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Falschparker-Apps: Wenn Bürger Ordnungsamt spielen

Ein junger Mann reist durch Deutschland und zeigt Falschparker an. Er ist nicht allein. Auch in Meißen gibt es Leute, die sich persönlich um sowas kümmern.

Von Andre Schramm
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Falschparker per App melden. Gut zwei Drittel der Privatanzeigen kamen im letzten Jahr in Meißen durch.
Falschparker per App melden. Gut zwei Drittel der Privatanzeigen kamen im letzten Jahr in Meißen durch. © Claudia Hübschmann

Meißen. Spätestens seit der Spiegel-TV-Reportage kennt (fast) jeder im Land Niclas Matthei. Der 18-Jährige stammt aus Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) und hat ein ziemlich bizarres Hobby. Als "Anzeigenhauptmeister" reist er durch Deutschland und zeigt auf eigene Faust Falschparker an. Einen behördlichen Auftrag dazu hat er nicht.

In der Regel taucht Niclas in seiner gelben Warnschutzkleidung in einer Stadt auf. Sein Fahrrad hat er ebenfalls immer dabei. Vorn am Lenker hängt ein Zettel mit der Aufschrift "Polizfi". Damit fährt er dann herum – auf der Suche nach Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr. Zur Not misst der "Anzeigenhauptmeister" auch schon mal mit dem Zollstock nach, wer, wieviel Zentimeter im Park- oder Haltverbot steht. Über eine spezielle App schickt er dann Fotos und den Anzeigentext ans zuständige Ordnungsamt. Und das muss sich dann damit beschäftigen.

Nach eigenen Angaben schwärzte der junge Mann im vergangenen Jahr über 4.000 Falschparker an, und brachte den Kommunen Einnahmen in Höhe von 140.000 Euro. Die Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Denn wie verwertbar seine Anzeigen tatsächlich waren, ist nicht vollumfänglich bekannt.

Jedenfalls entfachte die massive Berichterstattung über den selbsternannten Ordnungshüter eine Debatte darüber, ob sowas dem sozialen Frieden auf unseren Straßen zuträglich ist oder nicht. Sofern man sich nicht als Vollzugsdienst ausgibt, ist derlei Privatinitiative durchaus legitim. Knöllchen unter den Scheibenwischer klemmen darf man als privater Hilfs-Sheriff auf öffentlichen Flächen aber nicht.

Anzeigen mit der App

Es gibt inzwischen einige Apps auf dem Markt, um Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr zur Anzeige zu bringen. Niclas Matthei nutzt dem Vernehmen nach die webbasierte App "weg.li".

"Mit weg.li kannst Du ganz einfach dazu beitragen, die Verkehrswende zu beschleunigen. Denn für den Ausbau von Rad- und Fußverkehr braucht es sichere Infrastruktur! Da wir auf die Geschwindigkeit des Ausbaus von geschützten Radwegen und komfortablen Gehwegen nur wenig Einfluss haben, können wir immerhin dafür sorgen, dass die bestehende Infrastruktur nicht durch Falschparker geschädigt wird", heißt es in der Erklärung dazu. Bereitgestellt wird die App von einem Mann aus Friedland (Mecklenburg-Vorpommern).

Nach einer kurzen Registrierung kann man auch schon lospetzen. "Die Behörden verfolgen nur Anzeigen mit vollständiger, ladungsfähiger Anschrift. Anonyme Anzeigen werden verworfen", heißt es in den Hinweisen dazu. Ein Fake-Profil macht hier also keinen Sinn. Empfohlen wird ferner die GPS-Funktion für die Fotos zu aktivieren, vermutlich, um im Zweifelsfall den genauen Ort des Vergehens ermitteln zu können.

Anzeigenhauptmeister war schon in Meißen

Wer seinen potenziellen Aktionsradius einstellt, erlebt eine kleine Überraschung. Unter der Postleitzahl 01662 wurden über die App bereits 84 Meldungen erstattet. Es gibt 14 aktive Melder. Dazu ist eine Stadtkarte mit den Örtlichkeiten hinterlegt, an denen Falschparker bisher entdeckt wurden. Mit anderen Worten: Auch in unserer Stadt gibt es Leute, die so sehr von Falschparkern genervt sind, dass sie sich persönlich darum kümmern.

"Im Jahr 2023 wurden 88 Anzeigen von Bürgern verfolgt, davon mussten 22 Verfahren wegen unzureichender Beweise oder mangels hinreichendem Tatbestand eingestellt werden", teilte das Meißner Ordnungsamt auf SZ-Nachfrage mit. Wie es weiter hieß, würden alle eingehenden Privatanzeigen geprüft und bei hinreichendem Tatbestand auch weiter verfolgt. "Oftmals wird auf Rückfragen der Verwaltungsbehörde an den Anzeigenerstatter nicht mehr reagiert und das Verfahren dann eingestellt", so das Rathaus.

Zur Einordnung: Insgesamt wurden im letzten Jahr 4.477 Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr in Meißen registriert. Im Vorjahr waren es noch 5.395. Der Großteil davon wurde vom gemeindlichen Vollzugsdienst (fünf Mitarbeiter) festgestellt. Was den Anzeigenhauptmeister aus Sachsen-Anhalt angeht, so hat er sich vorgenommen, mindestens eine Anzeige in jeder deutschen Stadt auf den Weg zu bringen. In Meißen war er schon. Das geht aus seiner Jahresbilanz 2023 hervor. Resultat: 10 Anzeigen (355 Euro und zwei Punkte, nach seinen Angaben). Radebeul und Coswig wurden demnach ebenfalls schon von ihm kontrolliert. Aktuell sammelt er Geld für eine Bahncard.

Eine halbe Million Euro Einnahmen

Die Bilanz für das vergangene Jahr auf Meißens Straßen hat aber noch mehr zu bieten. So löste der stationäre Blitzer (Schottenberg Tunnel) 9.070-mal (2022: 9.634) aus. Das mobile Blitzgerät machte 5.536 Fotos (2022: 4.385), u.a. auch von einem Fahrzeug, das mit 137 km/h (nach Toleranzabzug) bei erlaubten 70 km/h unterwegs war. Rekordverdächtige 105 km/h (nach Toleranzabzug) wurden am stationären Blitzer gemessen. Erlaubt sind 50 km/h.

Insgesamt spülte das Fehlverhalten auf Meißens Straßen 506.866,50 Euro in den städtischen Haushalt, und damit knapp 10.000 Euro mehr als im Jahr 2022. "Das Geld wird für die allgemeine Deckung der Aufwendungen der Stadt verwendet, da es nicht zweckgebunden genutzt werden muss", hieß es aus dem Rathaus.