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Bauernproteste wurden am Dienstag im Landkreis Meißen mit einem Autokorso fortgesetzt

Bauern, Handwerker und Unternehmer setzten ihren Kampf für eine politische Erneuerung fort. Von 8 bis 14 Uhr waren 250 Fahrzeuge unterwegs.

Von Ines Mallek-Klein & Jörg Richter & Sarie Teichfischer
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Von Meißen aus steuerte der Korso Nossen an, danach ging es Richtung Riesa und Großenhain.
Von Meißen aus steuerte der Korso Nossen an, danach ging es Richtung Riesa und Großenhain. © Claudia Hübschmann

Meißen. Das Thermometer zeigt minus 11,5 Grad, als sich der Fahrzeugkorso am frühen Dienstagmorgen im Meißner Gewerbegebiet in Bewegung setzt. An seiner Spitze fahren zehn Streifenwagen, die die Fahrt durch den Landkreis Meißen absichern. Trecker, Lkws, Sattelauflieger, Pritschenwagen, Transporter und selbst Privat-Pkws reihen sich wie eine Perlenkette aneinander. Mit rund 200 Fahrzeugen hatte Marcel Buschmann gerechnet. Am Ende werden es rund 250 Autos sein, die exakt dann starten, als sich die Sonne wie ein roter Feuerball über das Elbtal erhebt. Das sei, sagt einer der Schaulustigen am Straßenrand, ein gutes Zeichen.

Der Mann, der den Bauernprotest im Landkreis Meißen organisiert hat, heißt Marcel Buschmann. Auf seiner gelben Weste steht sein Spitzname, „Buschi“. Gerade noch gibt es letzte Absprachen mit dem Einsatzleiter der Polizei. Eigentlich wollte man 7.45 Uhr starten, doch die Traktoren und Lkws haben ihre liebe Mühe mit dem Meißner Stadtverkehr. Etwa 70 Bauern, Handwerker, Spediteure und Unternehmer sind aus dem Radeburger und Großenhainer Raum angereist, mehr als 100 kommen aus Meißen und einige Traktoren tragen Kennzeichen, die außerhalb der Kreisgrenzen vergeben werden.

Der Wegfall von Subventionen wird von vielen Bauern als existenzbedrohend erlebt. Die Frage sei, ob sich Landwirtschaft in Deutschland noch lohne, vor allem aber, was kommt danach?
Der Wegfall von Subventionen wird von vielen Bauern als existenzbedrohend erlebt. Die Frage sei, ob sich Landwirtschaft in Deutschland noch lohne, vor allem aber, was kommt danach? © Claudia Hübschmann

Zwei Männer stehen vor einem großen roten Lkw. Der Kipper ist leer, in den Auftragsbüchern sieht es nicht ganz so schlimm aus. Aber man merke die Krise in der Baubranche schon und sie habe gerade erst begonnen. Die beiden jungen Männer kommen aus Lommatzsch. Sie haben am Montag schon die Autobahnauffahrt Döbeln blockiert und werden nun, laut hupend, durch den Kreis Meißen rollen. Die Thermoskanne ist mit heißem Kaffee gefüllt und in der Brotdose wartet das Frühstück. „Der Korso rollt auch durch Lommatzsch, aber wir wollten von Anfang an dabei sein“, sagt einer der jungen Männer. Seine Motivation: „Es muss sich etwas ändern in diesem Land, so kann es nicht weitergehen“, sagt's und springt auf den Fahrersitz, es geht los.

Währenddessen steht ein Meißner Unternehmer am Straßenrand, noch etwas unentschlossen, ob er sich der Fahrt anschließen soll oder nicht. „Das, was die Bauern und all ihre Unterstützer hier machen, ist vollkommen richtig. Und ich hoffe, dass sich bald noch viel mehr Menschen dem Protest anschließen“, sagt der junge Mann und ergänzt „hier ist etwas ins Rollen gekommen und ich bin sicher, das lässt sich nicht mehr stoppen“.

"Konservativ, aber keine Chaoten"

Geht es noch um Agrarsubventionen und Biodiesel? Vielleicht am Rande. Es war vielleicht der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es hackt und knackt, wohin man schaue, ob Bildungssystem oder Gesundheitspolitik, ganz zu schweigen von der fehlenden Planungssicherheit, sagt eine Passantin, die gerade den losfahrenden Korso gefilmt hat. „Dass die Menschen das Vertrauen in die Politiker verloren haben, daran sind die ganz allein schuld“, ist sie überzeugt.

Nach einer Fahrt durch die Meißner Innenstadt ging es über die Meisastraße weiter Richtung Bundesstraße 101 und Nossen. Der rollende Protest wird auch Lommatzsch, Riesa und Großenhain abfahren. Gegen 14 Uhr werden die Protestler zurück in Meißen erwartet. Veranstalter Buschi betonte, dass ihm das Einhalten von Regeln und Absprachen sehr wichtig sei. "Wir sind Landwirte - konservativ, aber keine Chaoten", so der Organisator des Korsos.

Es sei entlang der Route mit Verkehrseinschränkungen zu rechnen, teilt die Polizei mit. Sie empfiehlt allen Autofahrern, Verzögerungen einzuplanen und auf unvorhersehbare Behinderungen gefasst zu sein. Eine Portion Gelassenheit könne nicht schaden.

Michael Görnitz ist Biobauer und Chef des gleichnamigen Obstbaubetriebes. Er fürchtet angesichts wachsender Bürokratie und Regelungswut um die Zukunft der Agrarwirtschaft in Deutschland.
Michael Görnitz ist Biobauer und Chef des gleichnamigen Obstbaubetriebes. Er fürchtet angesichts wachsender Bürokratie und Regelungswut um die Zukunft der Agrarwirtschaft in Deutschland. © Claudia Hübschmann

Ist Landwirtschaft in Deutschland noch gewollt?

Nicht nur, dass Beschlüsse und Gesetze wieder zurückgenommen werden, kaum dass sie verabschiedet wurden. Sie widersprechen sich auch und stehen im Gegensatz zu den politischen Zielen. Es ist Michael Görnitz, Geschäftsführer des gleichnamigen Bio-Obstbaus, der das sagt. Er stand am Montag mit seinen Mitarbeitern und drei Treckern auf der Altstadtbrücke, den Korso heute will er auslassen, aber am Mittwoch, wenn es nach Dresden geht, ist er wieder mit dabei.

Ministerpräsident Michael Kretschmer will mit den Bauern sprechen und die haben viel mehr auf dem Herzen als die Beibehaltung der Subventionen für Agrardiesel. Das sei, so Michael Görnitz, für Biobauern übrigens besonders wichtig. „Wir sind viel öfter auf unseren Feldern und Flächen unterwegs, weil der Ökolandbau einen größeren Anteil an Hand- und Maschinenarbeit hat, der Wegfall der staatlichen Unterstützungen trifft uns also härter als konventionell arbeitende Bauern“, so der Firmenchef.

Er fragt sich, wie viele seiner Berufskollegen im Übrigen auch, ob Landwirtschaft im herkömmlichen Sinne in Deutschland überhaupt noch gewollt sei. Schon heute liege die Selbstversorgerquote mit Obst und Gemüse bei 20 beziehungsweise 40 Prozent. „Wir können natürlich auch alles importieren, aber das ist dann nicht nachhaltig“ so Görnitz. Das Einzige, was in Deutschland übrigens mehr geerntet als verzehrt werde, sei Weißkohl.

Der Korso rollt über die Meißner Altstadtbrücke Richtung Innenstadt.
Der Korso rollt über die Meißner Altstadtbrücke Richtung Innenstadt. © Claudia Hübschmann

Und dann ist da noch die Regulierungswut, die laut Michael Görnitz in Deutschland immer neue Blüten treibe und dafür sorge, dass man als Agrarbetrieb kaum noch konkurrenzfähig sei gegen Mitbewerber aus anderen Ländern. „Wissen Sie, dass mir der Gesetzgeber vorschreibt, wie lange der Weg meiner Erntehelfer zur Toilette sein darf? Maximal zwei Minuten. Das mag eine Kleinigkeit sein, stellt uns aber vor große Herausforderungen“, so der Biobauer.

"Es betrifft dieses Mal einfach alle"

Die Proteste bringen längst nicht mehr nur die Bauern auf die Straße. Es sind auch auffallend viele Speditionen, die ihre Trucks im Korso rollen lassen. Denn auch sie sind von den Preissteigerungen an den Zapfsäulen betroffen und dann ist da noch die drastische Mauterhöhung zum Jahreswechsel, „über die kaum noch einer redet“, sagt ein Mitarbeiter, der für eine Spedition aus dem Radeburger Raum fährt. Laut hupend geht es auch für ihn auf die Strecke. Die anderen Verkehrsteilnehmer geben wahlweise Lichthupe oder grüßen winkend. Verärgert wirkt keiner, auch nicht in Mehltheuer, wo die Trucker auf dem Parkplatz der Agravis-Lagerhalle ihre Mittagspause einlegen.

Julia Kracht vom Landwirtschaftsbetrieb Kracht in Robschütz bei der Mittagspause in Mehltheuer. Die Familie ist mit zwei Traktoren beim Korso dabei.
Julia Kracht vom Landwirtschaftsbetrieb Kracht in Robschütz bei der Mittagspause in Mehltheuer. Die Familie ist mit zwei Traktoren beim Korso dabei. © Sebastian Schultz

Hier gibt es Kuchen, Kaffee und Würstchen in großen Mengen - organisiert von Freunden und Unterstützern. Vor dem Verzehr müssen die rund 250 Fahrzeuge allerdings erst einmal parken. Julia Kracht ist eine der Ersten, die mit ihrem Traktor aufs Gelände fährt - mit einem Schild an der Motorhaube: "Wir kämpfen für unsere Höfe und die Zukunft unserer Kinder."

Das meint sie ganz konkret: Gemeinsam mit ihrem Bruder will die 23-Jährige irgendwann den Familienbetrieb ihrer Eltern in Robschütz bei Meißen übernehmen. Noch studiert sie in Bayern Landwirtschaft und macht gerade ihr Praxissemester in einem großen Betrieb hier in der Region. Familie Kracht betreibt seit über 30 Jahren Ackerbau und einen Milchviehbetrieb.

Heute ist sie mit zwei Traktoren und fast allen Familienmitgliedern dabei - nur der Vater muss zu Hause bei den Tieren bleiben. Julia Kracht findet gut, dass beim aktuellen Protest - im Vergleich zu 2019 - alle Landwirte dabei sind, egal ob sie konventionell oder biologisch arbeiten: "Es betrifft dieses Mal einfach alle."

"Ein schönes Gefühl, so viel Zuspruch zu haben"

Während der Traktorenkorso pausiert, stehen Mitarbeiter der Agrargenossenschaft Wülknitz mit einem blauen Traktor auf dem Platz vorm Kino in Riesa und verteilen Handzettel. „Uns ist es wichtig, dass wir auch direkt mit den Bürgern ins Gespräch kommen“, sagt Marcus Schaaf. Die Bauern wollen erklären, warum sie um die vollständige Rücknahme der Subventionskürzungen durch die Bundesregierung kämpfen. Groß argumentieren müssen sie nicht. Viele Riesaer bleiben freiwillig stehen und wünschen den Bauern Erfolg bei ihrem Protest. „Haltet durch Jungs!“, „Wir stehen hinter euch“ oder „Ich finde gut, was ihr macht“ sind typische Reaktionen der Passanten.

Fritz Gohrisch (l.) und Marcus Schaaf (Mitte) von der Agrargenossenschaft Wülknitz verteilen vorm Riesaer Kino Handzettel an Passanten. René Georgi nimmt einen und hofft, dass die Bauern mit ihrem Protest Erfolg haben.
Fritz Gohrisch (l.) und Marcus Schaaf (Mitte) von der Agrargenossenschaft Wülknitz verteilen vorm Riesaer Kino Handzettel an Passanten. René Georgi nimmt einen und hofft, dass die Bauern mit ihrem Protest Erfolg haben. © Jörg Richter

Eine Frau kommt und bringt vier Becher heißen Kaffee vorbei. Den hat sie kurz zuvor in einer Bäckerei an der Elbgalerie gekauft. Auch sie zeigt großes Verständnis für die Bauern. „Wenn Eier, Milch und Gemüse aus den Regalen der Märkte verschwunden wären, würden viele Leute blöd gucken“, sagt die Frau, die namentlich nicht genannt werden möchte.

„Es ist ein schönes Gefühl für uns, so viel Zuspruch zu haben“, sagt Schaaf, „da stellen wir uns gern in dieser Kälte hierher.“ Wenn Leute kommen, um nur über den Staat zu schimpfen, versuche er, das Gespräch schnell zu beenden. Gelegenheit hat er genug. Denn immer wieder bleiben andere Passanten stehen.

Am Montag waren die Wülknitzer und Peritzer Bauern mit ihren Traktoren in Dresden dabei, um die Autobahnauffahrt in Hellerau zu blockieren. Auch am Mittwoch wollen sie zur Großdemonstration auf den Dresdner Theaterplatz fahren und auch am kommenden Montag nach Berlin. Dann allerdings ohne ihre Traktoren.