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So soll die Zukunft des Personennahverkehrs in Sachsen und der Oberlausitz aussehen

Der Oberlausitzer Verkehrsverbund Zvon hat eine Vision von der Mobilität der Zukunft entwickelt. Ein Teil davon wird schon bald Realität.

Von Tim Ruben Weimer
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Selbst fahrende Kleinbusse, bessere Fahrrad- und Fußwege und ein engerer Takt auf den Bahnstrecken: Drei wesentliche Bausteine für einen flexibleren ÖPNV der Zukunft.
Selbst fahrende Kleinbusse, bessere Fahrrad- und Fußwege und ein engerer Takt auf den Bahnstrecken: Drei wesentliche Bausteine für einen flexibleren ÖPNV der Zukunft. © SZ-Montage

Bautzen. Die Zukunft ist ein Wimmelbild. Der Eindruck könnte entstehen, wenn man sich die visualisierte Zukunftsvision des öffentlichen Personennahverkehrs in der Oberlausitz anschaut, die der Zweckverbund Oberlausitz-Niederschlesien (Zvon) zusammen mit mehreren Partnern erarbeitet hat.

In dieser Vision erfüllt der ÖPNV alle Grundbedürfnisse an Mobilität, die die Menschen haben. Für den Besuch beim Arzt kommt der „Ärztebus“, ins Einkaufszentrum fährt der „Shopping Bus“ oder ein gemietetes Auto mit Anhänger. Ein gemeinsamer Tarif für alle ersetzt den Tarifdschungel der Verkehrsverbünde; Züge und Busse fahren im dichten Takt.

Mobipunkte mit Leihrädern, Reparaturstationen und Mitfahrerbänken dienen als Anschluss in abgelegene Regionen. Wer mit dem eigenen Auto unterwegs ist, bietet es auch anderen zur Nutzung an und parkt es auf dezentralen City-Parkplätzen vor der Stadt. Der ÖPNV gilt als „sexy“ und zwinkert den Fahrgästen unterwegs verschmitzt zu. Soviel zur ambitionierten Vision, die bereits für das Jahr 2030 terminiert ist. Ist das realistisch?

Ohne Geld keine Visionen

„Wenn’s ums Geld geht, ist oft kein Platz für Visionen“, lautet die nüchterne Feststellung des Zvon-Geschäftsführers Hans-Jürgen Pfeiffer. Als erste Schritte gelte es, mehr Park-and-Ride- und Bike-and-Ride-Parkplätze zu schaffen, sowie mehr Fahrradverleih- und Fahrrad-Sharingstationen anzubieten. Auch für Carsharing-Angebote liefen in mehreren Städten Gespräche mit Teilauto.

Vieles davon ist in großen Städten wie Dresden und Leipzig längst umgesetzt. Auf dem Land gibt es dagegen noch viele Gebiete, die ohne Auto kaum zu erreichen sind. Hier sei es häufig das letzte Stück vom Bahnhof bis nach Hause, auf dem es für die Fahrgäste kein Weiterkommen mehr gebe, so Zvon-Chef Pfeiffer.

Der Oberlausitzer Verkehrsverbund Zvon hat grafisch dargestellt, wie er sich die öffentliche Mobilität im Jahre 2030 vorstellt.
Der Oberlausitzer Verkehrsverbund Zvon hat grafisch dargestellt, wie er sich die öffentliche Mobilität im Jahre 2030 vorstellt. © Zweckverband Oberlausitz-Nieders

Flexible Busrouten bringen Fahrgäste bis nach Hause

Am Bahnhof träfen bei den aussteigenden Reisenden sehr individuelle Reisewünsche aufeinander: Die einen laufen in die Stadt, andere nehmen einen Bus, wieder andere lassen sich abholen oder nehmen ein Taxi.

Trotzdem, so ist sich Pfeiffer sicher, brauche es nicht 75 Fahrzeuge für 75 Fahrgäste. Seine Idee: Busse, die jeweils eine Himmelsrichtung abdecken und dort eine aus den Zielen der Mitfahrer generierte Route abfahren – und das auch noch bis spät in den Abend. Die Frage sei, wieviel Umweg dem einzelnen Fahrgast zuzumuten sei. „Das sind Zukunftsklänge, aber es gibt bereits die ersten Schritte in die Richtung.“

Einer davon soll bereits im Jahr 2025 die ersten Fahrgäste befördern, und zwar in Neukirch/Lausitz vom Ortszentrum zum auswärts gelegenen Bahnhof West, in Klitten bei Boxberg vom Bahnhof zum Leuchtturm am Bärwalder See und in Kodersdorf im Landkreis Görlitz zwischen Bahnhof und Gewerbegebiet. Die TU Dresden hat zusammen mit dem Fraunhofer-Kunststoffzentrum Oberlausitz unter dem Namen „Walemobase“ einen automatisiert fahrenden Bus mit hybridem Antrieb basierend auf Wasserstoff, Batterie und Ethanol entwickelt.

Mit bis zu 70 Kilometer pro Stunde fahrerlos durch den Ort

Im Frühjahr 2024 sollen bereits die ersten Testfahren starten – allerdings noch ohne Fahrgäste und mit Sicherheitsfahrer. Im Gegensatz zu einem vollständig autonomen Fahrzeug haben die Gefährte eine klar begrenzte Fahrstrecke, der Betriebsbereich könnte potenziell aber auch zum Beispiel auf ein gesamtes Wohngebiet ausgedehnt werden, so Kutter.

Mit 50 bis 70 Kilometern pro Stunde sollen die fahrerlosen Kleinbusse unterwegs sein, bestellbar ab 15 Minuten vor Abfahrt über eine App. Doch gerade beim Bestellvorgang sei noch viel Ausprobieren notwendig, sagt Ronny Werner, der in dem Projekt zu möglichen Antriebsformen forscht. „Wie kriegt man die Leute dazu, solch einen Bus zu nutzen? Braucht es eine Taste an der Haltestelle? Eine Telefonnummer? Einen Chatbot?“

"Die Leute dürfen keine Angst haben"

„Die Leute dürfen keine Angst davor haben, in einen automatisiert fahrenden Bus einzusteigen“, sagt Zvon-Chef Pfeiffer. „Für viele ist das Info-Telefon immer noch eine nicht wegzudenkende Informationsquelle.“ Projektleiter Steffen Kutter rechnet damit, dass die benötigten Busse zwischen 2028 und 2030 auch in Serienanfertigung verfügbar seien. Bis dahin soll das System zuverlässig funktionieren.

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Auch andere Verkehrsverbünde planen in die Zukunft. Ein automatisierter Shuttlebus fuhr bereits 2022 im Leipziger Norden zwischen Messe und BMW-Werk als Testversuch hin und her. Der Verkehrsverbund Oberelbe forciert die Elektro-Mobilität und will unter anderem die Diesel-Strecken von Dresden nach Königsbrück, Kamenz und Altenberg teilelektrifizieren, auf verbliebenen Strecken ohne Oberleitung sollen die Züge mit Akkustrom fahren.

Der Verkehrsverbund Mittelsachsen will das Modell der City-Bahn ausdehnen, über die zukünftig weitere Orte aus dem Umland an die Stadt Chemnitz angeschlossen werden. Zudem sollen auf dem Land mehr digital koordinierte Rufbusse unterwegs sein, wie sie unter dem Namen "Erzmobil" bereits in Zwönitz unterwegs sind.

Voraussetzung ist Elektrifizierung der Bahnstrecke

In der Oberlausitz gebe es für alle jene Zukunftsprojekte eine Voraussetzung, sagt Ilka Hunger, Angebotsplanerin beim Zvon: die Elektrifizierung der Bahnstrecken zwischen Dresden und Görlitz oder Zittau. „Denn die Leute müssen ja erstmal zu uns in die Lausitz kommen.“ Zudem sei noch zu wenigen Leuten bewusst, dass bereits jetzt Plus- und Taktbusse oft stündlich auf dem Land unterwegs seien. „Wir haben immer noch das negativ besetzte Image, dass ja nichts fährt.“

Es brauche daher Durchhaltevermögen, sagt Zvon-Sprecherin Sandra Trebesius. „Die neuen Entwicklungen werden auch von den jungen Generationen vorangetrieben. Denn die informieren sich über unsere Angebote, weil ihnen das Auto nicht mehr so wichtig ist.“ Bis 2030, so ihre Einschätzung, könnte der Anteil der Leute in der Lausitz, die mit dem ÖPNV unterwegs sind, um zehn Prozent gestiegen sein.