien "ausnahmslos unwahr", hatte die Berliner Anwaltskanzlei erklärt, die den Musiker aktuell vertritt. Veronika Kracher forscht und schreibt seit Jahren über Feminismus, Popkultur und Patriarchatskritik. Ein Gespräch über die Vorwürfe gegen Rammstein, Machtgefälle in der Musikindustrie und eine „Metoo“-Debatte in der deutschen Rockmusik.

Frau Kracher, in den letzten Wochen konnte man beobachten, dass viele Rammstein-Fans in sozialen Netzwerken nicht den Betroffenen zuhören, sondern feindselig gegenüber den Frauen reagieren, die ihre Erfahrungen teilen. Woran liegt das?

Das hat mit der Identifikation mit dem Idol zu tun und mit dem Wunsch, dieses zu verteidigen. Bei sehr begeisterten Fans passiert es, dass stellenweise dieses Fantum und die Identifikation mit dem Vorbild einen Teil der Persönlichkeit annimmt. Eine Kritik an dem Idol fühlt sich ein bisschen an wie Majestätsbeleidigung und wie eine Kritik an der eigenen Person. Anstatt zu akzeptieren, dass diese Band vielleicht nicht so großartig ist, wie man sich das gerne wünscht, verfällt man in eine Abwehr- und Verteidigungshaltung. Diese Abwehr entsteht, damit das Vorbild ungebrochen existieren kann. Die Frauen müssen selber schuld oder Lügnerinnen sein. Dieses Victim Blaming, das wir gerade beobachten, hat immer das gleiche Ziel: patriarchale Machtstrukturen zu schützen und Betroffene zu diskreditieren. Aber bei Rammstein kommt eben auch noch erschwerend hinzu, dass die Band immer mit einer super sexualisierten Männlichkeit kokettiert hat.

Nach der Metoo-Bewegung werden weiterhin regelmäßig Missbrauchsfälle öffentlich. Was muss sich in der Musikindustrie verändern, damit das aufhört?

In der Musikindustrie besitzen Männer die Produktionsmittel. Es ist eine männerdominierte, patriarchale Industrie. Das macht der Fall Rammstein deutlich: Es gibt in der Musikindustrie Strukturen, in denen sich Männer gegenseitig decken. Das Problem sind nicht nur die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe, sondern auch die Personen, die darüber hinwegblicken, schweigen oder selbst davon profitieren. Ich lese gerade das Buch "Sex Revolts" von den Musikjournalisten Joy Press und Simon Reynolds. Und die führen in diesem Buch auf, dass in der Rockmusik diese vermeintliche Attitüde, die von Musikern zelebriert wird, ganz oft sehr chauvinistisch ist und auf Kosten von Frauen geht. Frauen tauchen in männlich dominierten Musikstilen nicht als eigenständige Subjekte oder Künstlerinnen auf, sondern nur als Projektionsfläche. Die einzigen Rollen, die ihnen zugeschrieben werden, sind Sexobjekt oder Groupies. Das ist ein riesiges Problem.

Es gibt ja immer wieder dieses Argument, dass man Künstler und Werk trennen muss. Inwiefern ist das möglich?

Bei Till Lindemann ist das nicht möglich. Er zeigt sehr eindeutig, dass er sich nicht vom Werk trennen lassen will. Dieser Gewalt-Porno oder seine Vergewaltigungs-Lyrik, das ist nicht von einem lyrischen Ich. Warum müssen Gedichte, bei denen jemand "Pimmel" auf "Himmel" reimt, unbedingt im Feuilleton oder in der Presse als große lyrische Ergüsse zelebriert werden? Wir sind als Gesellschaft zu verständnisvoll, wenn wir Kulturprodukte, in denen sexuelle Gewalt oder generell Gewalt glorifiziert werden, so schulterzuckend abtun. Egal, ob das jetzt ein Vergewaltigungsgedicht oder ein Lars von Trier-Film ist. Das ist keine subversive Auseinandersetzung mit Gewalt, sondern einfach nur deren Reproduktion. Ich finde, da sind wir als Gesellschaft, aber auch das Feuilleton und der Kulturbetrieb, zu wohlwollend mit männlichen Künstlern. Das hängt meiner Meinung nach auch mit dieser alteingesessenen Vorstellung vom männlichen Geniegedanken zusammen, die ganz oft als Ausrede benutzt wird, um gewalttätige Männer irgendwie zu entschuldigen.

Bei Rammstein-Konzerten gibt es jetzt keine Row Zero und keine Aftershow-Partys mehr. Stattdessen sind Awareness-Teams bei den Konzerten anwesend. Reicht das als Maßnahme?

Nein. Zum einen war Alena Makeeva, die ja für Lindemann die Mädchen angesprochen haben soll, höchstwahrscheinlich in München, als Rammstein gespielt haben. Diese Maßnahmen sind Tropfen auf einen heißen Stein. Dann werden diese Rekrutierungen von sehr jungen Mädchen halt auf andere Räumlichkeiten verlagert. Was es braucht, ist eine konsequente Entschädigung der Opfer. Rammstein müssen sich auflösen. Dass die Band jetzt den Anwalt von Luke Mockridge, der ebenfalls der sexuellen Gewalt bezichtigt wird, engagiert hat, ist ein bezeichnendes Statement. Dass diejenigen verklagt werden, die sich geäußert haben, das zeigt, dass Rammstein die Betroffenen egal sind. So einer Band sollte man keine Bühne bieten.

Aus der Musikindustrie gibt es bisher kaum Statements zu Rammstein. Woran liegt das?

Das liegt daran, dass Rammstein kein Einzelfall ist. Das Ausnutzen von sexuellen Machtgefällen in einer männlich geprägten Musikindustrie ist an der Tagesordnung. Wenn wir anfangen, über Rammstein zu reden, müssen wir über noch so viele andere Bands reden.

Bekommen wir jetzt ein Metoo in der deutschen Rockmusik?

Ich hoffe es, weil es dringend nötig wäre. Im US-amerikanischen Raum gibt es das bereits mit Marilyn Manson, der von seiner Expartnerin und anderen Betroffenen der Vergewaltigung und häuslichen Gewalt bezichtigt wurde. Aber wir stehen gerade erst am Anfang. Ich bin der festen Überzeugung, dass es genug Männer in der Musikindustrie gibt, die gerade hoffen, dass das alles schnell vorbeigeht. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.