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Arbeit in Produktion statt Unterrichtsausfall - das sind erste Erfahrungen

Eine Bautzener Schule testet das, was Unternehmerverbände im Kreis Görlitz fordern. Ein Görlitzer Fotograf hat damit Erfahrungen gemacht. Auch die Großschönauer Oberschule testet mehr Praxis.

Von Anja Beutler
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Jasmin Lorenz bei ihrem Fotografen-Praktikum. Die Schülerin wohnt in Görlitz, besucht aber eine Bautzener Schule, die stark auf Berufsorientierung setzt.
Jasmin Lorenz bei ihrem Fotografen-Praktikum. Die Schülerin wohnt in Görlitz, besucht aber eine Bautzener Schule, die stark auf Berufsorientierung setzt. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Jasmin Lorenz geht aktuell jede Woche einen Tag zur Arbeit und vier Tage in die Schule. Die Neuntklässlerin hat also genau den Stundenplan, den sich die drei Unternehmerverbände im Landkreis Görlitz und der Chef des Kreiselternrats als großes Modellprojekt im Kreis wünschen: Die Schüler sollten von Klasse sieben bis neun einen Praxistag pro Woche in Unternehmen absolvieren. Das sei sinnvoller als haufenweise Ausfallstunden - und zudem eine große Chance für die Unternehmen vor Ort, den so drückenden Fachkräftemangel anzugehen. Was offenbar weder die Unternehmerverbände noch der Kreiselternverband wussten: Die Salvador-Allende-Oberschule in Bautzen praktiziert dieses Modell bereits seit diesem Schuljahr.

Aus Sicht von Jasmin, die in Bautzen in genau diese Schule geht, aber mit ihrer Familie seit Kurzem in Görlitz wohnt, hat diese neue Form des Praktikums manches für sich: "Man hat am Ende insgesamt mehr Tage, die man in einem Unternehmen verbringt und man lernt mehrere Aspekte kennen", sagt sie. Ihr erstes Schulhalbjahr hat sie die Praktikumstage beim selbstständigen Görlitzer Fotografen Paul Glaser verbracht, der auch für die Sächsische Zeitung und Sächsische.de arbeitet. Spannend sei das gewesen mit den Terminen, der Kameratechnik und den Motiven, die es zu finden galt.

Sie habe viel gelernt, betont sie. Jetzt, im zweiten Halbjahr, haben Jasmin und ihre Mitschüler die Praktikumsstelle gewechselt. Jasmin ist nun immer dienstags in einer Görlitzer Kindertagesstätte im Dienst. "Es war gar nicht so einfach, eine Kita zu finden, die das so mitmacht", sagt sie. Denn man muss das ja auch einplanen und die Kinder gewöhnen sich natürlich schneller an Praktikanten, wenn die - wie sonst üblich - 14 Tage am Stück in der Kita sind.

In der Tat bedeutet die neue Praktikumsform für die Unternehmen eine Umstellung: Auch bei Fotograf Paul Glaser war das so - und er ist ein Praktikanten-Profi. Seit sechs Jahren ist er selbstständig, hat inzwischen ein Studio in Görlitz: "Man muss für jede Woche die Praktikantin neu für einen Tag mitdenken, das ist herausfordernd", sagt er. Manche Sachen erkläre man dann vielleicht auch einmal mehr, weil ja immer eine Woche dazwischen liege.

Ein Praktikum, das sich auf zwei Wochen am Stück konzentriere, sei kompakter und insgesamt intensiver, so sein Eindruck. Aber vielleicht hänge das auch ein bisschen von der Branche und der Größe des Unternehmens ab, vermutet er.

Stundenausfall nur ein Grund für Praktikumstag

Ob das so ist und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt, will auch Monika von Broen wissen, die Schulleiterin der Salvador-Allende-Schule in Bautzen, in die Jasmin Lorenz geht. Erste Umfragen bei Firmen, Eltern und Schülern dazu laufen. Vor allem aus der Industrie seien die Rückmeldungen bislang gut. Erste Kritikpunkte gebe es aber ebenfalls. Dass dieses neue Modell an ihrer Schule "auch - aber nicht nur" wegen zunehmenden Stundenausfalls eingeführt wurde, bestätigt sie.

Ausschlaggebend war am Ende, "dass die Unternehmen selbst Alarm geschlagen" haben und aktiv geworden sind. Die Schule arbeitet schon lange sehr intensiv in der Berufsvorbereitung, kooperiert mit dem Bildungsdienstleister BAO und hat einen eigenen Praxisberater - ein kleiner wichtiger Luxus - den nur sehr wenige Schulen haben.

Aktuell sind bei dieser Form des Praktikums die Klassenstufen ach und neun dabei - insgesamt fünf Klassen, die mit bis zu 27 oder 28 Schülern besetzt sind. Da die Schüler alle halben Jahre das Unternehmen wechseln, erleben sie im Idealfall vier verschiedene Firmen und Branchen. Dafür braucht man erst einmal ausreichend Partner. Dass ein solches Modell - wie es den Unternehmerverbänden im Kreis Görlitz vorschwebt - generell ausgerollt werden könnte, sieht von Broen skeptisch: "Das ist schon eine echte Hausnummer für alle", kommentiert sie und verweist auf den enormen organisatorischen Aufwand, der dahinter stecke und die Anzahl an Schülern, die dann alle einen Platz suchen.

Ihre Schule habe über Jahre Kontakte aufgebaut und auch von den Unternehmern viel Hilfe erhalten. Denn, wenn die Schüler selbst keine Praktikumsstelle finden, hilft die Schule bei der Suche. So liegt der Schule zum Beispiel eine Liste mit interessierten Unternehmen vor.

Bei der Schule in Bautzen sind die Praktikumstage jetzt so getaktet, dass die Lehrer tatsächlich entlastet werden und der Unterricht effektiver geplant werden kann. Aber Ausfall bleibe eben Ausfall. Das sieht auch von Broens Großschönauer Kollege, Silvio Lindecke, so. Auch seine Pestalozzi-Oberschule ist bei der Berufsvorbereitung spitze. "Für mich kann das aber nie ein Ersatz für Unterricht sein - immer nur ein Zusatzangebot", sagt er. Die Schüler müssten das Wissen erst einmal erlernen - und daran mangele es jetzt mitunter schon. Das bekomme er von den Unternehmen auch gespiegelt.

Schulleiter: Kein Ersatz für Unterricht

Lindecke, dessen Bruder Ronald als Kreiselternratssprecher die Unternehmerverbände bei der Forderung nach Praxisunterricht unterstützt, schickt die Schüler seiner Schule bislang immer zusätzlich zu den Unternehmen - die Unterrichtsstunden kommen obendrauf. In Klasse acht gibt es das klassische Zwei-Wochen-Praktikum, in Klasse neun gehen die Schüler dann alle 14 Tage je einen Wochentag zur Arbeit: "Insgesamt ist dann jeder Schüler in einem Schuljahr bei drei Firmen zum Praktikum", beschreibt Lindecke das dreiteilige Klasse-Neun-Modell in Großschönau.

Was ihm Sorge macht, sind dabei die Zeichen, die aus den Unternehmen kommen: "Wir haben aktuell eine rückläufige Anzahl an Partnern, weil manche Firmen die Betreuung der Schüler personell nicht mehr stemmen können", schildert Lindecke. Einen guten Betreuer brauchen die Jugendlichen aber: "Sie sollen ja die Berufsfelder wirklich kennenlernen", sagt er. Die Idee, die aus den Görlitzer Unternehmerverbänden kam, das hier auch Azubis Aufgaben übernehmen könnten, hält Silvio Lindecke nicht für realistisch.

Jasmin Lorenz war mit ihrem "Fotografen-Chef" jedenfalls zufrieden, sagt sie. Auch auf den wöchentlichen Arbeitstag habe sie sich besser einstellen können als gedacht. Für Paul Glaser sind die Erfahrungen - als Alleinunternehmer - etwas gemischter: "Es gibt so vieles zusätzlich zu klären, von Versicherung bis zur Frage, wie die Schüler zu mir kommen - es fährt ja kein Schulbus", sagt er. Aber Praktikanten nimmt er natürlich auch weiterhin gern. Die Nächste kommt bald.