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So lebt es sich im Tiny House aus Sachsen

Ein junges Grimmaer Unternehmen baut jetzt energieeffiziente Tiny-Häuser. Taugen sie für mehr als einen Kurztrip? Eine Probenacht mit Aha-Effekt.

Von Sven Heitkamp
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Auch von außen sehr einladend das Tiny House.
Auch von außen sehr einladend das Tiny House. © Ronald Bonß

Ich stehe an einem lauen Juni-Abend im Innenhof eines ehemaligen Gasthauses in Nerchau an der Mulde, vor mir frischer Rasen, mittendrin ein kleines Holzhaus: neun Meter breit, knapp vier Meter hoch. Auf der Holzterrasse mit den zwei geflochtenen Loungestühlen sitzt Lisa Weise-Hoff und heißt mich willkommen an meinem Übernachtungsplatz für diesen Abend. Sie hat die Minihäuser mit ihrer jungen Grimmaer Firma Hejmo Homes kreiert.

Tiny-Häuser wie dieses sind in Mode gekommen, denn sie brauchen wenig Platz, wenig Energie und wenig Ressourcen. Aber ist ein Tiny House eine Alternative zur großstädtischen Altbauwohnung oder dem geräumigen Eigenheim auf dem Land? Weise-Hoff sagt: „Wir wollen auf kleinstmöglichem Raum das bestmögliche Wohngefühl vermitteln.“ Hat sie recht? Ich mache heute Nacht einen kleinen Selbstversuch: Ist das Häuschen nur für einen Kurztrip gut oder würde es mir auf Dauer genügen?

Der Innenraum strahlt mit seinen hellen und warmen Tönen, dem intensiven Holzgeruch und dem modernen Interieur sofort Behaglichkeit aus – Tasche abstellen und wohlfühlen. Ich räume ein paar Lebensmittel und Getränke in den Kühlschrank, während mir Lisa die wichtigsten Details erklärt: Geschirr, Handtücher, Seife – alles da. Licht und Außenjalousien lassen sich mit einem Touchscreen neben der Eingangstür bedienen. E-Herd und Kaffeemaschine sind startbereit. Fenster zu allen Seiten und ein Panoramablick hinterm Esstisch lassen viel Licht und Sonne herein. Die gelungene Überraschung ist eine Vorratskammer unter der Erde: Unter einer Bodenluke neben dem Tisch lassen sich Getränke und Vorräte in einer langen, verschiebbaren Box versenken.

Blick ins Innere des kleinen Hauses
Blick ins Innere des kleinen Hauses © Ronald Bonß

Eine Lüftung unter der Decke tauscht alle 45 Minuten die Luft aus, sodass es nie stickig wird. Die 2.500-Watt-Solaranlage auf dem Dach des Probehauses und ein 5.000-Watt-Speicher sorgen für ausreichend Strom, um das Null-Energie-Haus das Jahr über zu versorgen und eine Wärmepumpe für Heizung und Warmwasser zu betreiben. „Im Sommer speisen wir Strom ins Netz ein, im Winter kaufen wir etwas hinzu“, erzählt Weise-Hoff. Im Jahresmittel erzeuge das Haus rechnerisch genügend Strom, um seine Bewohner autark zu versorgen.

Nach einem kleinen Spaziergang an die nahe Mulde koche ich mir Spaghetti und schnipple einen Salat, wie zu Hause. Gegessen wird am ausziehbaren Tisch, der sogar für ein paar Gäste reichen würde. Aufgeräumt ist schnell, denn ein Geschirrspüler ist ebenfalls da. Das Badezimmer bietet einen breiten Waschtisch und eine große Dusche, wie es sie in jeder Wohnung gibt. Auch eine Waschmaschine steht bereit. Dass so ein geräumiges Bad auf kleinem Raum möglich ist, hätte ich kaum gedacht. Dieser Wohnzwerg fühlt sich schon nach wenigen Stunden nach einem neuen Zuhause an. Gefühl der Enge? Eigentlich nicht.

Passt alles rein, was man braucht. Mehr aber auch nicht. Sven Heitkamp hat es für Sächsische.de getestet.
Passt alles rein, was man braucht. Mehr aber auch nicht. Sven Heitkamp hat es für Sächsische.de getestet. © Ronald Bonß

Das Tiny House von Hejmo Homes besteht aus Modulen in zwei unterschiedlichen Größen: Einem knapp sechs mal drei Meter großen Wohnbereich und drei mal drei Meter großen Zonen für Küche und Bad – zusammen genommen hat das kleinste Modell „Hejmo33“ gerade mal 33 Quadratmeter Nutzfläche, ist aber für zwei Personen ausgelegt. Es kann durch weitere Module nach Belieben erweitert und sogar zweistöckig gebaut werden. Die Übergänge zwischen den Modulen sieht man kaum. Küche und Wohnbereich kann man mit einer Schiebetür voneinander trennen. Im Wohn- und Schlafzimmer stehen ein Lesesofa und ein komfortables 1,60 Meter breites Bett, es gibt einen großen Fernseher und schnelles Internet.

Zurzeit kalkuliert das Unternehmen mit etwa 4.500 Euro pro Quadratmeter, je nach Ausstattung, sagt Weise-Hoff. Der Kaufpreis für das hochwertig ausgestattete, energieeffiziente Musterhaus würde bei etwa 180.000 Euro liegen. Die Module werden in einer Werkhalle in Grimma vor allem aus Stahlrahmen, Holztafelwänden und Holzweichfaserdämmung sowie Fassaden aus Lärche und Douglasie schlüsselfertig gebaut und erst vor Ort aufgestellt. Alle Anschlüsse sind dann vorhanden. Statt eines geschlossenen Betonfundaments genügen je nach Nutzungsart schon schraubbare Punktfundamente oder Streifenfundamente. „Der Aufbau hat nur zwölf Stunden gedauert“, erzählt die junge Gründerin. Das „Hejmo33“ würde auf drei Lkws passen und ließe sich innerhalb weniger Tage irgendwo in Europa wieder aufbauen, wo eine Zufahrt, Strom, Wasser- und Abwasseranschlüsse anliegen und eine Baugenehmigung besteht.

Die Hejmo Homes sind dabei ein echtes Familienprojekt: Lisas Stiefvater Uwe Kettner beschäftigt sich schon viele Jahre mit Passivhäusern, Vater Uwe Weise ist Bauingenieur und ihr Schulfreund Tom Bade Industriedesigner. Zusammen haben sie das Haus entwickelt und voriges Jahr mit dem Bau des Prototyps begonnen. Kunden in Berlin und im Saarland bekommen noch dieses Jahr die ersten Modelle, nächstes Jahr könnten es schon fünf werden und übernächstes zehn Häuser, kalkuliert Weise-Hoff.

Lisa Weise-Hoff von Hejmo Homes - der Firma die das Häuschen gebaut hat.
Lisa Weise-Hoff von Hejmo Homes - der Firma die das Häuschen gebaut hat. © Ronald Bonß

Alle angefertigt nach eigenen Wünschen. Das Nerchauer Haus wird seit Anfang April über die Plattform Airbnb vermietet. Die meisten Gäste seien Interessenten, die sich mit Tiny-Häusern beschäftigten oder Menschen, die ohnehin in der Region zu Besuch sind, erzählt Weise-Hoff.

Nach einer erholsamen Nacht denke ich beim Kaffee am nächsten Morgen: Ja, das Minihaus ist mehr als praktisch, es ist bequem und komfortabel, für mich allein ein echtes Zuhause. Dass mir so wenig Platz reichen würde, hätte ich kaum gedacht. Für ein dauerhaftes Leben fehlt mir aber etwas Bewegungsfreiheit und Stauraum. Ich bräuchte weitere neun Quadratmeter, um ein paar Lebensrequisiten und Kleidung für Sommer und Winter zu bunkern, ohne die Wohnflächen vollzumüllen. Würde man dort zu zweit wohnen, müsste man wohl noch ein 18 Quadratmeter großes Modul hinzunehmen, um sich aus dem Weg gehen zu können. Das wären knapp 60 Quadratmeter – immer noch tiny, aber geräumig genug für ein schlankes, entschleunigtes Leben.

Man braucht nicht mehr. Sicher muss man sich von ein paar alten Schätzen trennen, die im Keller verstauben. Aber man hat ein eigenes Haus, unabhängig von Energiekrisen und explodierenden Mietpreisen. Und wenn sich das Leben ändert, kann man einfach damit umziehen.