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Beim Pokal der Blauen Schwerter in Meißen gibt es nur ein Thema

Im Oktober entscheidet das IOC, ob Gewichtheben im olympischen Programm bleibt. Der Pokal der Blauen Schwerter zeigt, wie attraktiv diese Sportart sein kann. Die Halle ist voll, die Zuschauer sind begeistert - auch von einem Lokalmatadoren.

Von Daniel Klein
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Der Pole Daniel Goljasz, versucht sich beim Pokal der Blauen Schwerter in Meißen im Stoßen an 200 Kilo.
Der Pole Daniel Goljasz, versucht sich beim Pokal der Blauen Schwerter in Meißen im Stoßen an 200 Kilo. © Jürgen Lösel

Meißen. Alle drei weißen Lämpchen leuchten auf, doch es ist ein gültiger Versuch mit Zittereinlage. Lucas Müller braucht einige wacklige Schritte, bis er zum Stehen kommt und die 163 Kilo regelkonform in die Höhe stemmt. Nach seinem ersten Versuch im Stoßen beendet er den Wettkampf, auf die beiden restlichen Versuche verzichtet er. Ein Kühlpad, das der 20-Jährige auf den linken Ellenbogen drückt, verrät den Grund. "Es ist nichts Schlimmes, aber ich möchte nichts riskieren, die Gesundheit geht vor", erklärt er, ärgert sich aber, "dass so etwas ausgerechnet bei diesem Wettkampf passiert." Für Müller ist der Pokal der Blauen Schwerter in Meißen ein Heimspiel.

Er wurde in Meißen geboren, startet für den AC Meißen in der 2. Bundesliga und war als Kind beim Pokal-Turnier erst Zuschauer, später hat er zwischen den einzelnen Versuchen auf der Bühne die geforderten Gewichte an die Hantel gesteckt. "Von den Zuschauern in der Halle kenne ich fast jeden - Familie, Freunde, Fans", erzählt er. Den Schwerter-Pokal wiederum kennt der 20-Jährige erst nach dem Neustart 2012. Es ist einer der traditionsreichsten Gewichtheber-Wettkämpfe weltweit, die Premiere wurde 1971 in Dresden gefeiert, seit 1973 ist Meißen der Gastgeber. Weltmeister und Olympiasieger waren Stammgäste in der engen und stickigen Wellblechhalle - und die Meißner ein besonders fachkundiges Publikum. Doch nach der Wende schwand das Interesse schlagartig, 22 Jahre brauchte es bis zum Neustart.

Die großen internationalen Namen nach Meißen zu locken, ist nun kein Selbstläufer mehr, sondern Schwerstarbeit an Laptop und Handy. "Ich habe 40 Nationen angeschrieben, zehn sind gekommen", erklärt Michael Hennig vom Organisationskomitee. Die Stars sind am Samstag die Frauen und Männer aus Venezuela, die extra für den Schwerter-Pokal eingeflogen sind und direkt danach wieder in die südamerikanische Heimat zurückkehren. Unter ihnen ist mit Keydomar Vallenilla ein amtierender Weltmeister und der Olympiazweite von 2021 in Tokio. Passend zu seinen Erfolgen kommt Vallenilla mit goldfarbenen Heberschuhen auf die Bühne, nach erfolgreichen Versuchen verharrt er kurz in einer Pose, die an die Verfilmung der Comic-Figur Hulk erinnert. Das Publikum klatscht, johlt, trommelt mit den Füßen.

Mehr als 1.000 Zuschauer kommen in die Halle

Wegen solcher Auftritte sind sie gekommen. Seit 2018 hat die altehrwürdige Wellblechhalle zwar ausgedient, aber auch im modernen Domizil ist es am schwül-heißen Samstag stickig. 380 Zuschauer passen nur hinein, der Wettkampf wird über den Tag in drei Veranstaltungen gestückelt, bei der letzten sind sämtliche Stühle besetzt. "Insgesamt haben wir etwas mehr als 1.000 Leute da", sagt Hennig. "Damit kommen wir über die Runden." Im Gewichtheben wird niemand reich, auch nicht die Ausrichter eines Traditionsturniers.

Die Zuschauer, die gekommen sind, sehen großen Sport. Als letzte Last lässt Goldschuhträger Vallenilla 208 Kilo im Stoßen auflegen. Als der Venezolaner, der in der Gewichtsklasse bis 89 Kilo antritt, die Hantel auf sein Schlüsselbein wuchtet, biegt sich die unter der Last der Gewichte leicht durch. Das Ausstoßen misslingt ihm zwar, trotzdem gewinnt er die Pokalwertung und damit die weiße Porzellanvase mit den gekreuzten Schwertern. Ob er ahnt, wie wertvoll die ist?

Bei der Siegerehrung hat auch Lucas Müller das Kühlpad weggelegt und applaudiert dem 32. Sieger in der Geschichte des Wettkampfs. Da, wo Vallenilla schon war, möchte der Meißner auch mal hin - zu Olympia. Die Spiele im nächsten Jahr in Paris kommen noch zu früh, 2028 in Los Angeles wäre aber ein realistisches Ziel. Doch da gibt es einen Haken. Am 14. Oktober entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) bei einer Vollversammlung, ob Gewichtheben nach Paris weiter Teil des Programms bleibt. Nach einer ganzen Flut von Dopingfällen, verheimlichten positiven Proben sowie Vetternwirtschaft hatte das IOC den internationalen Gewichtheberverband angezählt und ihm ein Ultimatum für umfassende Reformen gestellt.

"Ich hoffe natürlich, dass wir olympisch bleiben. Die Spiele sind mein großes Ziel", sagt Müller. "Aber ich muss abwarten, beeinflussen kann ich die Entscheidung nicht." Florian Sperl, der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber (BVDG) und seit gut einem Jahr auch Vorstandsmitglied im Weltverband, verbreitet in Meißen vorsichtigen Optimismus. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, und ich bin deshalb frohen Mutes, dass wir grünes Licht vom IOC bekommen", erklärt der CSU-Politiker.

Olympia 2028 ist das große Ziel

Müller wird die Entscheidung mit Spannung verfolgen, Mitte Oktober bereitet er sich schon wieder auf den nächsten Höhepunkt vor, die Junioren-WM im November in Mexiko. Bei der U23-EM hatte er kürzlich Silber im Zweikampf und jeweils Bronze im Reißen und Stoßen gewonnen. Der eigentliche Jahreshöhepunkt der Gewichtheber, die WM in vier Wochen in Riyadh (Saudi-Arabien) kommt für ihn noch zu früh. Das deutsche Team wird dort wohl mit vier Männern und einer Frau antreten. Mit Raphael Friedrich aus Rodewisch und dem Chemnitzer Max Lang, der nach drei Pokalsiegen in Meißen diesmal Vierter wird, sind darunter zwei Sachsen. "Für sie geht es bei der WM auch darum, eine gute Ausgangsposition im Rennen um die Olympiatickets zu erkämpfen", erklärt Landestrainer Thomas Faselt. Die Top 8 der Weltrangliste sind in Paris dabei.

Dass es in Frankreichs Hauptstadt keine Abschiedsvorstellung für das Gewichtheben geben wird, hoffen auch die Organisatoren des Schwerter-Pokals in Meißen. Die bereiten bereits die 33. Auflage vor und buhlen um internationale Aufmerksamkeit. Antonio Conflitti, der Präsident des europäischen Gewichtheberverbandes, hat sich beim Schwerter-Pokal umgeschaut und seine Unterstützung zugesagt. Er möchte Wettkämpfe mit Tradition unterstützen, sagt er. Meißen hat davon reichlich.