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Pirnaer Todesgarage: "Mein Sohn wäre unter den Nazis hier vergast worden"

Rund 80 Menschen folgten in Pirna einem Protestaufruf. Sie wehren sich gegen den Plan, die frühere Garage der grauen Busse zu Wohnungen umzubauen.

Von Mareike Huisinga
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Zahlreiche Menschen kamen am 23. Februar auf dem Sonnenstein zusammen, um gegen den geplanten Umbau der früheren Garage (im Hintergrund) der sogenannten grauen Busse zu protestieren.
Zahlreiche Menschen kamen am 23. Februar auf dem Sonnenstein zusammen, um gegen den geplanten Umbau der früheren Garage (im Hintergrund) der sogenannten grauen Busse zu protestieren. © Karl-Ludwig Oberthür

Die Veranstalter wussten selber nicht, wie viele kommen würden. "Aber wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden. Man merkt, das Thema lässt die Menschen in Pirna und von außerhalb nicht kalt", sagt Anne Nitschke vom Pirnaer Verein Akubiz. Gleichzeitig gehört sie der überregionalen Initiative "Gegen Das Vergessen" an, die am 23. Februar auf dem Pirnaer Sonnenstein zu einer Kundgebung aufgerufen hatte.

Anlass dafür ist ein umstrittenes Bauprojekt an einem sensiblen Standort. Dabei handelt es sich um eine frühere Scheune, die 1940 zur Garage der berüchtigten grauen Busse umgebaut wurde - gleich neben der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein.

Die grauen Busse waren die Todestransporte im Zuge der "Euthanasie-Aktion" der Nationalsozialisten. In der Geheimaktion "T4" wurden behinderte und kranke Menschen in sechs Tötungsanstalten vergast oder anders ermordet. Allein in Pirna-Sonnenstein wurden rund 14.000 Menschen umgebracht, so auch mindestens 51 Personen aus Pirna. Die frühere Garage, in der die Busse standen, soll nun zu Wohnungen ausgebaut werden.

Pirnaerin: "Wie mag man hier wohnen?"

Das wollen die Teilnehmer der Demonstration nicht hinnehmen. Eine von ihnen ist Sonja Pick, die mit ihrem Sohn Stefan auf den Sonnenstein gekommen ist und auf die ehemalige Busgarage schaut. Dann schaut sie auf ihren Sohn, der im Rollstuhl sitzt. "Stefan ist schwerbehindert. Hätte er in der NS-Zeit gelebt, wäre er vergast worden." Dann schweigt sie einen Moment und blickt wieder Stefan an. "Mein Sohn bedeutet alles für mich. Ich muss heute hier sein, weil ich von den Nazi-Verbrechen weiß. Und nun soll dieser geschichtsträchtige Ort zu Wohnungen umgebaut werden. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, wie man hier wohnen mag", sagt die Pirnaerin. Sie plädiert dafür, dass die frühere Garage zu einem Denkmal der Erinnerung wird.

Architektin kritisiert Baupläne

Auch Architektin Barbara Schulz aus Berlin übt scharfe Kritik. Aus ihrer Sicht bleiben nach den aktuellen Bauplänen allenfalls die äußeren Umfassungswände der früheren Garage erhalten, während die innere Struktur für die Busgarage mit ihren spurentragenden Wänden, Böden und Einbauten nahezu vollständig zerstört wurde.

Vor allem aber wäre es erforderlich gewesen, vor Abrissbeginn eine Untersuchung und Bestandsdokumentation des Gebäudes zu beauflagen. "Wir bekräftigen unsere Aufforderung, die jetzt noch erhaltenen baulichen Spuren zu sichern, zu dokumentieren und eine Wiederherstellung des Bauwerks und den Erhalt seiner unmittelbaren Umgebung zu erwirken. Notwendig ist eine Nutzungsform, die unter anderem das äußere Erscheinungsbild bewahrt und die Torfront zusammenhängend und unverstellt sichtbar und für die Öffentlichkeit zugänglich belässt. Als Bestandteil einer Wohnanlage wird dies kaum gelingen", sagt die Architektin. Ihre Forderung ist unmissverständlich: "Wer sich dem Denkmal künftig nähern wird, muss es weiterhin als Zeugnis der T4-Morde verstehen können."

Teilnehmer legen Blumen an Bauzaun nieder

Bei der rund 45-minütigen Demonstration traten verschiedene Redner auf. Gleich zu Beginn wurde aus dem Tagebuch von Elfriede Lohse-Wächtler zitiert. Die Malerin, geboren in Dresden, wurde 1940 im Rahmen der T4-Aktion in der Tötungsanstalt Pirna- Sonnenstein ermordet. Unter anderem sprach auch Carola Nacke aus Pirna. Sie ist Mitglied der Johann Wewer Gesellschaft, die die Erinnerungskultur an die Opfer der "NS-Euthanasie" fördert. Sie betonte: "Löschen wir die Orte aus, widmen wir sie um, wird die mahnende Vergangenheit ausgelöscht." Zum Schluss rief sie die Anwesenden auf: "Lasst uns wachsam sein."

Das forderte auch Steve Hollasky, Mitglied im Bündnis für Pflege Dresden und gleichzeitig Geschichtslehrer. "An diesem authentischen Ort sind die schrecklichen Geschehnisse vor 80 Jahren nachvollziehbar für Schüler." Das hört eine Dame, die neben ihm steht. Sie nickt. "Hier wird Geschichte greifbar. Das ist etwas anderes, als sie in Büchern nachzulesen."

Zum Abschluss der Kundgebung wurden Blumen an den Bauzaun des Geländes der früheren Busgarage abgelegt. Ob weitere Aktionen geplant sind? "Das können wir derzeit noch nicht sagen", meint Anne Nitschke.

Landratsamt wehrt sich gegen Kritik

Überhaupt wird die Debatte um die Busgarage hitzig geführt. Auch das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hat sich zu Wort gemeldet. Die Aussage von Tilo Kloß (Pirnaer Stadtrat Die LINKE), dass die Stadt Pirna die „Denkmalschutzbehörde (...) abgegeben“ hätte und damit über keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr verfügt, sei falsch. Sächsische.de hatte diese Aussage von Tilo Kloß am 23. Februar veröffentlicht. Die Stadt Pirna sei sowohl Baugenehmigungsbehörde, als auch untere Denkmalschutzbehörde und somit zuständig, heißt es aus dem Amt.

Der Landkreis habe sich lediglich bereiterklärt, die Ausstellung von Bescheinigungen zum denkmalbedingten Mehraufwand nach den Sanierungen für das Finanzamt zu übernehmen, um somit die Stadt zu entlasten. Dazu hatten Stadtrat und Kreistag einer Zweckvereinbarung zugestimmt, betont ein Pressesprecher des Landratsamtes.