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Meißen: Faust zwischen LAN-Party und Techno-Schuppen

Das Jugendtheater Meißen wagt sich in seiner neuesten Inszenierung wieder an einen Klassiker – und holt ihn gekonnt in unsere Zeit.

Von Harald Daßler
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Ihren Pakt besiegeln Faust (Matthias Hauser) und Mephisto (Tobias Heimbold) mittels eines in den Körper eingepflanzten Chips.
Ihren Pakt besiegeln Faust (Matthias Hauser) und Mephisto (Tobias Heimbold) mittels eines in den Körper eingepflanzten Chips. © Holger May

Meißen. Schon im Titel „Fuck you Faust“ zeigt sich der Anspruch dieses Theaterstücks: Wie kann man Goethes Faust-Stoff, vor allem die großen Fragen, um die es darin geht, so aufbereiten, dass man damit junge Leute in der heutigen Zeit begeistert? Das F-Wort fällt im Stück erst am Ende – Greta schleudert es dem Schöpfer entgegen, der ihrem Baby eine Spielkonsole schenken will. Sie zeigt sich als selbstbewusste junge Frau, die imstande ist, ihr Leben zu meistern. Im Gegensatz zu Goethes Fassung hat sie das Kind von ihrem Geliebten Faust nicht getötet. Und der Erzeuger bekennt sich am Ende des Stücks zu „unserem Kind“ – er ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das macht Mut.

Der Dresdner freie Schauspieler, Theaterpädagoge und Regisseur Utz Pannike, der seit vielen Jahren schon mit verschiedenen Theatergruppen in mehreren Städten arbeitet, hat gemeinsam mit dem Jugendtheater eine Version des Faust-Stoffes für ein Publikum ab 14 entwickelt. Ein Jahr lang hat er mit den Jugendlichen den Goethes Faust-Text gelesen, Ideen daraus entwickelt und diese „angespielt“, wie er berichtet.

Es lag nahe, das Stück dort anzusiedeln, wo sich das jugendliche Publikum am besten auskennt: in der Schule. Den Anstoß für seine Überlegungen gab eine Veranstaltung, zu der das Kultusministerium Pädagoginnen und Pädagogen eingeladen hatte, erzählt Utz Pannike. Eigentlich sollte er dort mit den Lehrern improvisieren, um die Atmosphäre aufzulockern. Was er aber an Frust aus der Lehrerschaft sowie an Ignoranz von Experten aus der Ministerialverwaltung wahrnahm, hat ihn zu einer ganz besonderen Faust-Version bewogen.

Eine LAN-Party wird gesprengt, weil Mephisto die Stromversorgung abschaltete.
Eine LAN-Party wird gesprengt, weil Mephisto die Stromversorgung abschaltete. © Holger May

Suchmaschinen und Videotelefonate

Auf der Kleinen Bühne in Meißen erscheint Faust als ein Lehrer, der am Alltag in seiner Schule verzweifelt – am Bildungssystem ebenso wie an desinteressierten Schülern und demotivierten Lehrer-Kollegen. Der plötzlich auf einem Whiteboard hinter ihm auftauchende Mephisto verspricht Ablenkung. In diesem Stück wird der Pakt mit einem Chip besiegelt, den der Teufel in Fausts Körper einpflanzt.

Auch die weitere Entwicklung im Stück vollzieht sich dort, wo sich junge Leute auskennen: Das jugendliche Lotterleben, das Goethe in Auerbachs Keller in Leipzig dargestellt hatte, wird auf der Meißner Bühne zu einer LAN-Party oder zum Abtanzen in einem Techno-Schuppen. Oder Gretchens Schicksal: Hier heißt das Mädchen Greta, ist Schülerin und engagiert sich in der „Fridays for future“-Bewegung.

Eine reichliche Stunde währt diese Faust-Fassung für junge Leute, in der die jugendlichen Schauspieler Teile des Original-Textes immer wieder überraschend auf die Bühne bringen. Nicht nur, dass Faust und sein teuflischer Gegenspieler von mehreren Darstellern verkörpert werden. Hier gibt es auch komödiantische Einfälle – etwa wenn die Verjüngung Fausts erst im dritten Anlauf gelingt, nachdem er zunächst zum Baby und danach zu einem Gender-Geschöpf mutiert. Oder die Begegnung mit Greta in einer Straßenszene, die Mephisto von seinen Komparsen mehrfach durchexerzieren lässt, damit Faust die Auserwählte auch wirklich für sich gewinnen kann.

Die Verwendung multimedialer Elemente dürfte das jugendliche Publikum in seiner Lebenswirklichkeit abholen. Die Leinwand hinter der Bühne wird immer wieder zum Bildschirm, auf dem virtuell der Teufel erscheint, ein Name per Suchmaschine im Internet erforscht wird oder wenn Greta per Videotelefonie über ihre Schwangerschaft spricht.

Ausgelassen feiern die jugendlichen Darsteller auf der Kleinen Bühne die Walpurgisnacht.
Ausgelassen feiern die jugendlichen Darsteller auf der Kleinen Bühne die Walpurgisnacht. © Holger May

Rückkehr im Februar 2025

Was die jungen Schauspieler am Mittwochabend auf der Kleinen Bühne bieten, wird bei der Premiere mit allerhand Beifall aus den voll besetzten Stuhlreihen bedacht. Mit den Worten „Es war echt cool“ bedankt sich Utz Pannike bei einer kleinen Premierenfeier im Theatercafé Käte bei den jugendlichen Darstellern sowie allen Helfern, die beim Vorbereiten und Ausstatten dieser gelungenen Inszenierung fleißig waren. Dem Jugendtheater ist es gelungen, einen schweren Stoff in die heutige Zeit zu holen, lobt Renate Fiedler vom Förderverein des Theaters. Der Verein hatte das Projekt auch finanziell unterstützt.

Nach „Frühlingserwachen“ nach Frank Wedekind, „Schillers Räuber – voll Öko“ ist „Fuck you Faust“ eine weitere Inszenierung, in der das Meißner Jugendtheater Werke der Klassiker für das jugendliche Publikum aufbereitet. Dass das neue Stück vorerst nur noch am Tag nach der Premiere aufgeführt wird, wird hinter den Kulissen mit einem Faust-Projekt an den Landesbühnen erklärt, das für die Schulen entwickelt wurde – und das habe sich auf die Kartennachfrage ausgewirkt.

Dennoch sollen die beiden jüngsten Inszenierungen des Meißner Jugendtheaters wieder aufgenommen werden, wie Utz Pannike nach der Premiere bekannt gibt: Das Schiller-Stück ist für diesen Oktober vorgesehen, und „Fuck you Faust“ kommt im Februar des nächsten Jahres wieder auf die Meißner Bühne.