SZ + Meißen
Merken

Wie Ausfallstunden an den Schulen im Kreis Meißen schöngerechnet werden

Nicht nur in der Wahrnehmung von Schülern und Eltern, auch aus der Sicht des Lehrerverbandes fielen vor Weihnachten so viele Schulstunden aus wie selten zuvor. Die neue Coronawelle liefert nur einen Teil der Erklärung.

Von Ines Mallek-Klein
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
In den vergangenen Schulwochen traf ein extrem  hoher Krankenstand unter den Lehrkräften auf ein System, in dem ohnehin Pädagogen fehlen. Die Folge waren massive Stundenausfälle über alle Schultypen hinweg.
In den vergangenen Schulwochen traf ein extrem hoher Krankenstand unter den Lehrkräften auf ein System, in dem ohnehin Pädagogen fehlen. Die Folge waren massive Stundenausfälle über alle Schultypen hinweg. © Claudia Hübschmann

Meißen. Der Schulinsider sendet im Halbstundentakt. Die Handy-App nutzen auch im Landkreis Meißen einige Schulen, um ihre Schüler und deren Eltern zu informieren. Andere sind auf Stundenplan24.de passwortgeschützt unterwegs oder veröffentlichen ihren Vertretungsplan auf der hauseigenen Website. Im besten Fall geht es um Stundenvertretungen, im schlechtesten um Stundenausfall. Und den gab es in den letzten Wochen massenhaft. "Es fallen derzeit so viele Stunden aus, wie selten zuvor", sagt Rene Michel, der stellvertretende Vorsitzende des sächsischen Lehrerverbandes. Konkrete Zahlen sammelt das Landesamt für Statistik in Kamenz, wird sie aber erst im Frühjahr 2024 nach dem Ende des ersten Halbjahres veröffentlichen.

Sie werden nicht gut ausfallen und erzählen zudem nicht die ganze Wahrheit. Denn zu den Stunden, die jetzt zumeist krankheitsbedingt ausfielen, kommen noch geplante Ausfallstunden. Also Unterricht, den die Schulen schon beim Bauen ihrer Stundenpläne ausfallen lassen, weil nicht genügend Lehrer zur Verfügung stehen.

Und genau das ist das Problem. Es fehlt an Lehrern. Mindestens 1.200 Vollzeitstellen sind es sachsenweit. "Und wir warnen seit Jahren", so Gewerkschafter Michel. Das System Schule sei auf Verschleiß gefahren worden und völlig überaltert. Viele der Pädagogen stünden kurz vor der Rente, für sie sei es sehr schwer, der Dauerbelastung standzuhalten. Die Folge sind viele Krankentage und Langzeitausfälle. Rene Michel, der selbst als Musiklehrer unterrichtet, hat ein Kollegium von 30 Pädagogen. Acht davon sind schon viele Wochen ausgefallen. "Das kann keine Schule mehr kompensieren", so der Vertreter des Lehrerverbandes, der in Radebeul seinen Sitz hat.

Viele Langzeitausfälle

In der Statistik des Landesamtes für Schule und Bildung tauchen die langzeitkranken Lehrer allerdings gar nicht erst auf. Man arbeite auch nicht mit Lehrerstellen, sondern erfasse die Unterrichtsabsicherung in Prozenten. Und die liege im Landkreis Meißen weitgehend über den sachsenweiten Durchschnitt, so der Pressesprecher. Das Landesamt unterscheidet dabei einzelne Schultypen. Und nach der Statistik, die zuletzt zu Schuljahresbeginn 2023 erhoben wurde, sind an den Grundschulen im Landkreis 98 Prozent der Schulstunden mit Lehrkräften abgesichert, an den Gymnasien sind es 98,4 und an den Berufsschulen sogar 98,7 Prozent.

Sorgenkinder blieben die Oberschulen, wo nur knapp 93 Prozent des Unterrichts abgesichert werden könne. Noch schlechter sieht es an den Förderschulen aus. Dort können kreisweit nur gut 86 Prozent der Stunden abgesichert werden, das sind gut vier Prozent weniger als im sachsenweiten Durchschnitt.

Das Problem ist erkannt, sagt Clemens Arndt vom Landesamt für Schule und Bildung. Je ländlicher die Region, desto schwieriger werde es, Pädagogen zu finden. Was für Allgemeinmediziner und Fachärzte gilt, scheint eben auch für Pädagogen zu gelten. Insofern ist es naheliegend, was die Lehrergewerkschaft fordert. Sie spricht von einer Landeskinderregel, die analog zum Landesärzteprogramm Lehrer, die sich verpflichten, im ländlichen Raum zu arbeiten, finanziell unterstützt. Das Kultusministerium setzt indes darauf, Referendare in die Provinz zu schicken und sie dort mit einer Bindungszulage zu halten. Damit wolle man den Klebeeffekt rund um Leipzig und Dresden auflösen, wo die künftigen Lehrer ausgebildet werden und eben auch gerne bleiben.

Neunter Platz im nationalen Vergleich

Für die Lehrergewerkschaft sind das willkommene Ansätze. Allein sie greifen zu spät. Denn das Problem gibt es heute in den Schulen, nicht zuletzt durch einen beträchtlichen Schülerzuwachs. Die Kinder aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine sorgen nicht nur für volle Klassen, sie haben auch einen intensiven Förderbedarf, allein um Sprachdefizite auszugleichen. Ein Mehraufwand, der nicht zu leisten sei, schon gar nicht mit einer Personaldecke, die große Löcher hat, so Rene Michel.

In der Folge sinkt das Leistungsniveau. Die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Umfrage sind aus Sicht der Lehrergewerkschaft nicht nur alarmierend, sondern auch das Ergebnis einer Fehlentwicklung. Der Sprecher des Landesamts für Schule und Bildung verweist zwar darauf, dass hier nur Leistungen von Schülern aus zwölf zufällig ausgewählten Schulen des Freistaats erfasst worden sind.

Und überhaupt, im nationalen Vergleich sehe es gar nicht so schlecht aus. Laut INSM-Bildungsmonitor 2023 belegt Sachsen im Gesamtranking einen neunten Platz im Mittelfeld und bei der Schulqualität liegt man in den Fächern Deutsch und Mathematik auf dem zweiten Platz. Es hapert allerdings bei der Integration. Dort belegt Sachsen den 16. und damit letzten Platz, weil sich die Förderbedingungen für ausländische Schüler gegenüber 2013 deutlich verschlechtert haben. Ein Problem seien Sprachbarrieren, weiß Uwe Michel. Da helfen die 600 eingestellten Lehrkräfte aus der Ukraine punktuell, aber eben nicht flächendeckend.

Hohe Quote an Studienabbrechern

In Leipzig und Dresden könnten jedes Jahr 2.700 Lehramtsstudenten ihre Ausbildung beginnen. Theoretisch, denn längst werden nicht alle Studienplätze vergeben - auch weil die Anforderungen zu hoch sind. Sie zu senken, habe man Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) schon mehrfach aufgefordert, allein er verweist auf das Hochschulfreiheitsgesetz. Die Universitäten selbst können die Anforderungen festlegen, die ihre Studierenden erfüllen müssen. Und wer einmal beginnt, landet am Ende nicht zwangsläufig vor Klassen und Tafel, weiß Uwe Michel. In den naturwissenschaftlichen Fächern liegt die Abbrecherquote der Lehramtsstudenten bei stattlichen 40 Prozent.

Das Kultusministerium unter der Regie von Minister Christian Piwarz (CDU) hat zu mehreren regionalen Bildungsforen eingeladen. Experten diskutierten mit Lehrern und Eltern unter dem Motto Bildungsland Sachsen 2030, wie die Schule der Zukunft aussehen soll. Dass es wieder Samstagsunterricht gibt, um beispielsweise die während der Coronazeit angehäuften Lerndefizite zu kompensieren, scheint unwahrscheinlich. Aber das längere gemeinsame Lernen wird ein Thema sein, wenn im Frühjahr 2024 die Ergebnisse der Regionalforen präsentiert werden sollen, ist sich Uwe Michel sicher. Und da brummt wieder das Handy, die App meldet schon mal den Vertretungsplan für den 2. Januar 2024. Das ist noch lange hin. Erst mal sind Ferien und außerdem sind alle Angaben ohne Gewähr.