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Ansturm am Elbsandstein

Die Sächsische Schweiz ist im Corona-Sommer voller Urlauber. Manche Kletterfelsen sind überlaufen. Geheimtipps? Gibt es nicht mehr.

Von Jochen Mayer
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Viele wollen derzeit hoch hinaus: Eine Frau sichert einen Kletterer am Domwächter im Nationalpark Sächsische Schweiz.
Viele wollen derzeit hoch hinaus: Eine Frau sichert einen Kletterer am Domwächter im Nationalpark Sächsische Schweiz. © K. M. Krause/imago

Dieses Jahr ist vieles anders. Als das Coronavirus in Deutschland das Alltagsleben einfror und alle Aktionsradien auf ein Minimum stutzte, war es auch im Elbsandstein extrem ruhig geworden. Plötzlich durften Kletterer nicht mehr zu ihren Felsen. Nach den Lockerungen der Schutzmaßnahmen wurde vieles nachgeholt, auch auf den Kletterrouten in der Natur.

„Die Sächsische Schweiz ist gerade brechend voll“, beschreibt Frank Meutzner die aktuelle Lage. Der ambitionierte Kletterer wurde im Elbsandstein groß, gehörte zu sechs Achttausender-Expeditionen und stand auf dem Makalu, dem fünfthöchsten Berg der Erde. Der gebürtige Freiberger gilt als Insider der Bergsteiger-Szene und ist Festivaldirektor der Dresdner „Bergsichten“. Die 17. Auflage des größten deutschen Film- und Outdoor-Festivals hatte er vor wenigen Wochen wegen der Corona-Auflagen schweren Herzens um ein Jahr auf den November 2021 verschieben müssen. Ein Lichtblick für ihn: Die neunten Sommer-Bergsichten können am 4. und 5. September stattfinden. Was sich an den heimischen Felsen gerade abspielt, das hat er weiter im Blick, da hört sich der 55-Jährige ständig um.

In Corona-Zeiten trifft er im Elbsandstein Bekannte, denen er „manchmal 15, 20 Jahre nicht begegnet war“, wie er erzählt. Frank Meutzner findet es gut, „wenn die Leute in die Natur gehen. Der Preis ist allerdings, dass das Gebirge dann voller Menschen ist.“ Seine Erfahrung: „Ab 16 Uhr wird es in den Bergen deutlich ruhiger.“ Dann gilt sein Motto „Geklettert ist schnell“, wie er lachend sagt.

Frank Meutzner (links) im Mai 2012 mit Götz Wiegand (Mitte) und Holger Lieberenz nach der Rückkehr von einer HimalayaExpedition.
Frank Meutzner (links) im Mai 2012 mit Götz Wiegand (Mitte) und Holger Lieberenz nach der Rückkehr von einer HimalayaExpedition. © André Wirsig

Gerade sind jeden Tag Massen vor allem an bestimmten Punkten unterwegs. „Es sind Felsen, zu denen man nicht weit laufen muss“, ist sich Frank Meutzner sicher, „die einen Parkplatz in der Nähe haben und wo bekannt ist, dass die Sicherungen besser oder dichter sind als am Papststein oder im Bielatal.“ Doch es lässt sich kaum vorhersagen, wo es gerade einen Ansturm geben könnte. „Es kann einem passieren, dass man zum Beispiel zur Johanniswacht aufbricht, weil man dachte, zu den Herkulessäulen gehen ja eh alle“, beschreibt Meutzner ein ewiges Dilemma beim Planen von Klettertouren im Elbsandstein. „Aber dann hört man abends von denen, die von den Herkulessäulen zurückkamen, dass sie nahezu alleine klettern konnten. Selbst war man jedoch an der erhofften ruhigen Stelle mit 50 anderen am Fels. Mitunter gibt es jetzt richtige Schlangen an den Einstiegen.“

Eine Erfahrung ist für ihn aber auch: Sobald für eine Kletterroute ein weiter Anmarsch nötig oder der Einstieg schwer zu erreichen ist, dann würde es nun kaum große Unterschiede im Ansturm zu den Vorjahren geben. Doch der aktuelle Touristenzustrom ist an jedem Parkplatz in der Sächsischen Schweiz deutlich zu spüren. „Und die Boofen sind voll“, weiß Frank Meutzner. „Dabei sollten die eigentlich nur für die Kletterer da sein.“

Ihn ärgert, dass viele dieser Natur-Nachtgäste nichts mit dem Klettern am Hut haben. Da soll es sogar den Versuch gegeben haben, mit dem Auto bis fast vor eine Boofe zu fahren. „Und wenn wir früh zu den Felsen aufsteigen, dann kommen uns oft welche entgegen, die gar nicht klettern wollen“, beklagt Frank Meutzner den Stand der Dinge. „Es hat leider wieder ein Boofen-Tourismus eingesetzt.“

Unbelehrbare gibt's immer

Den Trend, dass einige leicht erreichbare Ziele in der Felsenwelt besonders überlaufen sind, den gab es bereits in den Vorjahren – nicht nur im Elbsandstein. „Das habe ich im Frankenjura genauso erlebt wie im Erzgebirge, wo zum Beispiel am Katzenstein an den Wochenenden gerade enorm viel Betrieb herrscht“, sagt Frank Meutzner und führt das auf einen generellen Trend zurück: In ganz Deutschland wird in diesen Corona-Zeiten mehr geklettert, weil sich für viele wegen der Pandemie auch die Urlaubspläne geändert hatten.

Nervt die Kletterer dieser Zulauf? „Natürlich geht man Massen gerne aus dem Weg“, antwortet Frank Meutzner. „Doch es bleibt nicht aus, man hat die Felsen ja nicht für sich gepachtet“, sagt der Bergsüchtige, der auch Stammgast in Nepal ist. „Aber wer sich auskennt, findet immer noch Stellen, wo man mehr oder weniger alleine ist.“

In diesen unberechenbaren Zeiten mit zahlreichen Elbsandstein-Neulingen sind nicht selten sehr naive Aktionen zu sehen. „Manche hatten vielleicht mit dem Sandstein noch nie was zu tun“, vermutet Frank Meutzner. „Manche lassen sich helfen. Es gibt aber Unbelehrbare. Die gab es natürlich auch früher und gibt es überall.“ Er hörte Ähnliches aus der Tauchszene. Die Outdoor-Branchen haben gerade enormen Zulauf von Neulingen, die ihren AktivUrlaub und generell all ihre Aktivitäten neu organisieren.

"Das Gebirge ist an seiner Grenze angelangt“

Frank Meutzner sah in der Sächsischen Schweiz, wie manche mit dem Handy in der Hand und der App vorm Gesicht auf Kletterer-Zustiegen unterwegs waren, die nur für die Spezialisten gedacht sind. „Früher waren da an den Zustiegen kleine dezente schwarze Pfeile angebracht“, schildert Frank Meutzner eine Ärgerlichkeit, weil „seit über einem Jahr an Bäumen nun überdeutliche Zeichnungen mit unübersehbaren Pfeilen prangen, so zum Beispiel am Zustieg zur Lokomotive“.

Da versteht er die Nationalparkverwaltung nicht, „weil nun mitunter Massen auf diesen Kletterer-Zustieg-Wegen unterwegs sind. Die treten jetzt leider auch Hänge runter. Man trifft neuerdings Wanderer weitab von Wanderwegen. Und die Bergwacht kann ein Lied davon singen, wenn die Unvernünftigen am Ende nicht mehr weiterwissen.“ Am Pfaffenstein brauchte er kürzlich an so einem Kletterzustieg ewig, „weil uns so viele Wanderer entgegenkamen. Manche versuchten sogar abzukürzen und machten am Hang vieles kaputt – solche Aktionen verkraftet die Natur auf Dauer nur schwer.“

Der Zulauf in der Sächsischen Schweiz wird in den nächsten Monaten wohl nicht abebben, glaubt Frank Meutzner. „Die Geister, die man rief, die lassen sich nicht oder nur sehr schwer regulieren“, fürchtet er und begründet seine Vermutung: „Es gibt jetzt viele, die zum ersten Mal das Elbsandsteingebirge erleben und die staunen, was das alles zu bieten hat. Deshalb versprechen nicht wenige, gerne wiederzukommen. Der Preis dafür sind unter anderem viele Autos in Parkverboten.“ Die mit Strafen abzukassieren, wäre auch keine Lösung. „Ich glaube, das Gebirge ist an seiner Grenze angelangt“, bringt es Frank Meutzner auf den Punkt.

Scharlatane mit Hängematte

Dabei versteht er gut, dass alle auf die Bastei und zu den Schrammsteinen wollen, wenn sie schon mal hier sind. „Und manche stoßen sich auch gar nicht daran, dass da so viele unterwegs sind“, hat er gehört. „Sie wissen ja: Touristische Highlights sind überall auf der Welt überlaufen.“ Fraglich ist nur, wie der Sandstein das alles verkraftet, wie schnell da manches wortwörtlich ausgetreten wird. Im tschechischen Adršpach (Adersbach) sind inzwischen viele Wanderwege eingeschliffen. Da wird gerade versucht, mit Holzverkleidungen Schlimmeres zu verhindern.

Die tschechische Seite des Elbsandsteins liegt gerade im Trend bei vielen guten Kletterern, „die nicht so viel Wert auf ein emotionales Gipfelerlebnis legen“, weiß Frank Meutzner. „Das sind Kletterer, die mehr die sportliche Seite sehen. Die weichen aus, die gehen ins Elbtal auf der tschechischen Seite. Da ist zudem Massivkletterei möglich, wo die Regeln und Sicherungen etwas anders sind als in Sachsen.“ Für manche sind Kletterhallen eine Alternative, die allerdings gerade selbst mit Corona-Einschränkungen leben müssen.

Echte Geheimtipps von Kletter-Gebieten, die angeblich nicht so frequentiert sind, die gibt es nicht mehr, glaubt Frank Meutzner, der verfolgt, was im Netz gerade alles hochgeladen wird. „Sobald eine der vielen Insider-Plattformen Tipps gibt, sind die auch schon wieder Geschichte – weil überlaufen“, sagt der Szene-Kenner, der sich besonders über Scharlatane ärgert, die, wie unlängst tatsächlich passiert, mit einer Hängematte zwischen zwei Gipfeln enorme öffentliche Präsenz bekamen. „Das geht gar nicht“, schimpft Frank Meutzner, „was da unkritisch durch Medien weiterverbreitet wird.“ Am meisten empört ihn an der Hängematten-Aktion, dass Drohnenaufnahmen verbreitet wurden, deren Genehmigungen im Nationalpark normalerweise kaum zu bekommen sind. „Na klar habe ich Verständnis für junge Menschen, bei denen mitunter Profilierungssucht eine Rolle spielt. Die schlagen auch mal über die Stränge“, sagt Frank Meutzner. „Aber ich verstehe auch, dass sie in internen Foren schwer kritisiert werden. Es ist zudem fraglich, ob die Verankerungen und Sicherungen bei der Aktion seriös angebracht waren. Man staunt immer wieder, welche Ideen so Blüten schlagen in der Natur.“

Neue Trends sieht Frank Meutzner auch im Elbsandstein. Die Schwierigkeiten seien weiter vorangetrieben worden. Er beobachtete zudem einige jüngere Kletterer, die auf klassischen Wegen unterwegs waren. „Die können schwere Wege klettern“, versichert Frank Meutzner. „Das Können hat generell stark zugenommen in der Szene. Dabei sind eigentlich keine neuen Spielarten im Elbsandstein zu sehen. Das liegt sicher an den bestehenden Regeln, die es nicht möglich machen, Routen von oben einzurichten. Das passiert sonst überall auf der Welt. Andererseits sind Kletterer aus der Sächsischen Schweiz im Ausland mit einer eigenen Leichtigkeit unterwegs, weil sie unter anderem im Rissklettern im Elbsandstein zu Hause sind. Das war aber auch früher schon so.“

Ob die speziellen sächsischen Regeln ein Vorteil sind, das hält Frank Meutzner für eine Gretchenfrage. „Viele schimpfen ja, dass sich deshalb keine Spitzenkletterer aus aller Welt im Elbsandstein versuchen“, sagt er. „Und Magnesia, was in der Hitze helfen würde, ist verboten. Andererseits ist es sehr schwierig auszuloten, was passiert, wenn die Regeln gelockert würden, ob das System dann noch funktioniert, wenn mehr kommen würden. Ich habe beobachtet, dass Wege, die oft geklettert werden, sich schneller abnutzen.“ Das liegt in der Natur des krümeligen Sandsteins. Und Meutzner ist sich sicher: „Würden sie nicht mit Sandstein-Verfestiger arbeiten, würden manche Routen im Elbsandstein schon jetzt gar nicht mehr kletterbar sein.“ Der poröse Untergrund verwittert schnell, zerfällt im Regen. So kommt es auch immer wieder zu Felsstürzen, ohne dass dort Kletterer Hand angelegt hatten. Es ist eben kein Granit, hat aber dennoch seinen speziellen Reiz. Und der wird bleiben, jedem Virus zum Trotz.