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"Der hat mich vergewaltigt, der wollte mich ertränken"

Im Verfahren wegen versuchter Vergewaltigung wurden am Freitag weitere Zeugen gehört. Mit teils widersprüchlichen Aussagen.

Von Jürgen Müller
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Wegen versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung sitzt ein 23-jähriger Afghane seit Dienstag vor dem Landgericht Dresden.
Wegen versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung sitzt ein 23-jähriger Afghane seit Dienstag vor dem Landgericht Dresden. © Jürgen Müller

Meißen/Dresden. Die 17-Jährige sitzt an der Elbe auf einem Campingstuhl, scheint bewusstlos, springt dann plötzlich auf, schreit: "Der hat mich vergewaltigt, der wollte mich ertränken", dann sackt sie wieder in den Stuhl. Mehrmals wiederholt sich diese Szene. "Einen solchen Zustand haben ich noch nie erlebt", sagt eine Polizistin, die gemeinsam mit anderen Kollegen in jener Nacht vom 20. auf den 21. Juni vorigen Jahres ans Elbufer unterhalb der Meißner Eisenbahnbrücke gerufen wird. Alle verfügbaren Kräfte des Meißner Polizeirevieres sind im Einsatz.

"Der" sitzt jetzt wegen versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung vor dem Dresdner Landgericht. Der 23-jährige Afghane, der seit 2015 in Deutschland lebt und nur eine Duldung hat, sagt nichts zu den Vorwürfen.

Am dritten Verhandlungstag werden am Freitag weitere Zeugen gehört. So ein 17-jähriger Gymnasiast aus Moritzburg. Der Angeklagte ist der Bekannte eines Freundes. Dieser ist wie der Angeklagte ebenfalls Asylbewerber und lebt offenbar illegal hier. Jedenfalls hat er keine gültigen Dokumente, flieht deshalb, bevor die Polizei eintrifft, statt der Frau zu helfen. Zuvor hatten sie die Rufe der Frau gehört: "Hilfe, Hilfe, lass mich in Ruhe, geh weg von mir". Doch gesehen haben will der Zeuge von der Tat nichts. Er berichtet, dass die Frau die ganze Zeit gezittert hat, komplett neben der Spur war. Sobald sie ein Mann, beispielsweise ein Sanitäter, anfassen will, schreit sie hysterisch auf, schubst ihn weg. Erst eine Polizistin kann sie beruhigen.

Am Tatort finden die jungen Leute ein Portmonee. Es gehört dem Angeklagten. In der Geldbörse findet sich seine Duldung. Mit den Worten "Ich denke, es gehört dem, der es war", übergibt der Zeuge das Portmonee der Polizei. Alle hätten gedacht, dass der Angeklagte die Frau vergewaltigt habe, sagt er. Gesehen hat es aber niemand.

Ein anderer, ebenfalls 17 Jahre alter Zeuge, der aus der Haft vorgeführt wird, will den Angeklagten entlasten. Er schiebt alle Schuld auf die Frau. Diese hatte ihm Tage später erzählt, dass sie von dem Angeklagten vergewaltigt worden sei. "Ich weiß, dass das nicht stimmt. Sie erzählt Müll. Ich denke, dass sie betrunken war und Drogen genommen hatte. Sie lügt", sagt er. Wie er denn darauf komme, will die Richterin wissen. "Alle, die betrunken sind, lügen", sagt er daraufhin. Und wenn der Angeklagte die Taten nun doch begangen hat, fragt die Vorsitzende Richterin nach. "Dann habe ich mich eben getäuscht", so der Zeuge. Es gibt an ihn jetzt keine Fragen mehr.

Hosen und Haare pitschnass

Erst im Krankenhaus habe sich die Frau langsam beruhigt, sagt die Polizistin. Die Geschädigte habe erzählt, dass sie austreten gehen wollte, der Angeklagte sei hinterher gekommen. Sie habe sich ausziehen sollen, habe er gefordert, was sie ablehnte. Daraufhin habe er sie ins Gesicht geschlagen und als sie nach Hilfe rief, in die Elbe gezerrt und mehrmals ihren Kopf unter Wasser gedrückt.

Die Polizistin hält das für glaubhaft. Tatsächlich war sowohl die Hose der Geschädigten als auch die des Angeklagten durchnässt und offen. Die Frau hatte auch nasse Haare, in denen sich Reste von Wasserpflanzen befanden. Außerdem hatte sie Kratzer im Gesicht, die künstlichen Fingernägel waren teilweise abgebrochen.

War der Angeklagte total betrunken, wie er bei der Polizei selbst angab? Angetrunken ja, aber er habe keine Ausfallerscheinungen gezeigt, normale Kommunikation sei möglich gewesen, sagt ein Polizist. Er sei auch kooperativ gewesen. Ein Atemalkoholtest bei dem Angeklagten ergab 1,4 Promille.

Getrunken wurde in diese Nacht jede Menge. Allein sieben bis acht Flaschen Wodka flossen durch die Kehlen der zehn bis 15 Jugendlichen. Bei der einen mehr, bei dem anderen weniger. Ein junger Mann hatte tatsächlich 0,0 Promille, bei einer polizeibekannten 13-Jährigen wurden nachts um zwei Uhr dagegen 1,6 Promille festgestellt.

Er hat für alles eine Erklärung

Während der Angeklagte vor Gericht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, hat er sich bei der Polizei ausführlich geäußert, redete wie ein Wasserfall. Und hat die Sache völlig anders dargestellt, wie der Vernehmungsbeamte berichtet. Demnach habe die Frau von ihm einvernehmlichen Sex gewollt. Dann habe sie plötzlich Geld gefordert. Er sei "enttäuscht" gewesen. In Wirklichkeit war er wohl in seiner Ehre gekränkt. Er müsse keiner Frau Geld bezahlen, die Frauen kämen von selbst zu ihm, sagt er später in der Vernehmung. Und er hat noch eine Begründung, warum er sie nicht vergewaltigt habe: "Wenn ich Sex von ihr gewollt hätte, wären ihre Sachen zerrissen."

Als die Frau obszöne Worte gesagt hätte und Passanten vorbeikamen, sei ihm das peinlich gewesen. Deshalb habe er ihr den Mund zugehalten. Dann habe die Frau gehen wollen, sei aber so betrunken gewesen, dass sie kopfüber in die Elbe fiel. Er habe helfen wollen und sei dabei versehentlich auf sie draufgefallen, so seine Version.

Auch der Vernehmungsbeamte wundert sich. "Er hatte für alles eine Erklärung. Dafür, dass er angeblich sturzbetrunken war, hat er erstaunliche Erinnerungen an Details", sagt er. Das Verfahren wird am Montag fortgesetzt.