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Die verkannte Kunst des Dönerschneidens

Mit 15 Jahren kam Müslüm Dogan nach Deutschland. Einzige Perspektive: Döner verkaufen. Sein Bistro in Meißen ist zum Traumberuf geworden.

Von Marvin Graewert & Thomas Riemer
 5 Min.
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In Berlin hat Müslüm Dogan gelernt, richtig Döner zu schneiden.
In Berlin hat Müslüm Dogan gelernt, richtig Döner zu schneiden. © Claudia Hübschmann

Meißen. Döner sind so beliebt, weil die gefüllten Teigtaschen besonders günstig sind. Oder andersherum: Allein in Meißen gibt es fast 15 Dönerbuden und sogar in asiatischen Imbissen drehen sich Dönerspieße. Der Preisdruck ist enorm. Trotzdem haben erste Dönerläden im Kreis den Preis für einen klassischen Döner auf fünf Euro erhöht.

Das Grillhaus Orient hat sich das – trotz guter Lage am Meißner Bahnhof und vieler Stammkunden – nicht getraut. Denn auch wenn es all seinen Kunden schmecke, hätte sich beim Döner der Ruf des einfachen Fastfoods etabliert: "Von außen sieht es vielleicht so aus: Döner schneiden, ins Brot rein, fertig", sagt Inhaber Müslüm Dogan. Die wirkliche Kunst dahinter erkenne nur, wer ganz genau hinschaut.

In Dogans Bistro riecht es nach gerösteten Fleischspießen, in der Luft liegt das ständige Messerwetzen, das im ständigen Rauschen der vorbeipolternden Autos fast untergeht. Dazu diese Hitze hinter dem Tresen, die im Sommer auf bis zu 65 Grad ansteigt – vor allem wenn sich vier Mitarbeiter dahinter drängen müssen, um den Mittagsansturm zu bewältigen.

Müslüm Dogan erfüllt jeden Extrawunsch: sein Rezept für zufriedene Kunden.
Müslüm Dogan erfüllt jeden Extrawunsch: sein Rezept für zufriedene Kunden. © Claudia Hübschmann

Zwei Kunden warten im Laden, zwei Frauen vor der Fensterausgabe. Dogan lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen, mit schwingendem Handgelenk lässt er sein langes Dönermesser am Fleischspieß entlang gleiten. Während feine Dönerscheiben herabfallen, erzählt er, dass jeder einen Dönerladen eröffnen könnte, aber wirklich mit dem Messer umgehen, das könnten die wenigsten: "Das lernt man nur in Berlin richtig." Wohlgemerkt in Berlin, nicht in der Türkei: Dort gebe es keinen richtigen Döner: "In der Türkei ist ein Döner sehr trocken, ohne Soße und meistens mit Hähnchen- statt Kalbfleisch."

In Meißen kennt er fast alle

Der 40-Jährige muss es wissen: Mit 15 Jahren flüchtet er aus einem kleinen Dorf im Osten der Türkei zu seinem Onkel nach Berlin. Außer ein paar Sprachkursen blieb dort nur die Arbeit in dessen Dönerladen: „Anfangs habe ich mir sehr oft in die Finger geschnitten und mein Onkel schon befürchtet, dass ich nichts lerne. Aber für mich war es die einzige Möglichkeit: Ich habe keinen Schulabschluss, also musste es mit dem Dönerladen klappen und es hat auch geklappt.“

Allerdings nicht in Berlin, die Großstadt überfordert das Dorfkind. Doch um sein eigenes Geschäft fernab der Großstadthektik zu eröffnen, ist er noch zu jung. Mit 17 Jahren schließt er sich deshalb mit seinem großen Bruder zusammen, um sein erstes Geschäft in Roßwein zu eröffnen.

"Eigentlich wollte ich Lehrer werden, doch in der Türkei durfte ich nicht studieren, deshalb kam das nicht für mich infrage", sagt Dogan, der das heute überhaupt nicht mehr bereut: "Ich liebe meinen Beruf. Als Dönermann lernst du die unterschiedlichsten Menschen kennen. Manchen ist sogar so langweilig, dass sie nur vorbeikommen, um ein paar Worte zu wechseln."

Dogan nimmt sich gerne die Zeit für ein Gespräch. Nach zwölf Jahren in Meißen kenne er deshalb fast jeden – zumindest vom Sehen. "Durch die Nähe zu den Schulen kenne ich ganz viele Schüler und dadurch auch ihre Eltern." Mittlerweile bereits in der zweiten Generation. "Viele, die bereits als Schüler bei uns gegessen haben, haben jetzt eigene Kinder." Und Dogan selbst ist ganz und gar in Meißen angekommen: Typisch deutsche Sprichwörter wie Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, gehen ihm ganz selbstverständlich über die Lippen.

Zusammen mit seinem Bruder Apo (vorne) betreibt Müslüm das Grillhaus Orient seit vielen Jahren.
Zusammen mit seinem Bruder Apo (vorne) betreibt Müslüm das Grillhaus Orient seit vielen Jahren. © Claudia Hübschmann

40 Prozent Corona-Verluste

Obwohl eine Dönerbude für die Auflagen der Corona-Verordnung wie geschaffen scheint, spricht Dogan aufgrund der Pandemie von Verlusten um die 40 Prozent. Auch wenn die meisten Döner unterwegs gegessen werden, würden viele Gäste wegfallen, die vor Ort essen und immer noch etwas zu trinken bestellen. Mit Preiserhöhungen ließe sich das nur schlecht kompensieren: Dieser Tage würde sich wieder zeigen, dass zum Ende des Monats immer weniger Kunden kommen: "Viele Leute haben Kurzarbeit oder ihren Job verloren, wenn wir jetzt die Preise erhöhen, verlieren wir auch noch unsere Stammkundschaft." Aber auch Dogan werde in den nächsten Monaten nicht um eine Preiserhöhung herumkommen.

In Großenhain hingegen befinden sich die Dönerpreise noch auf einem anderen Niveau. Dass es in Nachbarstädten zu Preiserhöhungen gekommen sein soll, "davon weiß ich nichts", sagt ein Dönerverkäufer in der Innenstadt. Seinen Namen will er wie auch andere nicht nennen – "wir stehen schließlich ein bisschen in Konkurrenz", sagt er schmunzelnd. Über Kundschaft, vor allem in der Mittags- und Vorabendzeit, könne man sich nicht beklagen. "Weil Gaststätten nicht geöffnet haben", sucht der junge Mann eine Erklärung. Für vier Euro bereitet er einen köstlichen Döner zu – wahlweise mit Kräuter-, Knoblauch- oder Chilisauce und frischem Salat. Der Preis ist zuletzt vor gut einem Jahr um 50 Cent gestiegen, liegt aber im Trend. In der Röderstadt lässt sich eine vollwertige und sättigende Döner-Mahlzeit noch für 3,50 Euro bekommen.

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