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Wie Wasserstoff den Energiehunger des Landkreises Meißen stillen soll

Die großen Industriebetriebe rüsten sich für die Energiewende. Wasserstoff gilt als Alternative, allerdings nicht für jeden und es droht eine Zweiteilung des Kreises.

Von Ines Mallek-Klein
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Der Energiehunger der Region ist groß. Das liegt an den vielen Industriebetrieben, zu denen auch die Walzengießerei Coswig gehört.
Der Energiehunger der Region ist groß. Das liegt an den vielen Industriebetrieben, zu denen auch die Walzengießerei Coswig gehört. © Arvid Müller

Meißen. Der Energiehunger in der Region ist immens. Im Positionspapier des Landkreises Meißen ist von einem Jahresverbrauch von zweieinhalb Milliarden Kilowattstunden die Rede. Zum Vergleich: Unsere Nachbarn in den Kreisen Bautzen und Sächsische Schweiz - Osterzgebirge verbrauchen im gleichen Zeitraum weniger als eine Milliarde Kilowattstunden. Damit ist klar, die Energiewende stellt den Kreis Meißen und seine Protagonisten vor besonders große Herausforderungen. Gleichzeitig ist ob des Verbrauchs und den verbundenen Kosten auch die Änderungsbereitschaft hoch. Denn eines ist sicher, die zunehmende Kohlendioxidabgabe wird fossile Energieträger auch zukünftig teurer machen.

Doch nicht für alle taugt der neue Energieträger. Die Staatliche Porzellanmanufaktur Meissen wird auf Erdgas nicht verzichten können, erklärt Geschäftsführer Tilmann Blaschke. Nach Beginn des Krieges in der Ukraine habe man vor einigen Monaten Versuche mit Butangas gemacht. Es hätte dann die Öfen befeuern sollen, wenn kein Erdgas mehr fließt.

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Man wollte vorbereitet sein und ist doch froh, Butan nicht gebraucht zu haben, denn das Gas ist deutlich teurer als Erdgas. "Aber Wasserstoff ist keine Alternative, zumindest kurz- und mittelfristig", sagt Manufakturchef Blaschke. In den Öfen müsse für den Brennvorgang ein ganz besonderes Milieu herrschen, das mit Wasserstoff aus heutiger Sicht nicht erzeugt werden könne. Bislang gäbe es weder Versuche noch Forschungsergebnisse dazu.

Wacker Chemie außen vor?

Bis 2027 soll der Landkreis an die überregionale leitungsgebundene Wasserstoffversorgung angebunden sein. So steht es in dem Positionspapier, das die Kreisräte im September vergangenen Jahres beschlossen haben. Die Haupttrasse läuft auf der Höhe Leipzig nördlich am Landkreis vorbei und damit gut 40 bis 50 Kilometer entfernt von dem Industriebogen, in dem mit Stahl-, Röhren- und Schmiedewerken und einem großen Chemiewerk die Hauptverbraucher sitzen.

Bis also der erste Wasserstoff aus den Leitungen kommt, wird es noch etwas dauern. Mutmaßlich bis 2032. Der Fernleistungsnetzbetreiber Ontras und die zur Sachsen-Energie AG gehörenden Sachsennetze haben eine gemeinsame Studie beauftragt.

Allerdings bezieht die sich auf die Infrastruktur in Dresden und jene Teile des Kreises, die nördlich an die Landeshauptstadt angrenzen. Damit wären die Großverbraucher wie Wacker Chemie außen vor. Und das, obwohl die Werksleiterin und Sprecherin der Energie- und Wasserstoffallianz im Industriebogen Meißen, Dr. Jutta Matreux, nicht müde wird zu betonen, wie wichtig ein schneller und konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien in der Region für die Zukunfts-Perspektiven der Industrieunternehmen und ihrer Mitarbeiter ist.

In einem ersten Schritt wurden die Unternehmen der Region rund um Meißen und Radebeul nach ihrem Bedarf abgefragt, darunter waren auch die Meißener Stadtwerke. Wesentliche Erkenntnis der 2023 durchgeführten Studie: Spätestens 2032 soll der regionale Versorger an das Wasserstoff-Kernnetz angebunden werden, das sich auf einer Gesamtlänge von 9.700 Kilometern durch Deutschland verzweigt.

Bis es so weit ist, sind noch allerlei Vorarbeiten nötig. So muss das bestehende Leitungsnetz auf seine Tauglichkeit für Wasserstoff überprüft werden. "Das tun die Meißener Stadtwerke schon seit 2022", sagt Sebastian Klare, der in dem Unternehmen für Marketing zuständig ist. Ende 2025 werde man dann Klarheit haben, inwieweit das Netz taugt und wo möglicherweise noch investiert werden müsse. Konkrete Zahlen wollen und können die Stadtwerke jetzt noch nicht nennen.

Woher soll der grüne Wasserstoff kommen?

Andernorts wird schon gebaut, in Coswig beispielsweise. Dort hat der Ferngasleitungsbetreiber Ontras Sanierungsarbeiten von April bis Oktober angekündigt. Das Leitungssystem soll auf die Umstellung auf Wasserstoff vorbereitet werden. Ontras wirbt für Verständnis bei Auto-, Radfahren und Fußgängern, denn es wird zu zahlreichen Verkehrseinschränkungen kommen. Sie betreffen unter anderem die Elbgaustraße in Neusörnewitz. Dort muss ein Rohr ausgewechselt werden. Die Straße wird vom 1. Mai bis 30. Oktober auf Höhe des Langen Grabens gesperrt sein. Der Fahrzeugverkehr muss die Umleitung über Sörnewitz und Brockwitz nutzen, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt Coswig.

Über Investitionen im Zusammenhang mit der Nutzung von Wasserstoff macht man sich auch bei dem Badkeramikhersteller Duravit Gedanken. "Der Wechsel von Gas auf Wasserstoff wäre bei uns problemlos möglich", sagt der zuständige Technikvorstand Thomas Stammel. Allerdings ginge das nicht ohne gründliche Vorbereitung. Vier bis fünf Millionen Euro müssten allein am Standort in Meißen investiert werden. Die aktuelle Situation an den Energiemärkten haben die Manager von Duravit sehr genau im Blick. Bei den Gaspreisen zeichnet sich eine Entspannung ab. Doch zum Aufatmen ist es zu früh, da der Strompreis auch aufgrund der Abgaben auf sehr hohem Niveau bleibt.

Anders als beim Brennen des Meissener Porzellans ändert der Wasserstoff Absatz im Duravit-Werk nichts. Der Brennprozess für die Wasch- und Toilettenbecken bliebe derselbe, so Thomas Stammel. Eine Frage aber bleibt nicht nur für ihn: Woher soll der grüne Wasserstoff in den benötigten Mengen überhaupt kommen? Im Positionspapier des Landkreises ist klar zu lesen, genügend Windenergie, mit der man im Elektrolyseverfahren Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten kann, wird man zwischen Riesa, Großenhain und Radebeul nicht erzeugen können. Dafür fehlen schlicht die nötigen Flächen.