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Handwerk in Görlitz: "Die vielen Vorschriften sind wie Blutegel!"

Görlitzer Handwerker diskutieren mit Sachsens Wirtschaftsminister Dulig über das Überleben ihrer Branche. Es geht um Fachkräftemangel, Bürokratieabbau und um Egoismus.

Von Jonas Niesmann
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Wirtschaftsminister Martin Dulig (2.v.r.) mit Handwerkern an seinem alten Küchentisch.
Wirtschaftsminister Martin Dulig (2.v.r.) mit Handwerkern an seinem alten Küchentisch. © Martin Schneider

Martin Dulig hat seinen eigenen Küchentisch mitgebracht. Es ist ein altes, ramponiertes Ding aus dunklem Holz, dessen Maserung man mit den Fingern spüren kann. Am Küchentisch, sagt Dulig zu Beginn, finden die besten Gespräche statt, starten die besten Abende, enden die besten Partys. Na, mal sehen. Heute Abend soll es daran um die Zukunft des Handwerks in Sachsen gehen.

Eingeladen hat die Kreishandwerkerschaft Görlitz. Etwa 20 Menschen sind gekommen, vom Tischler über den Stahlbauer zum Kfz-Mechatroniker. Das Prinzip des Formats ist einfach: Wer etwas zu sagen hat, setzt sich an den Küchentisch und sagt es. Eines wird gleich zu Beginn klar: eine Party wird das heute nicht.

„Das Gerede vom Niedergang geht mir auf den Keks“

"Es gibt gerade viele Leute, die schimpfen, aber: an wen richtet sich das eigentlich?", beginnt Martin Dulig die Diskussionsrunde gut gelaunt. Die wirtschaftliche Lage in Sachsen sei ja deutlich besser als die Stimmung. Später legt er nochmal einen drauf: "Mir geht das Niedergangs-Gerede auf den Keks!", wird er dann sagen. Das sehen viele der Anwesenden anders, man hört leises, ungläubiges Schnauben an zwei der Tische. Für heute Abend dürfte klar sein, an wen sich das Schimpfen richtet.

Den Aufschlag macht Sylvio Arndt, Verkaufsleiter einer Autowerkstatt in Niesky, der sich 2022 auch um den Posten des Görlitzer Landrats bewarb. Er fragt in die Runde: Muss ein Unternehmer nett sein? Muss er am Allgemeinwohl interessiert sein? Er will darauf hinaus: Nein, muss er nicht. "Als Unternehmer muss ich egoistisch sein!", ruft er und empfiehlt Dulig, wenn er das nicht genauso sehe, sein Amt zu überdenken.

Das gefällt nun auch wieder nicht jedem in der Runde. "Zielstrebigkeit ist doch was anderes als Egoismus!", ruft einer von hinten rein. Klarer Regelverstoß, aber es wird zustimmend gemurmelt. Am Küchentisch kommt es zum Wortgefecht. Herr Arndt vom Autohaus möchte darauf hinaus, dass wirtschaftliche Interessen immer über sozialer Verantwortung stehen müssen. Dulig findet, dass sich das nicht gegenseitig ausschließt, und dass ein Unternehmer doch wohl auch Interesse an guten Kitas habe.

Moderator Tobias Rothe schreitet ein: "Was kann die Politik denn für Sie tun, Herr Arndt?" Kurze Pause, dann: "Ich brauche Konstanz und verlässliche Rahmenbedingungen aus der Politik." Der Zusammenhang erschließt sich nicht jedem, aber damit ist die Runde nun am ersten der drei Hauptprobleme des Handwerks angekommen.

1. Sich ständig ändernde politische Rahmenbedingungen

Die Tischgäste wechseln durch, der ehemalige Stadtrat und Verleger Michael Prochnow setzt sich. "Es gibt immer unternehmerische Risiken: wie viele Bücher verkaufe ich, wie viel Konkurrenz gibt es", sagt er. Das könne man mit einkalkulieren - und ein bisschen Risiko gebe es immer. "Aber wie soll ich das Risiko kalkulieren, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen plötzlich ändern?" Neue Gesetzte hätten ja sicher einen Grund, sagt Prochnow. "Aber den Schaden, den habe am Ende ich!"

Da widerspricht Dulig nicht. "Ich verstehe Ihre Frustration, wenn vieles nicht mehr planbar ist", sagt er. Die globalen Krisen würden eine Menge Reformen und Veränderung erfordern, diese in ihrer hohen Schrittfolge viele Menschen und Unternehmen überfordern. Er findet: Reformen können ambitioniert sein, ihre Umsetzung müsse aber machbar bleiben. "Sonst fehlt irgendwann das Verständnis in der Bevölkerung und dann haben wir auch ein demokratisches Problem."

Erneuter Wechsel, es erinnert ein bisschen an die Reise nach Jerusalem, nur dass Martin Dulig nicht jede Runde einen Stuhl wegstellt und einer der Handwerker stehen muss. So findet jetzt auch der Zittauer Thomas Kratzer einen Platz am Tisch, Obermeister der Metallbauinnung Görlitz. Er bringt das zweite Thema mit: Für viele, das erfährt man später, ist es das, was ihnen am meisten auf der Seele lastet.

2. Die Gängelungen durch Regelwerke und Vorschriften

"Was uns frustriert ist, dass wir an so vielen Stellen bevormundet werden", sagt Kratzer. Man bekomme so viele Regelwerke und Verordnungen übergestülpt, dass man nicht mehr wirtschaftlich arbeiten könne. Für jede Schraube müsse man sich erklären. "Das hat doch nicht mehr mit Handwerk zu tun!", ergänzt ein anderer.

Es sei auch ein ehrenwertes Motiv, jedem möglichen Arbeitsunfall vorzubeugen. "Aber all diese Auflagen kosten Geld, sie sind wie Blutegel!" Er habe seinen Stundensatz inzwischen verdoppeln müssen, um die Kosten zu decken, die durch den Mehraufwand durch Auflagen entstehe. Das ginge so nicht mehr lange gut, eigentlich gehe es schon jetzt nicht mehr gut. Gesunde Unternehmen würden etwa acht Prozent Rendite erwirtschaften, aber vielen Handwerksbetriebe seien inzwischen bei einem Prozent angekommen. Das lasse auch keine Innovationen mehr zu.

Martin Dulig antwortet ehrlich: "Ich glaube nicht, dass wir im großen Stil Regelungen abschaffen werden. Das wird nicht passieren." Aber wenn alles viel digitaler ablaufen würde, würde das Betriebe zeitlich enorm entlasten. Man habe bereits manche Anträge für Förderprogramme digitalisiert und durch das neue Vergabegesetz könnte sich auch die Bewerbung auf Aufträge durch den Freistaat vereinfachen: Dem aktuellen Entwurf zufolge müssten Betriebe in der Bewerbung nicht mehr nachweisen, dass sie Auflagen einhalten, sondern es nur versichern. Wer dann allerdings lügt, beginge eine Straftat. Das Gesetz wird in dieser Legislaturperiode aber nicht mehr beschlossen werden können, sagt Dulig. Ein letztes Mal wechselt die Tischgesellschaft nochmal Stühle, für ein letztes Thema: Fachkräftemangel.

3. Die Lähmung durch den Fachkräftemangel

Neben Dulig nimmt Ullrich Schneider Platz, Tischlermeister aus Obercunnersdorf. Seine größte Angst sei, dass er bald keine Leute mehr habe. Viele seiner Mitarbeiter gingen bald in Rente. Gute Auszubildende zu finden, sei extrem schwer. "Wenn die ankommen, können die nicht mal einen Hammer halten", klagt Schneider. Den Kindern würde es guttun, wenn sie in der Schule einmal in der Woche praktisch arbeiten würden.

Und dann wollen die Leute auch noch immer weniger arbeiten für immer mehr Geld. "Wenn meine Mitarbeiter kommen würden und auch nur annähernd die Forderungen der Lokführer stellen würden, dann könnte ich direkt zu machen!", sagt nochmal Thomas Kratzer. Dabei sei das doch einfache Arbeit im Vergleich zu einem, der den ganzen Tag eine Kreissäge schwingt. "Deshalb rennen uns die Leute weg."

Bei den Schulen hat Tischlermeister Schneider den Wirtschaftsminister am Haken. Dulig ruft "Jawohl", die beiden nicken so nachdrücklich zusammen, dass es wie eine Stammtischrunde wirkt. "Heute muss man sich ja dafür rechtfertigen, statt seinem Abitur ein Handwerk anzufangen. Man wirkt wie ein Verlierer", sagt Dulig. Man müsse den Kindern vermitteln: Wenn du deinen Meister hast, kannst du alles machen, kannst du kreativ sein, kannst du viel Geld verdienen.