DDR-Bunker auf dem Königsstein: Wo die Staatsmacht den Atomschlag überleben wollte
Nach der Stahltür geht's gleich in die Dusche. Schlauch und Brause hängen hier bestimmt schon vierzig Jahre. Original DDR? Klar, sagt Ingo Busse, der Museologe. "Hier ist alles original." Er bittet zurückzutreten und dreht an der Mischbatterie, worauf prompt der Duschkopf losplätschert. Schnell wieder schließen. "Wasser haben wir schon genug hier unten."
Er meint das Wasser, das die milde Herbstluft hereinträgt, und das an den kalten Metallteilen zu laufenden Nasen kondensiert. Es wieder loszuwerden, sind alle Verbindungen zur Außenwelt geöffnet. Sogar die Eingangstüre wurde ausgehängt. Ein stämmiges Gitter garantiert, dass keiner ohne Aufsicht hier herumläuft. Bis zu einer halben Million Menschen kommen jährlich an diesen Ort. Erfahrungsgemäß, sagt Ingo Busse, sind immer auch einige darunter, die gerne mal was mitnehmen, das ihnen nicht gehört.
Die Festung Königstein führt vor, wie ein Verteidigungsbau seit dem 16. Jahrhundert gewachsen ist. Eine ziemlich einzigartige Situation, sagt Museologe Busse. "Wir sind nie erobert und nie geschleift worden." Was nur wenige wissen: Selbst im 20. Jahrhundert, als der Königstein schon Museum war, wurde Festungsbau betrieben, für den Fall, dass der Kalte Krieg einmal heiß wird.
Ein neues Versteck fürs Schießpulver
Wer zur Festung in der Festung will, muss fast das gesamte Plateau durchwandern. Da, wo der Festungswald fast schon zu Ende ist, wölbt sich ein Erdhügel, darauf schornsteinartige Lüftungsschächte. Laut Festungsplan handelt es sich um das Kriegspulvermagazin. Ende des 19. Jahrhunderts ließ hier der Ingenieur-Offizier Oberstleutnant v. Scheibner 7.000 Kubikmeter Gestein aus dem Fels sprengen, um in der Höhlung Schießpulverfässer vor den neuartigen Sprenggranaten zu verstecken.
Ingo Busse schätzt, dass in dem unterirdischen Depot - heute etwa 170 Quadratmeter Nutzfläche - nie ein Krümel Pulver gewesen ist. Zu Friedenszeiten lagerte der gefährliche Stoff jenseits der Festungsmauer, und Krieg hatte der Königstein bis zu seiner Außerdienststellung nicht mehr gesehen. Doch dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, begann das Wettrüsten der Systeme. Die junge DDR begann, Luftschutzbunker zu bauen.
Ein Geheimobjekt zwischen Touristenmassen
Einer davon entstand auf dem Königstein, im ehemaligen Kriegspulvermagazin. In den Akten des Volkspolizei-Kreisamts Pirna wird vom "Sonderobjekt I" gesprochen. Man nimmt an, dass hier der Luftschutz-Operativstab des Kreises Pirna unterkommen sollte. 1960 begannen die Arbeiten. Binnen zwei Jahren, so der Plan, sollten fast 110.000 DDR-Mark verbaut sein.
Die Anlage war "topsecret", sagt Ingo Busse. Bis zur Wende habe selbst die Festungsleitung keine Kenntnis darüber gehabt, was sich unter dem Erdbuckel befindet. Dass da etwas versteckt lag, sei aber für jeden halbwegs Aufmerksamen erkennbar gewesen, vor allem wegen des langen Auspuffrohrs mit Schalldämpfer neben dem Notausstieg. "Es war klar, dass das kein Kriegspulvermagazin mehr war."
Ein Geheimobjekt zwischen Touristenmassen? Klingt verrückt. Ingo Busse denkt, dass die Kostenfrage für die Verantwortlichen in der DDR Vorrang hatte. Den voll erschlossenen Magazinbau habe man quasi "vorrätig" gehabt. Die Festung selbst sei über Jahrhunderte hinweg sicher gewesen. "Warum hätte sie nicht auch weiter sicher sein sollen?"
Dass sich die DDR-Führung auf einen Krieg mit atomaren und chemischen Waffen einstellte, lässt die Duschzelle gleich bei der Bunkertür erahnen. Hier hätte man sich nach einem Außeneinsatz im Vollschutz - Gummi von Haarspitze bis zum großen Zeh - dekontaminieren, also von schädlichen Partikeln befreien sollen. Über der Zelle hängt noch der Warmwasserspeicher, Inhalt 200 Liter, vom VEB Behälterbau Neuruppin.
Robur-Motor produziert Notstrom
Vorbei an den Klo-Nischen geht es in die Lüftungstechnische Zentrale. Die Lunge des Bunkers ist durchzogen mit grauen Röhren, durch die Frischluft von über Tage in die Unterwelt gesogen, gefiltert, erwärmt und weitertransportiert wurde. Der Luftstrom ist durchdacht, bewegt sich vom hinteren Winkel des Bunkers nach vorn, wo der Ausgang liegt. Ständig herrschte ein gewisser Überdruck, sagt Ingo Busse. "Somit konnten schädliche Stoffe von draußen nicht eindringen."
Auf der nächsten Tür steht DNA. "Wenn Sie hier eintreten, wird Ihr Erbgut untersucht." Busse feixt. Nein, DNA steht für Dieselnotstromaggregat. Ein mächtiger Vierzylinder ruht im Raum, angeschlossen an einen Generator. Wäre das öffentliche Stromnetz zerstört worden, hätte der Bunker seine eigene Energie gemacht, jedenfalls, solange Sprit im Tank war. Daher das verräterische Auspuffrohr.
Der Motor ist vom VEB Robur Werke Zittau, die Einspritzpumpe von Barkas, Karl-Marx-Stadt. Beide Baujahr 1980. Die gesamte Technik trägt Typenschilder aus den frühen Achtzigern. Das belegt den Um- und Ausbau des Bunkers zu jener Zeit. Man vermutet, dass er im Verteidigungsfall nun Ausweichquartier der KEL, der Kreiseinsatzleitung werden sollte.
Die KEL war die komprimierte Staatsmacht auf Kreis-Ebene: SED-Führung, Chef des Wehrkreiskommandos, Chef der Volkspolizei, Vorsitzender des Rats des Kreises und Leiter der Zivilverteidigung, Leiter der Kreisdienststelle der Staatssicherheit. Aus ihrer gedeckten Stellung heraus sollte das Gremium Herr der Lage bleiben und die Verteidigung ihres Bereichs unterstützen. Dazu zählte der Schutz der Bevölkerung, aber auch die Mobilmachung, wirtschaftlich und militärisch.
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Wie genau das vom Königsteiner Bunker aus, unter mehr als drei Metern Gewölbe, Sand, Beton und Erde funktionieren sollte, liegt im Dunkeln. Die weite Halle des einstigen Pulverlagers ist durch Mauern und Türen in eine Vielzahl Räume zerlegt worden. Deren Zweck aber ist unbekannt. Einzig das Kabelgewirr in einer der Zellen deutet auf eine Telefonzentrale hin.
Ingo Busse forscht seit 1990 auf der Festung. Er kennt den Bunker nur so leer und tot, wie er heute ist. Einrichtungsgegenstände hätten wohl ohnehin kaum überdauert, in der großen Feuchte. Die Festungsleitung will den Bereich künftig beleben, mit Exponaten und Soundeffekten. Busse will unterdessen weiter die Archive abgrasen. Er hofft, irgendwo mal einen Grundriss des Bunkerbaus auszugraben, auf dem die leeren Räume Funktionsbeschreibungen tragen. "Das wäre wie ein Sechser im Lotto."